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Niedersachsen
Gymnasiallehrer müssen jetzt eine Stunde länger lehren

Von Alexander Budde | 11.09.2014
    Start ins neue Schuljahr im Gymnasium im Schloss im niedersächsischen Wolfenbüttel. Der Lehrer Thorsten Griesbach ist seine Sorgen im Urlaub nicht losgeworden. Die chronische Reformitis wird ihn auch im neuen Schuljahr belasten, vermutet der junge Deutschlehrer,
    "Diese zahlreichen Reformen, die teilweise auch unausgewogen sind, haben natürlich zur Folge gehabt, dass immer wieder nachgearbeitet werden musste. Dadurch ist dieser Beruf eben mehr als arbeitsintensiv geworden. Und wenn man sich überlegt, dass jetzt mit G9 wieder ein Riesenpaket mit Veränderungen kommt, die großenteils wieder an den Schulen geleistet werden, sieht man, dass dort wieder sehr viel Zeit beansprucht wird. Zeit, die ich eigentlich lieber in die Schüler investieren würde. "
    Auch Frauke Heiligenstadt erhofft sich mehr Zeit für die Schüler – genau dafür will sie die Lehrer in die Pflicht nehmen. Die Kultusministerin von der SPD will den Lehrer deutlich längere Schultage zumuten, um Schüler nach ihren jeweiligen Bedürfnissen besser fördern zu können und Eltern die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu ermöglichen. Immer mehr Schulen im Lande stellen auf Ganztagsbetrieb um. Schon im laufenden Schuljahr erhalten sie dafür eine deutlich bessere Ausstattung, insgesamt 60.000 Stunden. Das sind so viele wie noch nie, betont Heiligenstadt. Und sie kündigt ein neues Schulgesetz an, das im Schuljahr 2015 in Kraft treten soll. Statt der Ruhe, die sich viele Lehrer wünschen, dreht sie also die Reformen weiter.
    Die Novelle sieht vor, dass die so genannte Laufbahnempfehlung am Ende der Grundschulzeit abgeschafft wird - also der schriftliche Hinweis an die Eltern, welche weiterführende Schule aus Pädagogensicht wohl die geeignetste für deren Sprösslinge sei. Noten in der Grundschule und Sitzenbleiben will Rot-Grün durch mehr individuelle Förderung und durch bessere Unterrichtsbedingungen überflüssig machen.
    Durch die Schulgesetznovelle werden Schulträger von der Pflicht befreit werden, neben der Gesamtschule noch weitere Schulen des gegliederten Schulsystems - Hauptschule oder Realschule -vorzuhalten. Die Gesamtschule kann dadurch ersetzende Schulform sein, sofern Eltern und Schulträger dies wünschen. Also, ich muss natürlich keine Prophetin sein, um jetzt zu erahnen, dass möglicherweise der ein oder andere Verband daraus wieder einen angeblichen Angriff auf das Gymnasium wittern wird.
    Heiligenstadts Gegner bringen solche Pläne in der Tat auf die Palme. So fürchtet etwa der Philologenverband, dass die Aufwertung der Gesamtschulen insbesondere im ländlichen Raum andere Schulformen verdrängen könnte. Auch weiterhin soll jeder Schüler sein Gymnasium in zumutbarer Entfernung erreichen können. Um lange Fahrtwege zu vermeiden, könnten sich viele Eltern aber entscheiden, ihre Kinder auf die nächstliegende Integrierte Gesamtschule zu schicken. Die Vielfalt der Bildungslandschaft sieht auch die Opposition im Landtag bedroht. Kai Seefried von der CDU prophezeit der Ministerin einen konfliktreichen Herbst:
    "Wir erleben eine Eskalation im Umgang der niedersächsischen Landesregierung mit unseren Lehrkräften und wir befürchten, dass diese Verunsicherung und auch das Chaos, was wir derzeit an den niedersächsichen Schulen und in der Bildung in Niedersachsen erleben mit dieser großen Schulgesetznovelle noch weiter zunehmen wird."
    Die "belibteste Schulform im Lande", das Gymnasium, werde nicht angetastet, beteuert Heiligenstadt. Als für sie kaum begreifbares "Säbelrasseln" wertet die Ministerin auch die Drohung der Lehrergewerkschaft GEW, womöglich bereits bei den tarifverhandlungen im Frühjahr zu Streiks aufzurufen. Der Beamtenbund sieht den Aufruf skeptisch, denn die Landesverfassung sehe nun einmal ein Grundrecht auf Bildung vor. Auch übten lehrer hoheitliche Aufgaben aus. Doch GEW-Chef Eberhard Brandt sieht rechtlichen Spielraum für eine begründete Kampfansage:
    "Da diese Regierung mit uns nicht verhandelt hat bisher sondern bei ihrer Obrigkeit-staatlichen Tour geblieben ist, diskutieren wir, ob wir nicht auch zum Mittel des Beamtenstreiks greifen und damit das Recht weiterenwickeln. Und es muss die Regierung wissen, so einfach hören wir nicht auf."
    Mit der Drohung wehrt sich die GEW gegen die Mehrarbeit für Gymnasiallehrer. Die müssen von heute an 24,5 Stunden pro Woche unterrichten - eine mehr als bislang.