Ein Dorf probt den Aufstand. 700 Flüchtlinge hatte die 135-Seelen-Gemeinde Oranje im Nordosten der Niederlande bereits aufgenommen. In einem Ferienpark. Obwohl sich die Einwohnerzahl damit verfünffachte. Doch dann, mitten in der Nacht und entgegen aller Absprachen, trafen letzte Woche Busse mit weiteren 700 Flüchtlingen ein. Aufgebrachte Dorfbewohner versperrten ihnen den Weg.
"Eine Schande", schimpften sie. "So lassen wir nicht mit uns umspringen."
Inzwischen ist das Dorf im ganzen Land zum Symbol geworden für das Unvermögen der Regierung, die 36.000 Flüchtlinge angemessen unterzubringen, die die Niederlande in diesem Jahr bereits aufgenommen haben – fast doppelt so viele wie bisher. Allein in den vergangenen vier Wochen kamen 13.000 vor allem aus Syrien und Eritrea. Das Flüchtlingsproblem wächst Den Haag über den Kopf, die zuständigen Behörden sind überfordert. Überall im Land kommt es zu Protesten.
Regierung versäumte Vorbereitung
Die Regierung habe es versäumt, sich rechtzeitig auf den Flüchtlingsstrom vorzubereiten, so Fraktionschef Sybrand Buma von der christdemokratischen Oppositionspartei CDA. Zeit genug wäre gewesen, auch Warnungen gab es viele. So hatte das niederländische Flüchtlingswerk die Regierung schon Anfang des Jahres gemahnt, die Flüchtlinge besser über das Land zu verteilen. Auch um die Asylprozedur nicht zu behindern, so Vizedirektor Jasper Kuipers, und dafür zu sorgen, dass sich die Menschen angemessen darauf vorbereiten können.
Diese Prozedur läuft dank einer Reform der Asylgesetzgebung seit 2010 weitaus zügiger und schneller ab als zuvor. Vor dieser Reform konnte es Jahre dauern, bis ein Asylbewerber wusste, woran er war. Nun dauert es im Durchschnitt nur noch drei Monate. Und das, obwohl das Standard-Asylverfahren in den Niederlanden verlängert statt verkürzt wurde. Beschleunigen durch Entschleunigen lautete das Motto der Reform. Denn bis 2010 wurde innerhalb von nur 48 Stunden festgestellt, ob ein Asylbewerber für eine Aufenthaltsgenehmigung in Frage kam oder nicht. Für Zweifelsfälle, die sich nicht in 48 Arbeitsstunden eindeutig klären ließen, gab es eine zweite längere Prozedur.
Doch mit dieser 48-Stunden-Regelung zog sich Den Haag nicht nur herbe Kritik von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International zu: Die Regelung hatte auch nicht den gewünschten Effekt. Denn Folge war, dass sich 80 Prozent aller Fälle nicht innerhalb von 48 Stunden klären ließen – und in dem längeren Verfahren landeten. Deshalb wurden 2010 aus den 48 Stunden acht Tage.
Acht-Tage-Regelung funktioniert nicht mehr
In diesen acht Tagen lassen sich nun weitaus mehr Asylanfragen behandeln als vor 2010 – über 70 Prozent. Bis vor kurzem jedenfalls: Denn dem Flüchtlingsstrom der letzten Wochen und Monate sind auch die Einwanderungsbehörden nicht gewachsen. Bei syrischen Asylbewerbern kann die Acht-Tage-Vorgabe in der Regel eingehalten werden, doch das geht auf Kosten der anderen: Bei Flüchtlingen aus Eritrea etwa kommt zu Verzögerungen von bis zu einem Jahr.
An der Zahl der Berufungs - und Folgeverfahren bei einem abgelehnten Asylantrag hat die Reform nichts geändert. Denn die Acht-Tage–Regelung reicht nicht aus, um jeden einzelnen Fall sorgfältig zu prüfen. Und so kommt es, dass abgelehnte Asylbewerber immer wieder neue Asylanträge stellen – bis zu fünfmal. Insgesamt geht es bei 15 Prozent aller Asylanträge um Folgeverfahren.
Das ist Wasser auf die Mühlen von Geert Wilders und seiner rechtspopulistischen "Partei für die Freiheit". Sie fordern ein Schließen der Grenzen. Die Busse mit Flüchtlingen, die bis dahin noch in den Niederlanden eintreffen, so Wilders, die müssten einfach nach Deutschland weitergeschickt werden:
"Dieses Land ist schuld an allem, Angela Merkel hat mit ihrer verantwortungslosen Aussage "Wir schaffen das" halb Afrika nach Europa eingeladen. Es wird noch mehr Proteste geben."
Wilders hofft, vom Unmut der Bürger zu profitieren. Umfragen zufolge könnte er die Zahl seiner Mandate im Parlament verdreifachen und stärkste Kraft werden. Ob es so weit kommt, bleibt abzuwarten. Das Dörfchen Oranje hat inzwischen 100 der ursprünglich 700 weiteren Ayslbewerber aufgenommen und - so wie die ersten 700 - freundlich empfangen. Denn eines dürfe nicht vergessen werden, das betonen auch die Einwohner selbst immer wieder: Ihre Wut richte sich nicht gegen die Asylbewerber, sondern gegen die unfähigen Politiker in Den Haag.