Archiv

Niederlande
Rutte muss neue Bündnisse schmieden

Für den niederländischen Ministerpräsident Mark Rutte wird das Regieren künftig noch komplizierter. Die Große Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten war schon immer auf drei kleine Bündnisparteien angewiesen. Seit den Provinzwahlen im März muss Rutte aber noch mehr Partner ins Boot holen, um eine Mehrheit zu haben.

Von Kerstin Schweighöfer | 03.06.2015
    Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte
    Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte (picture alliance / dpa - Julien Warnand)
    "Das niederländische Steuersystem bedarf dringender Modernisierung. Um unsere Infrastruktur ist es bessergestellt als um unser Steuersystem! Das Tempo, mit dem unsere Wirtschaft wächst, lässt zu wünschen übrig - deshalb brauchen wir diese Modernisierung!"
    Klaas Knot, der Präsident der niederländischen Notenbank. So wie er haben in den letzten Monaten viele Experten an die Regierung in Den Haag appelliert, die längst zugesagte Reform des völlig überholten Steuersystems endlich durchzuführen. Das Land erholt sich gerade von der schwersten Rezession seit 30 Jahren. Es gilt, die Wirtschaft anzukurbeln und die Zahl der Arbeitslosen weiter zu senken. Das verlangt auch Fraktionschef Alexander Pechthold von der linksliberalen Oppositionspartei D66: "Arbeit muss billiger werden, das gesamte Steuersystem grüner und einfacher. Das hat die Regierung versprochen! Aber ich höre und sehe nichts!"
    Eigentlich hatte der rechtsliberale Premierminister Mark Rutte die lang erwartete Gesetzesvorlage noch vor der Sommerpause präsentieren wollen. Aber daraus wird nichts: Er brauche noch mehr Zeit, räumte er vor wenigen Tagen ein. Er müsse noch weitere Verhandlungen hinter den Kulissen führen.
    Schuld daran sind die Wahlen zum Senat, die Ruttes Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialdemokraten schwere Verluste beschert haben - eine Quittung für den drastischen Sparkurs der letzten Jahre. Dadurch hat die Regierung in dieser Ersten Kammer des Parlaments weiter an Macht einbüßen müssen. Der Senat ist mit dem deutschen Bundesrat vergleichbar: Er verabschiedet Gesetzesvorlagen - oder blockiert sie.
    Politische Landschaft total zersplittert
    Ruttes Große Koalition war dort bereits ohne Mehrheit und auf drei kleine Oppositionsparteien angewiesen, die ihre Unterstützung zugesagt hatten. Doch diese drei reichen fortan nicht mehr aus: Nun braucht Rutte vier oder sogar fünf Bündnispartner, um ein Gesetz zu verabschieden.
    Die politische Landschaft, soviel haben diese Wahlen deutlich gemacht, ist total zersplittert. Nicht zuletzt deswegen, weil die Niederländer im Gegensatz zu anderen Ländern mit Verhältniswahlrecht keine künstliche Sperrklausel kennen wie die deutsche Fünf-Prozent-Hürde. Dadurch haben auch kleine Parteien eine Chance auf Sitze im Parlament.
    Doch nun ist es so weit gekommen, dass im Senat keine einzige große Partei mehr übrig geblieben ist: Ruttes rechtsliberale Regierungspartei VVD ist zwar nach wie vor die grösste, bringt es aber nur noch auf 15,8 Prozent der Stimmen. "Wir sind die kleinste größte Partei der Welt", konstatierte der Premierminister - und demonstrierte dennoch Gelassenheit:
    Natürlich könne das Land trotzdem weiterhin regiert werden, versicherte er den Wählern. Erstens habe sein Kabinett Übung im Suchen von Bündnispartnern. Und zweitens das vollste Vertrauen in die größten Oppositionsparteien im Senat, sprich: in Christdemokraten und Linksliberale. Die würden der Regierung schon dabei helfen, den Genesungsprozess der Wirtschaft zu vollenden, und sich nicht aus der Verantwortung stehlen.
    Doch Christdemokraten und Linksliberale haben bereits klar gemacht, dass es sich der Premier so leicht nicht machen könne. Was er präsentiere, müsse Hand und Fuß haben. Mit anderen Worten: Das politische Spiel ist noch komplizierter geworden, der Preis, um Gesetze erfolgreich durch den Senat zu lotsen, weiter gestiegen.
    Rutte sucht nach Mehrheit für Steuerreform
    Aber: Es gibt einen Silberstreifen am Horizont: Aus dem Gröbsten ist dieses Kabinett heraus. Die wichtigsten Maßnahmen konnte es bereits durchziehen - sowohl auf dem Wohnungs- als auch auf dem Arbeitsmarkt. Die Zeit der harten Sparpolitik ist vorbei, die Wirtschaft zeigt wieder Lebenszeichen.
    Beobachter sind sich einig, dass es da um einiges leichter sein dürfte, das letzte große Projekt durchzuziehen - die Steuerreform. Hinter den Kulissen sucht Rutte zwar noch nach Bündnispartnern. Um eine von vielen Gelegenheitskoalitionen zu schmieden, auf die er im Senat fortan angewiesen ist. Aber Steuersenkungen lassen sich nun mal leichter verkaufen als Einsparungen beim Arbeitslosengeld oder die Erhöhung des Rentenalters.
    Nicht ausgeschlossen also, dass dieses niederländische Kabinett es schafft, bis zum Ende seiner Legislaturperiode 2017 durchzuhalten - es wäre das erste seit 17 Jahren.