Sie sind steil, die Treppen der altholländischen Häuser. So steil, dass man sie guten Gewissens als Leitern bezeichnen könnte. Das gilt auch für das 400 Jahre alte Grachtenhaus im Herzen von Amsterdam, in dem Gijs Doeglas mit seiner Frau und den beiden Kindern wohnt. Ganz oben, in den beiden Geschossen unterm Dach. Noch eine Treppe, und der 49-jährige Biologe steht auf seiner gut 16 qm großen Dachterrasse. Von dort aus hat er eine fantastische Aussicht über die Dächer der Stadt. Und über seinen Gemüsegarten:
"Sehen Sie – da steht er, in der Ecke. In einer Holzbox, zweimal einen Meter groß. Am anderen Ende der Terrasse ist die Essecke, da sitzen wir im Sommer immer. Und können den Tomaten, Erdbeeren und dem Brokkoli beim Wachsen zuschauen. Wir haben hier oben sogar noch Platz für eine Regentonne."
Mit dem Wasser gießt Gijs im Sommer sein Gemüsebeet – und nutzt es im Winter für die WC-Spülung. Das Badezimmer liegt direkt unter der Dachterrasse. Einfach vorbildlich, finden Klimaexperten und Umweltschützer. Sie wünschen sich mehr Bürger wie Gijs Doeglas. Damit Städte wie Amsterdam den Folgen des Klimawandels besser gewachsen sind. Denn der lässt nicht nur den Meeresspiegel ansteigen, sondern sorgt auch für stärkere Regenfälle.
Steinigstes Land Europas nach Malta
Doch die dicht besiedelten Niederlande sind nach Malta das steinigste Land Europas, erklärt Kim Sauter von "One World". Die Klima- und Umweltorganisation hat den berühmtesten Platz in Amsterdam, den Dam, in diesem Herbst einen Tag lang in eine grüne Oase verwandelt:
"Der Dam ist das steinerne Herz von Amsterdam – da sprießt normalerweise kein einziger Grashalm! Nicht viel besser sieht es in den Gärten von uns Niederländern aus: Fast jeder zweite hat ihn zugepflastert. Aus Bequemlichkeit oder aus Zeitmangel. Weil neben Beruf und Familie keine Zeit mehr fürs Rasenmähen oder Unkrautjäten bleibt. Das Regenwasser jedoch kann dadurch nicht mehr abfließen."
Darüber aber sind sich die wenigsten Bürger bewusst. Obwohl ihr Land als Paradebeispiel für eine Nation gilt, die es gelernt hat, mit dem Wasser zu leben und es in kontrollierte Bahnen zu leiten. Egal ob New Orleans oder Bangladesch – sobald es irgendwo auf der Welt zu Wasserproblemen kommt, werden die Niederländer um Hilfe gerufen:
"Dann ist das Knowhow unserer Wasserbauingenieure gefragt. Auf sie vertraut auch der Durchschnittsniederländer. Und denkt, dass er selbst nichts weiter zu tun braucht und die Hände in den Schoß legen kann. Unser Wasserbewusstsein ist sehr niedrig. Das muss anders werden. Auch der Bürger muss seinen Teil dazu beitragen, um seine Stadt gegen den Klimawandel zu wappnen."
Zum Beispiel, indem Flachdächer mit Grasmatten und Terrassen mit Blumenbeeten oder zumindest mit großen Töpfen versehen werden, auch die helfen, das Regenwasser aufzufangen. Und selbst auf dem allerkleinsten Balkon sei noch Platz für das so genannte vertikale "bottle gardening": ineinander gesteckte und mit Erde gefüllte Plastikflaschen, in denen Küchenkräuter zum Beispiel ganz vorzüglich gedeihen.
Millionenschäden durch Regenwasser
Doch bislang sind solche Maßnahmen noch die Ausnahme. Um das festzustellen, braucht auch Gijs Doeglas nur den Blick über die Dachlandschaft vor ihm schweifen zu lassen. Auf den Flachdächern der weitaus meisten Häuser liegen Kieselsteine. Dabei sei es ganz einfach, sie mit einer 20 Zentimeter dicken Grasmatte zu versehen. Die könne das Regenwasser in kleinen Mengen und ganz allmählich in die Kanalisation abführen und sei darüber hinaus ein idealer Isolator – im Sommer gegen Hitze, im Winter gegen Kälte.
In Amsterdam sind inzwischen so genannte Dach-Doktoren unterwegs, freiberuflich, die den Bürgern beim Begrünen ihrer Dächer und Balkone mit Rat und Tat zur Seite stehen – sehr zur Freude von Umweltschützern wie Kim Sauter.
"Wir können es uns nicht mehr leisten, noch mehr Zeit zu verlieren. Auch Menschen hoch oben im dritten oder vierten Stock sind vor dem Wasser nicht mehr sicher: Bei starken Regenfällen strömt es über die Balkone in die Wohnungen. Nicht nur in Amsterdam. Vielen Städten in Europa entstehen dadurch Schäden in Millionenhöhe. Allein in Kopenhagen ging es im letzten Jahr um eine Milliarde Euro. Dabei wäre das gar nicht nötig, es gibt ganz einfache Gegenmaßnahmen: Fangt das Wasser auf! Macht etwas damit!"