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Niederlande streiten über EU-Kurs

Über die Zukunft Europas haben Mark Ruttes VVD-Partei und ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner unterschiedliche Auffassungen: Während die Sozialdemokraten am liebsten weiter nach vorne preschen würden, möchten die Rechtsliberalen auf die Bremse treten.

Von Kerstin Schweighöfer |
    "Auch der niederländische Premierminister muss so wie sein britischer Kollege Cameron den Wählern klarmachen, wie er sich die Zukunft Europas vorstellt. Das Parlament hat ihn gefragt. Doch was antwortet unser Ministerpräsident? 'Meine Beamten beschäftigen sich noch mit dieser Frage, in zwei Wochen kommt die Antwort.' Sagt er das auch, wenn ihm diese Frage jetzt auf dem EU-Gipfel gestellt wird? 'Meine Beamten sind noch am Schreiben?'"

    Fraktionsführer Sybrand van Haersma Buma von der christdemokratischen Oppositionspartei CDA über den unschlüssigen niederländischen Ministerpräsidenten: Mark Rutte müsse endlich Farbe bekennen, hat Buma diese Woche bei der großen Europa-Debatte im niederländischen Parlament gefordert.
    Doch der hält sich zurück und bleibt wortkarg. Der Grund: Über die Zukunft Europas haben Ruttes rechtsliberale VVD-Partei und ihr sozialdemokratischer Koalitionspartner unterschiedliche Auffassungen: Während die Sozialdemokraten am liebsten weiter nach vorne preschen würden, möchten die Rechtsliberalen auf die Bremse treten. Von einem einheitlichen Kurs kann keine Rede sein. Hohn und Spott der Oppositionsparteien sind die Folge:

    ""Der eine will nach vorne, der andere zurück”, schimpfte Alexander Pechthold, Fraktionsführer der linksliberalen D66-Partei und überzeugter Europäer. "Was will dieses Kabinett eigentlich?"

    Nach den Neuwahlen im letzten September hatte Rutte mit dem Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten Diederik Samsom innerhalb von nur sechs Wochen ein neues Kabinett gebildet - wohl wissend, dass beide Parteien in einigen Punkten unterschiedliche Auffassungen vertreten. Zum Beispiel, was Europa angeht. Rutte und Samsom beschlossen deshalb, diese heikle Frage einfach auf die lange Bank zu schieben. Man würde schon einen Kompromiss finden. Der soll unter dem Namen "Staat van de Unie”, "Der Stand der Union” Mitte Februar öffentlich gemacht werden. Premierminister Mark Rutte:

    "”Es geht hier um zwei Parteien, die in vielerlei Hinsicht fundamental anders denken. Auch was Europa betrifft, gibt es – milde ausgedrückt – Akzentunterschiede. Aber dann muss man versuchen, sich auf ein gemeinsames Programm zu einigen, und das tun wir mit dem 'Staat van de Unie'.""

    Doch während Rutte seine Beamten schreiben lässt, bliesen die Christdemokraten unerwartet zum Angriff: In der Tageszeitung "Volkskrant" rief Fraktionsführer Buma zu einer Rückübertragung von Kompetenzen nach Den Haag auf und veröffentlichte eine ganze Liste von Beispielen: angefangen beim Schwangerschaftsurlaub bis hin zu Grenzwerten für Nitrate und Feinstaub. Damit überraschte die Partei Freund und Feind und sorgte im ganzen Land für Schlagzeilen:

    Bislang galten die Christdemokraten als überzeugte Europäer. Doch bei den letzten Wahlen im Herbst musste die Partei zum zweiten Mal hintereinander massive Verluste hinnehmen und hat nur noch 13 von 150 Mandaten inne. Die einst so mächtige Volkspartei muss eine neue Identität finden, um den Niedergang zu stoppen. Deshalb der plötzliche Positionswechsel in Sachen Europa. Das sei scheinheilig, meinen nicht nur die anderen Parteien, sondern auch Neelie Kroes, die rechtsliberale niederländische EU-Kommissarin meldete sich aus dem fernen Brüssel zu Wort:

    Dass der Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten zum Abtrünnigen geworden sei, passe zum Hintergrund dieser Partei, konterte Kroes, um dann richtigzustellen, dass vieles auf der Liste von Buma nicht stimme: Einige Punkte würden nicht oder noch nicht europäisch geregelt. Wenn diese Debatte schon mit Listen geführt werden müsse, so Kroes weiter, dann sollte die Listen doch bitteschön auf Tatsachen beruhen.

    Fortsetzung folgt. Denn diese Debatte wird mit Sicherheit weitergehen. Wie sich die Niederländer die Zukunft Europas vorstellen, ist nach wie vor unklar.

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