Archiv

Niedersachsen
Bilanz der Agrarwende

Der grüne Landesagrarminister Christian Meyer will die Agrarwende für Niedersachsen: weg von der industriell geprägten Massentierhaltung hin zu einer tiergerechteren, bäuerlich geprägten Landwirtschaft. Jahresbilanz in einem Bundesland, wo die moderne Intensivtierhaltung ein wichtiger Wirtschaftszweig ist.

Von Alexander Budde | 18.02.2014
    Zu sehen sind Schweine in einem Mastbetrieb.
    Schweine im Mastbetrieb: Intensivtierhaltung ist in Niedersachsen ein wichtiger Wirtschaftszweig. (picture alliance / dpa / Foto: Carsten Rehder)
    Der Bio-Bauer Hubertus von Hörsten outet sich gern als Fan des niedersächsischen Agrarministers Christian Meyer.´
    "Den Mann finde ich so cool! Weil da Innovation stattfindet. Die überlegen sich, nicht nur dagegen zu gehen, sondern zu sehen, wie ist die Lage der Landwirte. Wenn Sie sehen, was heute passiert in der konventionellen Landwirtschaft: 500 Kühe, 30.000 Schweine, 40.000 Hähnchen – ich würde so kein Bauer sein wollen!"
    Kein Minister allein für die Bauern
    Wachsen oder weichen – so lautete im Agrarland Nummer eins jahrzehntelang die Devise. Immer größere Ställe wurden gebaut, zugleich nahm die Zahl der bäuerlichen Familienbetriebe rasant ab. In Niedersachsen ist in den vergangenen zehn Jahren fast jeder dritte Bauernhof vom Markt verschwunden. Der Kurswechsel sei nun eingeleitet, lobt sich Christian Meyer. Und der 38-jährige Grünen-Politiker betont bei jeder Gelegenheit, dass er kein Minister allein für die Bauern, sondern eben auch ein Minister für die Verbraucher sei. Und diese seien sensibler geworden, wollten nicht länger, dass Puten die Schnäbel gekürzt und Schweinen die Schwänze abgeschnitten werden.
    "Wir haben uns in Niedersachsen vorgenommen, eine sanfte Agrarwende zu machen. Schrittweise, die Landwirtschaft tiergerechter, bäuerlicher aufzustellen. Die Förderbedingungen darauf auszurichten. Auch was Menschen wollen, nicht mehr diese Qualbilder. Weniger Antibiotika-Einsatz. Es betrifft uns eben alle, wie wir essen, wie die Tiere leben, wie Lebensmittel erzeugt werden."
    Viele Landwirte, die konventionell wirtschaften, sehen sich durch Meyers Politik an den Pranger gestellt, pauschal verunglimpft vor allem durch Lebensmittelskandale, für die sie sich nicht in der Verantwortung sehen. Wie umgehen mit einem Minister, der Seite an Seite mit Tierschützern gegen Schlachthöfe demonstriert und der dafür gesorgt hat, dass EU-Fördergelder künftig umgelenkt werden? Gabivon der Brelie spricht für das Landvolk. Der größte Bauernverband in Niedersachsen reibt sich vor allem am provokanten Tonfall des Ministers. Wer Veränderungen wolle, sollte sich bemühen, alle Beteiligten auf dem Wege mitzunehmen.
    "Herr Meyer hat ja sehr stark sich eingesetzt, Kleinere zu fördern, was sicher auch sein gutes Recht ist. Aber er sollte dann dabei auch fairerweise sagen: Wenn er bestimmte Gruppen besonders fördern möchte, nimmt er natürlich vorweg allen schon einmal etwas aus dem Portemonnaie. Und das hat er bisher immer verschwiegen."
    Absehbare Konflikte
    Die Konflikte sind absehbar, denn bislang durften die Bauern die Direktzahlungen aus Brüssel als festen Teil ihres Einkommens verbuchen. 60 bis 80 Prozent des durchschnittlichen Betriebsgewinns machten die sogenannten Hektarprämien aus. Durch die Umschichtungen würden Landwirte nicht nur in Niedersachsen, sondern in ganz Deutschland im europäischen Wettbewerb benachteiligt, klagt die Bauernlobby. Denn die in Aussicht gestellten Kompensationszahlungen etwa für extensive Grünlandnutzung und Tierhaltung stünden in keinerlei Verhältnis zu dem, was an neuen Auflagen auf die Betriebe zukomme.
    Jeder Bundesbürger zahlt im Jahr rund 100 Euro für die EU-Agrarpolitik, hält Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) im "Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken" dagegen. Zu Recht frage die Gesellschaft nach der Verwendung dieser Mittel:
    Rund 100 Euro pro Jahr für EU-Agrarpolitik
    "Bisher ging das zu einem großen Teil an Großbetriebe, die gerade Bauern verdrängt haben. Und es ist dringend notwendig, dass die EU-Agrarreform und auch die Politiker auf Landesebene dafür sorgen, dass diese Zahlungen weiter Akzeptanz behalten. Und deswegen ist diese Umlenkung in eine bäuerliche Landwirtschaft mit einer akzeptablen Art der Produktion der einzige Weg, diese Subventionen zu erhalten und letztlich auch die Akzeptanz in den Dörfern zu behalten."
    Meyer sei auch als Minister um richtige Antworten auf die Bürgerproteste gegen Massentierhaltung und industrielle Agrarproduktion bemüht, attestiert Niemann dem einstigen NGO-Weggefährten. Ein Beispiel sei der Stallbau-Erlass für Schweinehalter, der aufwendige Filtersysteme gegen Ammoniak, Stäube und Gerüche sowie Gutachten zum Keimschutz für Anlagen mit mehr als 2.000 Mastplätzen vorschreibt. Ein Versprechen eingelöst habe Meyer auch mit der Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Förderung des Öko-Landbaus. Das bisherige Schlusslicht in der bundesweiten Förderung schwinge sich zum Vorreiter auf.