An diesem Abend sind die Eheleute Vera Geldmacher und Egbert Bolmerg zu Besuch bei den Nachbarn. Die Kinder drängen heran, fangen den drahtigen End-50er Bolmerg zum Fußballspiel auf der Wiese ab. Bolmerg erinnert sich noch gut, was ihm im Kopf umging, damals im November als die Flüchtlinge kamen.
"Bei mir war zunächst eine große Verunsicherung, weil ich gar nicht einschätzen konnte, was sind das für Menschen, was erwarten die, was können wir denen bieten, wie soll ich denen gegenübertreten, muss man gleich mit Hilfeleistungen kommen, kulturelle Unterschiede? Ich habe eigentlich nur Fragezeichen gehabt."
Rund 700 Einwohner hat das Dorf bei Lüneburg. Die jüngst Zugezogenen flohen aus dem Sudan und aus Somalia. In dem ehemaligen Gasthof aus rotem Backstein stehen Fenster und Türen offen. Wie beiläufig zieht es Vera Geldmacher zum Plausch in die enge Küche. Tee wird mit reichlich Zucker und Kardamon aufgebrüht.
"Wir waren betroffen von Situation der Flüchtlinge weltweit und hatten uns fest vorgenommen, zu helfen. Das war für uns selbstverständlich. Die Überlegung war dann, erst mal einfach hinzugehen und zu fragen, wie es ihnen dort geht, ob sie Hilfe benötigen und das war dann höchst einfach. Als wir dann wirklich losgegangen sind, haben wir einfach geklingelt und sofort wurde die Tür geöffnet und wir wurden hineingewunken."
Gastfreundschaft gegenüber Flüchtlingen
In der Dorfgemeinschaft sei die Gastfreundschaft Konsens, sagt Geldmacher. Gerade die Älteren seien für ihre zupackenden Initiativen bekannt. Nach dem Krieg waren hier schon einmal Flüchtlinge auf engstem Raum mit Kind und Kegel einquartiert. Auch Jens Thomsen gesellt sich jetzt dazu. Er macht mit bei der Bürgerinitiative. Im Hof rückt er mit den Männern Stühle in die Sonne. Vor elf Jahren ist der Werber aus Hamburg nach Barnstedt gezogen.
Im Einsatz für die Flüchtlinge sind sie alle zusammengerückt. Thomsen erzählt vom Lehrerehepaar, das den Sudanesen zweimal die Woche Deutschunterricht gibt, während andere Dorfbewohner die Kinder hüten. Und von seinen schweigsamen Nachbarn, die nachts als die verzweifelten Mütter klingelten ohne Vertun aus den Federn sprangen, um fiebernde Kinder zum Arzt zu fahren.
"Dieser Prozess, der jetzt gerade stattgefunden hat, hat mich persönlich sehr viel mehr ins Dorf reingebracht als ich vorher drin war. Es hat zweierlei stattgefunden: Es hat einmal die Verbindung mit Leuten, die aus der Welt hier hergekommen sind, stattgefunden. Und innerhalb der dörflichen Gemeinschaft hat auch noch mal ein Prozess zu mehr Nähe und Nachbarschaftlichkeit stattgefunden."
Sie fühlen sich willkommen im fürsorglichen Dorf. Doch die Flüchtlinge würden gleichwohl lieber in der nächstgelegenen Stadt Lüneburg wohnen. Ohne die Fahrtdienste der Dorfbewohner wäre der Supermarkt zum Einkaufen kaum erreichbar.
"Wir haben keinen Anschluss ans Internet", erzählt dieser junge Mann, der aus dem Sudan geflohen ist. Das Mobiltelefon hat kaum Empfang. Er muss auf einen Hügel steigen, um seine Angehörigen zu erreichen. Auch diese verschleierte junge Frau aus dem Sudan erzählt von den Belastungen, durch Streitereien und drangvolle Enge im Haus. Neun Personen in drei Zimmern.
Dramatische Fluchtschicksale
Dazu kommt die Ungewissheit der vorerst nur Geduldeten, die Sorge um den Mann, von dem sie keine Nachricht hat, seit die Familie in Libyen getrennt wurde. Da waren der Strand, die Boote, die Milizen.
"Wir sind in einem Boot gelandet. Ich schwanger im vierten Monat, rechts und links klammerten sich meine beiden anderen Kinder. Das Wasser kommt von unten, die Wellen branden heran, Schüsse kommen aus allen Richtungen. Wir dachten, wir müssen sterben."
Dass sie am Fluchtpunkt Deutschland zum Nichtstun verurteilt sind, belastet die Menschen besonders. Auch hier versucht die Bürgerinitiative, zu helfen. Ein Bauer hat den Sudanesen Fläche überlassen, wo sie zur Selbstversorgung Kartoffeln und Gemüse anbauen. Drei ältere Flüchtlingskinder helfen bei der Feuerwehr. Dorfbewohner helfen bei Behördengängen und beim Übersetzen und Interpretieren der vielen amtlichen Bescheide.
Egbert Bolmerg sitzt im Rat der kleinen Samtgemeinde Ilmenau. 55 Flüchtlinge haben sie insgesamt aufgenommen. Beachtlich sei das, sagt der Kommunalpolitiker zum Abschied. Die deutsche Diskussion um Flüchtlingskontingente und die Grenzen der Belastbarkeit beschämt ihn gleichwohl.