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Niederlande und Europa
Mark Rutte will mehr Macht und Einfluss

Er galt als „Mr. No“ in Europa: Der niederländische Regierungschef Mark Rutte. An der Seite Deutschlands und Großbritanniens hatte er bislang mächtige Mitstreiter. Doch nun orientiert Mark Rutte sich anders, in Richtung Paris, um nicht im europapolitischen Abseits zu landen, sagt Kerstin Schweighöfer.

Kerstin Schweighöfer im Gespräch mit Katrin Michaelsen |
    Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte winkt.
    Ministerpräsident Mark Rutte ist auf der Suche nach neuen Bündnis-Partnern in Europa (dpa / Yoan Valat)
    Vor allem in Osteuropa ist der Name Frans Timmermans ein Begriff. Der Vize-Präsident der EU-Kommission hat mit den Regierungen in Polen, Ungarn und Rumänien darüber gestritten, was einen Rechtsstaat nach europäischen Maßstäben ausmacht.
    Seit dieser Woche aber ist der Niederländer Frans Timmermans auch in eigener Sache unterwegs, er hat angekündigt, dass er sich für die Sozialdemokraten um den Chefposten bei der EU-Kommission bewirbt. Um die Nachfolge von Jean-Claude Juncker.
    Ein weiterer Name also im Rennen um die Führung der mächtigen Brüsseler Behörde und ein ernstzunehmender Konkurrent für den Deutschen Manfred Weber und den Finnen Alexander Stubb von der Europäischen Volkpartei.
    Zunächst aber muss Frans Timmermans um Unterstützer werben. Nicht nur in der eigenen Partei, bei den Sozialdemokraten. Ein wichtiges Wort mitzureden hat auch die niederländische Regierung, also Regierungschef Mark Rutte.
    Katrin Michaelsen: Kerstin Schweighöfer in Den Haag
    Kann Frans Timmermanns mit der Unterstützung von Ministerpräsident Mark Rutte rechnen?
    Kerstin Schweighöfer: Oh ja. Mark Rutte hat sich bereits hinter ihn gestellt und ihn als "voortreffelijk" bezeichnet, also als ausgezeichneten Kandidaten, und dass, obwohl Frans Timmermans ja einer anderen Partei angehört. Er ist Sozialdemokrat und die Sozialdemokraten haben auch hier in den Niederlanden bei den letzten Wahlen 2017 eine empfindliche Niederlage erlitten. Die sind in der Opposition gelandet und erhielten nur noch ganze 5,7 Prozent aller Stimmen. Aber, so hat Rutte betont, der ja der liberalen VVD angehört, es gehe hier um mehr als Parteipolitik. Ich will für uns Niederländer den besten Posten in Brüssel, hat Mark Rutte gesagt, und für viele ist der 57 Jahre alte Frans Timmermans der beste Mann für den besten Posten. Er ist ja auch charismatisch, routiniert, besticht durch sein Wissen, seine Fremdsprachenkenntnisse. Er könnte also überall in Europa problemlos in den Wahlkampf geschickt werden. Und es gelingt Frans Timmermans ja auch immer, den Europa-Gegnern auf geistreiche Art und Weise den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zum Beispiel eben den Nationalisten, die auf nationale Souveränität beharren, da sagt Frans Timmermans gerne: "Ein Mann in der Wüste ist auch souverän, aber nicht eben unbedingt beneidenswert." Frans Timmermans findet, dass Europa feststeckt, dass es zu sehr gefangen ist im Hier und Jetzt, die Europäer denken zu wenig an Morgen und das Gestern und Vorgestern haben sie vergessen, sagte er. Und daran will er etwas tun und viele Niederländer sind bereits regelrecht aus dem Häuschen "Onze Frans", heißt es wird der "Baas von Europa", unser Franz wird der Chef Europas.
    Mark Rutte will nicht im europapolitischen Abseits landen
    Katrin Michaelsen: Mark Rutte, sagen Sie, steht hinter Frans Timmermann, gleichzeitig aber - das berichtet das Magazin politico - will Mark Rutte mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf europäischer Ebene eine Allianz eingehen. Wie passt das zusammen?
    Kerstin Schweighöfer: Das hat alles mit Macht und mit Einfluss zu tun. Den Haag hat einfach Angst in Brüssel im Abseits zu landen. Erstens hat sich Mark Rutte in den letzten Jahren als Nein-Sager einen Namen gemacht, als "Mister No". So ist er gegen ein weiteres Zusammenwachsen und will auch nicht noch mehr Kompetenzen an Brüssel abgeben, Den Haag ist auch vehement gegen ein Eurozonen-Budget, gegen die Aufstockung des EU-Haushaltes, gegen einen EU-Finanzminister. Und zweiter Punkt, ganz wichtig, die Niederländer haben durch den Brexit oder werden durch den Brexit einen wichtigen Bündnispartner verlieren. Bislang konnten sie einfach darauf vertrauen, dass die Briten für sie in Brüssel auf die Bremse traten, doch das geht eben jetzt nicht mehr. Und inzwischen sind sie zu der Einsicht gelangt, wer immer nur "Nein" sagt, der hat überhaupt keinen Einfluss, der kann nichts bewirken, und da ist eben besser, sich konstruktiv zu geben und dafür zu sorgen, mit ans Steuer greifen zu können. Und diese Gelegenheit bietet eben die Allianz mit Emmanuel Macron. Sie könnte dafür sorgen, die Liberalen, die im Europa-Parlament bislang viertstärkste Kraft sind, zur zweitstärksten werden könnten, und das bedeutet mehr Einfluss, das bedeutet mehr Macht, und deshalb galt es, Emmanuel Macron an Bord zu holen. Oder wie das NRC Handelsblad geschrieben hat "Es gibt einen großen Fisch, der heißt Macron, und der Mann, der ihn fangen soll, der heißt Rutte."
    Mark Rutte und Emmanuel Macron gelten als liberales Dream-Team
    Katrin Michaelsen: Was würden Sie sagen, wer ist da wem ins Netz gegangen?
    Kerstin Schweighöfer: Ja das ist eine gute Frage. Emannuel Macron wird sich wohl mit Sicherheit nicht einfach so – um es mal respektlos zu sagen, einem Alt-Herrenclub anschließen. Der wird den Liberalen einen neuen Namen, ein neues Logo und ein neues Gesicht verpassen wollen. Wobei er und Rutte da als liberales Dream-Team gelten, auch wenn sie inhaltlich nicht immer einer Meinung sind, vor allem wenn es ums Geld und um den Haushalt geht. Aber auch Mark Rutte will, so wie Emmanuel Macron, und eben anders als Angela Merkel, den internen Markt modernisieren, da ziehen sie durchaus an einem Strang. Und beide haben eine jugendliche, moderne Ausstrahlung, die werden gehandelt hier als Hauptarchitekten einer neuen jungen liberalen Bewegung in Europa, da ist von der Erasmus-Generation die Rede, der gehören übrigens auch der liberale belgische Premier Charles Michel an, der ist 42 Jahre alt und Luxemburgs Premier Xavier Bettel, der ist 45, wobei Mark Rutte da mit seinen 51 der älteste im Bunde wäre.
    Die Achse Berlin-Paris ist rostig geworden
    Katrin Michaelsen: Frau Schweighöfer, wie schätzen sie das ein, ist die Allianz mit Emmannuel Macron auch als eine Absage an Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der europapolitischen Bühne zu sehen?
    Kerstin Schweighöfer: Die Niederländer, die haben ja immer mit Argusaugen darüber gewacht, dass die Achse Paris – Berlin nicht zu stark wird und Wert darauf gelegt selbst eine solide Achse zwischen Den Haag und Berlin zu haben. Und oft wurde an einem Strang gezogen, sicher wenn es ums Geld ging oder um die Haushaltsdisziplin, da sind Deutsche und Niederländer einer Meinung. Und nicht umsonst hieß es ja in Brüssel bisher, die Niederländer sind zwar mit den Briten einer Meinung, aber dann tun sie doch das, was die Deutschen wollen. Und am Mittwochabend war Angela Merkel ja erst in Den Haag, um Mark Rutte zu treffen, um über Themen wie den Brexit und die Migration zu sprechen und beide Länder wollen, dass Flüchtlinge nach dem Vorbild des Türkei-Deals auch außerhalb Europas aufgefangen werden. Aber jetzt könnte das alles ein bisschen anders werden. Es heißt hier, die Achse Paris-Berlin sei rostig geworden und die Position von Merkel geschwächt. Und durch die Allianz mit Macron entsteht ganz einfach eine neue Achse zwischen Den Haag und Paris. Und das könnte nicht nur auf Kosten des Einflusses gehen, den Berlin bislang in Paris und in Den Haag hat, sondern auch auf Kosten des Einflusses von Deutschland in Brüssel.