Archiv

Niedersachsen
Mögliche Rückkehr zum G9

Seit 2011 müssen Schüler in Niedersachsen ihre Abiturprüfung nach zwölf Jahren ablegen. Im vergangenen Jahr hatte Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) einen Dialog über das Turbo-Abi mit Experten gestartet. Dabei zeichnet sich ab, dass Niedersachsen als erstes Bundesland die vollständige Abkehr vom G8 verkünden könnte.

Von Alexander Budde |
    Noch ist offiziell nichts entschieden. Doch wenig Zweifel lässt Kultusministerin Frauke Heiligenstadt (SPD) aufkommen, dass dabei auch die komplette Rückkehr zum G9 eine der denkbaren Optionen sei:
    "Ich habe eine grundsätzliche Tendenz deutlich gemacht, dass es eine Systemumkehr geben kann. Hin zu einem Abitur nach neun Jahren in Niedersachsen."
    Eine "Expertengruppe" hat hinter verschlossen Türen über verschiedene Modelle zur Umgestaltung der gymnasialen Oberstufe nachgedacht. Über die Ergebnisse wird bereits im Vorfeld der offiziellen Präsentation öffentlich diskutiert. Eberhard Brandt, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, geht davon aus, dass Niedersachsen als erstes Bundesland die vollständige Abkehr vom "Turbo-Abi" verkünden wird. Flickschusterei etwa durch die Straffung von Lehrplänen oder die Einrichtung neuer Parallel-Strukturen würden nach Ansicht der GEW unweigerlich ins Chaos führen.
    "Da war das Modell Entschlackung vom G8, also Rumgetuddel am G8. Das hat niemand geglaubt, dass das möglich ist. Gymnasium Typ schnell, Typ langsam wurde einhellig abgelehnt. Bleibt also das Modell, grundsätzlich zurück nach G9."
    Entlastung der Schüler durch G9
    Für das alte G8 mag in Niedersachsen kaum ein Akteur noch streiten. G8 habe die Erwartungen bei Weitem nicht erfüllt, klagt etwa Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer vom Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. Auch der Philologenverband ist längst abgerückt, sieht Kreativität und individuelle Lernförderung auf der Strecke geblieben.
    Tatsächlich schlagen die Experten eine spürbare Entlastung der Schüler durch die Rückkehr zum G9 vor, so verlautet es aus ihren Kreisen. Fünfstündige Leistungs- und dreistündige Grundkurse regt die Expertengruppe an, die bisher üblichen Profile will man beibehalten. Eine individuelle Lernzeitverkürzung soll durch Überspringen der Klasse 11 möglich sein. Gegebenenfalls sei auch über die Einrichtung sogenannter "Schnellläuferklassen" für begabte Schüler nach der Klasse 9 nachzudenken. Denn jeder vierte Schüler eines Jahrgangs könnte laut einer internen Kalkulation der Schulen weiterhin an der Beschleunigung interessiert sein. GEW-Chef Brandt setzt auf künftig mehr Freiräume für vertieftes Lernen in echten Leistungskursen, unter Umständen auch in einem angedockten Seminarfach.
    Vorreiterrolle oder Versuchskaninchen?
    "Dann hat man Zeit für Wissenschaftspropädeutik. Es geht darum, moderne Unterrichtsmethoden anzuwenden, die mehr auf selbstständiges Lernen setzen. Schüler darin zu befähigen, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen. Wenn das konsensfähig ist, wenn man sagt, es ist nicht das einfache Zurück zum G9, sondern es ermöglicht auch die Individualisierung von Lernzeiten in der Sekundarstufe II, dann könnten andere Länder sagen: Oh, das machen wir auch nach!"
    "Ich finde, Vorreiterrolle hat immer den Beigeschmack von Versuchskaninchen,"
    hält Helge Feußahrens dagegen. Viele Schüler hätten sich mit dem Turbo-Abitur arrangiert, gibt der Vorsitzende des Landesschülerrats zu bedenken. Zwar seien mehr Freiräume etwa für ehrenamtliches Engagement, für die Vertiefung in eine dritte Fremdsprache oder in die Informatik durchaus zu begrüßen. Von vorschnellem Aktionismus aber, etwa in Form der vorgeschlagenen Umsetzung der Reform bereits zum Herbst 2015 für die Schuljahrgänge fünf bis sieben, hält der Schülerfunktionär wenig. Die Schule bräuchte vor allem Ruhe, sagt er.