Adler: Herr McAllister, Sie sind über 100 Tage im Amt, sind der jüngste Ministerpräsident in der Bundesrepublik. Werden Sie bis an Ihr Lebensende dem zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler dankbar sein?
McAllister: Im Gegenteil. Den Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident habe ich damals sehr bedauert, weil er ein anerkannter und beliebter Bundespräsident war. Und was dann in der Nachfolge passiert ist, war für alle überraschend, auch und gerade für uns in Niedersachsen. Ich kann jetzt nach knapp vier Monaten im Amt feststellen: Ministerpräsident zu sein bedeutet sehr viel mehr Post, sehr viel mehr Termine, sehr sehr viel mehr Verantwortung, aber auch noch mehr Freude an der Politik. Und ich will jetzt diese Legislaturperiode bis 2013 vernünftig zu Ende bringen, und dann sehen wir weiter.
Adler: Sie beobachten ja vermutlich ziemlich genau, was Ihr Ziehvater, was Christian Wulff in Berlin treibt. Er wäre fast in eine Falle geraten, nämlich als es um den Bundesbanker Thilo Sarrazin ging. Jetzt gibt's die nächste – sagen wir mal – Bewährungsprobe, nämlich wie er mit dem Gesetz über die Verlängerung der Atomlaufzeiten umgeht. Was würden Sie ihm raten – unterschreiben oder nicht unterschreiben?
McAllister: Ich habe dem Bundespräsidenten öffentlich keine Ratschläge zu erteilen, das gebietet schon der Respekt vor dem Amt. Ich kenne Christian Wulff seit vielen Jahren persönlich. Er ist ein enger Wegbegleiter und Vertrauter. Und aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur wird Christian Wulff ein ganz hervorragender Bundespräsident sein, weil er schon als Ministerpräsident bewiesen hat, dass er über Parteigrenzen hinweg Anerkennung und Sympathien findet. Der Berliner Politikbetrieb ist ein anderer als der in den Ländern, das beobachte ich auch nach einigen wenigen Monaten im Amt. Aber Christian Wulff wird alle ihm gestellten Fragen souverän beantworten, da braucht er keine öffentlichen Hinweise, schon gar nicht von seinem Amtsnachfolger aus Niedersachsen.
Adler: Der Bundesrat sich hat am Freitag mit einer Initiative der SPD-geführten Länder befasst, nämlich dass der Bundesrat gehört wird bei der Abstimmung über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Herr McAllister, gebietet es nicht schon die Selbstachtung, dass die Bundesländer darauf drängen, dass sie gehört werden?
McAllister: Niedersachsen hat gegen die Entschließung von Rheinland-Pfalz und andere gestimmt und zwar aus guten Gründen. Der Bundesrat ist dort zuständig, wo er zuständig ist. Und dort, wo die Zuständigkeitsfrage nicht gegeben ist, ist der Bundesrat schlicht und ergreifend nicht zuständig.
Adler: Das ist ja zumindest mal strittig.
McAllister: Diese Frage ist nicht strittig. Es gibt eindeutige Rechtsgutachten seitens der Bundesregierung, dass der Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist bei der Beteiligung der Länder. Und damit vertraue ich der Expertise der Bundesregierung und habe keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Adler: Nun braucht's ja keine prophetischen Fähigkeiten, um zu wissen, dass dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht landen wird. Das heißt also, einen gewissen strittigen Kern gibt's darin schon.
McAllister: Mehrere SPD-geführte Länder haben angekündigt, sie wollen dann gegen eine solche Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Das ist ihr gutes Recht, wir leben in einem Rechtsstaat. Und das Bundesverfassungsgericht wird uns dann endgültige Klarheit bescheren.
Adler: Herr McAllister, Sie erleben jetzt am Wochenende Proteste gegen Castor-Transporte, gegen die elf Container, die da anrollen. Das sind die mächtigsten Proteste seit vielen, vielen Jahren. Was ist in Ihren Augen eigentlich zulässig: Was ist Protest, was ist schon nicht mehr Protest, wann müssten Ihre Polizisten einschreiten und wann tun sie das auch?
McAllister: Wir haben in Niedersachsen ja eine gewisse Erfahrung mittlerweile mit Castor-Transporten, insofern ist das für uns nichts Neues mehr. Die niedersächsische Polizei bemüht sich sehr um Deeskalation und wird auch dafür allseits geschätzt. Wir haben mehr Demonstranten als sonst üblich, das hängt auch mit der politischen Diskussion in Deutschland zusammen. Ich respektiere das Engagement der Demonstranten, wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit. Das ist vollkommen in Ordnung. Ich bitte nur sehr darum, dass alle Proteste friedlich bleiben und dass es nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Die überragend große Mehrheit der Demonstranten, da bin ich mir ganz sicher, demonstriert friedlich. Aber leider gibt es Hinweise, dass eine kleine gewaltbereite Minderheit diesen friedlichen Protest ausnutzen wird, um ganz andere Aktionen zu starten. Davon unabhängig sehe ich die Aufrufe zum sogenannten "Schottern" sehr kritisch. Das Schottern von Gleisbetten ist eine rechtswidrige Straftat, und daher ist es vollkommen inakzeptabel, dass auch gewählte Abgeordnete aus den Parlamenten zu diesen Straftaten aufgerufen haben.
Adler: Wen meinen Sie da?
McAllister: Damit meine ich Abgeordnete anderer politischer Parteien aus dem linken Spektrum.
Adler: Aus dem linken Spektrum?
McAllister: Ja, es waren unter anderem Abgeordnete aus der Linkspartei, die zum Schottern aufgerufen haben.
Adler: Wie werden Sie gegen die Leute vorgehen, die – um den Begriff "Schottern" zu erklären, die tatsächlich eben Schottersteine aus dem Gleisbett rausholen, damit die Gleise dann nicht mehr fest verankert sind – wie gehen Sie gegen solche Leute vor?
McAllister: Nach nahezu einhelliger Meinung in der Rechtswissenschaft ist Schottern eine Straftat, und Straftaten müssen präventiv verhindert werden. Und falls sie getätigt werden, müssen sie anschließend strafprozessual geahndet werden.
Adler: Herr McAllister, mit der Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke wächst der Atommüll. Der Atommüll landet bislang immer in Ihrem Bundesland. Da wäre doch Widerstand aus Niedersachsen das Natürlichste von der Welt ...
McAllister: Unabhängig von der Frage, ob die Laufzeiten verlängert werden oder nicht: Die Frage der Endlagerung nuklearen Mülls muss ohnehin gelöst werden. Und momentan wird der meiste kerntechnische Abfall zwischengelagert auf den Geländen der Kernkraftwerke und zwar oberirdisch. Da könnte man ja auch mal die Frage stellen, ob das eigentlich sicher ist oder nicht. Aber dagegen richtet sich nicht der Protest. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Zwischenlagerung in Gorleben völkerrechtlich verpflichtet, und wir setzen das um, was andere politische Generationen vor uns unterschrieben haben. Zur Frage der Endlagerung ist es so: Wir müssen diese Frage lösen, und zwar meine politische Generation. Niedersachsen ist besonders betroffen – mit Schacht Konrad, mit der Asse, mit Gorleben. Das sind Entscheidungen, die in den 60er- und 70er-Jahren getroffen wurden. Aber pacta sunt servanda: Bei Gorleben haben wir eine ganz klare Position als Landesregierung: Gorleben muss ergebnisoffen zu Ende erkundet werden. Ergebnisoffen heißt halt, dass das Ergebnis noch nicht feststeht.
Adler: Wann beginnt die Fortsetzung der Erkundungsarbeiten?
McAllister: Das Moratorium ist ja jetzt grundsätzlich aufgehoben worden, und der Bundesumweltminister hat jetzt vorbereitende Tätigkeiten und Planungen aufgenommen. Wann der genaue Erkundungszeitpunkt kommt, kann ich Ihnen nicht sagen. Da gibt es noch eine ganze Reihe von juristischen Unwägbarkeiten, die noch zu klären sind. Aber ergebnisoffene Erkundung heißt: Wir brauchen noch eine ganze Weile. Ich nenne keine Jahreszahl, wie lange das dauert, bis die Erkundung abgeschlossen sein wird.
Adler: Gerade weil es so lange dauert, ist der Zeitplan, den EU-Energiekommissar Oettinger, Ihr Parteifreund, aufgestellt hat, nämlich bis zum Jahr 2015 ein Endlager zu finden, ja kaum einzuhalten – wenn man jetzt nicht anfängt, parallel zu suchen.
McAllister: Die ergebnisoffene Erkundung bedeutet, dass wir noch einige Jahre brauchen. Ich nenne auch keine feste Jahreszahl, wann wir damit fertig sind. Aber es wird wahrscheinlich noch länger dauern, als das manch ein Berliner sich vorstellt. Und am Ende des ergebnisoffenen Erkundungsprozesses haben wir Klarheit, ob Gorleben geeignet ist oder nicht. Sollte Gorleben tatsächlich geeignet sein, dann spricht vieles dafür, dass Gorleben auch das nationale Endlager wird. Sollte Gorleben sich als ungeeignet erweisen, spätestens dann muss die nationale Endlagersuche in Deutschland wieder von vorne losgehen, und zwar dann bundesweit.
Adler: Warum ein Hintereinander und nicht ein paralleles Erkunden von Endlagermöglichkeiten – zum Beispiel auch in Süddeutschland, auch wenn Ihren Parteifreunden Mappus beziehungsweise Seehofer das nicht ganz so recht sein sollte?
McAllister: Weil die deutsche Politik sich auf dieses Verfahren verständigt hat.
Adler: Das ist ja nicht in Stein gemeißelt.
McAllister: Trotzdem ist Gorleben ja schon zu über 90 Prozent zu Ende erkundet, und deshalb sollten wir uns jetzt noch einige Jahre Zeit nehmen, um Klarheit zu bekommen oder nicht.
Adler: Ist es als niedersächsischer Ministerpräsident einfacher, wenn man ein Atombefürworter ist?
McAllister: So wie in ganz Deutschland beschäftigt auch die Niedersachsen die Fragen einer zuverlässigen Energieversorgung. Und ich bin für eine pragmatische, an Sachzwängen orientierte Energiepolitik – möglichst ohne ideologische Scheuklappen. Und wir brauchen in Deutschland eine Energieversorgung, die bezahlbar ist, die ökologisch verträglich ist und entsprechende Versorgungssicherheit bietet. Und die Zukunft gehört für mich eindeutig den erneuerbaren Energien. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Unterstützer der erneuerbaren Energien bin. Und gerade Niedersachsen hat riesige Potenziale – Stichwort "Offshore-Windenergie". Also ich bin ein klarer Befürworter der erneuerbaren Energien, und trotzdem brauchen wir offensichtlich die Laufzeit der Kernkraftwerke länger als das bisher geplant war. Ich kann den Kompromiss der Bundesregierung, die moderate Laufzeitverlängerung, nur unterstützen. Wir haben 2003 und 2008 in Niedersachsen auch leidenschaftlich über die Energiepolitik im Wahlkampf gestritten, und beide Male sind CDU und FDP als Sieger hervor gegangen.
Adler: Nun ist mit den Atomkraftwerkslaufzeiten, die verlängert worden sind, eines geschehen, nämlich dass ein Kompromiss, der gefunden worden ist im Jahr 2000, also der berühmte Atomkompromiss, eine Endlaufzeit festzulegen, also ein Ausstiegsdatum festzulegen – dass genau dieser Kompromiss aufgekündigt worden ist. Damit ist das Land, was einmal in dieser Frage befriedet war, so zusagen wieder in Unruhe gestürzt worden, und Niedersachsen ist in größerem Ausmaß als jedes andere Bundesland davon betroffen. Wie können Sie das so ruhig hinnehmen?
McAllister: Die Laufzeitverlängerung ist doch nicht beschlossen worden, um das Land nicht zu befrieden…
Adler: …unter anderem ist aber eine Befriedung erreicht worden.
McAllister: Aber es geht doch hier um objektive Notwendigkeiten. Deutschland ist Industrieland, Deutschland ist darauf angewiesen, dass wir auch künftig eine Energieversorgung haben, die sicher und bezahlbar ist. Und die Menschen in Deutschland, die Kunden, haben auch einen Anspruch darauf, dass die Energiepreise bezahlbar bleiben. Wohlhabende Menschen können sich hohe Energiepreise leisten, die breite Masse der Bevölkerung hat zu Recht einen Anspruch darauf, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass der Strom für jeden Mann und jede Frau bezahlbar bleibt.
Adler: Was jetzt ja in die Stromkosten nicht mit einfließt, ist zum Beispiel das Geld, was für die Sicherung, wie an diesem Wochenende, der Castor-Transporte aufgewendet werden muss, was für die Sanierung des abgesoffenen Lagers in der Asse verwendet werden muss. Das ist alles Geld, was vom Steuerzahler kommt, aber nicht von den Atomkraftwerken, zumindest nicht direkt. Das heißt, die Bürger zahlen ja letzten Endes doppelt für den angeblich so billigen Atomstrom.
McAllister: Erstens: Das Energiekonzept beinhaltet zu Recht den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und die weitere Intensivierung der Energieforschung.
Adler: Das hat aber der Atomkompromiss auch schon beinhaltet.
McAllister: Dafür werden erhebliche Summen zur Verfügung gestellt, und zwar aufgrund der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke. Erst die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ermöglicht höhere Einnahmen aus der Brennelementesteuer und zusätzliche Abgaben in den Fonds. Das heißt, die Laufzeitverlängerung dient dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und dem weiteren Ausbau der Energieforschung. Zweitens zu den Kosten: Die Sanierung der Asse ist ein Thema für die Industrie, und deshalb wird ja die Industrie jetzt auch entsprechend an den Sanierungskosten in erheblichem Maße beteiligt. Das ist auch richtig so.
Adler: Was heißt: in erheblichem Maß?
McAllister: Nun ja, es wird ja jetzt untersucht, was mit dem Müll in der Asse passiert – mit den 126.000 Fässern. Und dazu wird ja nun auch untersucht, ob eine Rückholbarkeit gegeben ist oder nicht. Übrigens: Aus der Asse müssen wir auch bestimmte Sachen lernen und Fehler vermeiden. Für uns in Niedersachsen ist auch wichtig, dass, sollte Gorleben als Endlager infrage kommen, dass die Rückholbarkeit des nuklearen Mülls gegeben ist, denn niemand kann die technische Entwicklung vorhersehen, und niemand weiß, ob wir nicht in einigen wenigen hundert Jahren schon ganz andere technische Möglichkeiten haben als die Restbrennstäbe für hunderttausend Jahre unter die Erde zu stellen.
Adler: Sind Sie der Meinung, dass die Atomwirtschaft in gebührendem Umfang an der Atommülllagerung beteiligt wird?
McAllister: Ja, das bin ich und es sind Milliarden von Euro geflossen. Und durch das, was wir jetzt im Energiekonzept beschlossen haben, werden die Energieversorgungsunternehmen zu Recht noch einmal in erheblichem Maße zur Kasse gebeten bis an die Grenzen dessen, was sie noch für vertretbar und belastbar halten. Und trotzdem ist dieser Weg absolut richtig.
Adler: Noch mal zur Asse, Sie sagten. da werden die AKW-Betreiber erheblich beteiligt. Das heißt, tragen Sie hundert Prozent der Kosten für die Sanierung der Asse?
McAllister: Ob es nun hundert Prozent der Kosten sind oder nicht, da bin ich jetzt überfragt.
Adler: Bei den Castortransporten: Warum tragen die Kosten für die Sicherung der Castortransporte die Steuerzahler und nicht die Atomkraftwerke?
McAllister: Das ist eine klassisch bekannte Frage des Polizeirechts: Wer ist Störer oder Handlungsverursacher und damit Kostenverursacher? Und letztlich argumentiert man hier, dass die Demonstranten die Polizeikosten verursachen und nicht der eigentliche Transport. Diese Frage stellt sich ja immer wieder auch zum Beispiel bei der Frage, wer zahlt die Polizeieinsätze bei Fußballspielen oder anderen Großereignissen. Aber davon unabhängig: Niedersachsen übernimmt mit den Castor-Transporten eine Aufgabe für die gesamte Nation. Es ist eine nationale Aufgabe. Dass unser Land Niedersachsen am Ende pro Castor-Transport auf 20 bis 25 Millionen Euro zusätzlichen Polizeieinsatzkosten hängen bleibt, ist und bleibt eine Ungerechtigkeit. Das haben sozialdemokratische Ministerpräsidenten vor mir kritisiert, das hat mein Amtsvorgänger Christian Wulff kritisiert, das kritisiere ich auch. Aber im Kreis der 16 Länder haben wir da wenig Solidarität erfahren. Die Stimmungslage ist immer 15:1 gegen Niedersachsen. Aber das ist ganz besonders ärgerlich, dass wir auch noch auf diesen zusätzlichen Polizeikosten hängen bleiben. Und das kann ich als niedersächsischer Ministerpräsident auch keinem mehr in meinem Lande erklären.
Adler: Profitiert Niedersachsen denn umgekehrt bei seinen drei Atomkraftwerken von der Verlängerung der Laufzeit?
McAllister: Die Verlängerung der Laufzeiten um acht beziehungsweise 14 Jahre bedeutet auch Klarheit für die Beschäftigten in den Kraftwerken in Unterweser, in Grohnde und in Lingen, und insofern habe ich das auch vor diesem Hintergrund begrüßt.
Adler: Jetzt haben wir immer wieder die Forderung, dass auch parallel gesucht werden soll, dass in anderen Gesteinsformationen gesucht werden soll, unter anderem in Tongestein. Da sagt Frau Gönner, die Umweltministerin der CDU von Baden-Württemberg: Das ist prima, da kommt Baden-Württemberg wieder nicht zum Zuge beziehungsweise glücklicherweise nicht in Frage, denn die größten Tongesteine liegen angeblich in Niedersachsen. Das heißt, Sie werden das Thema Atommüll offenbar nie los.
McAllister: Wir haben uns jetzt darauf verständigt, dass der Standort Gorleben ergebnisoffen zu Ende erkundet wird. Und sollte Gorleben nicht geeignet sein, dann müsste spätestens dann die Standortsuche in Deutschland oder auch europaweit wieder von vorne losgehen. Eines ist allerdings klar: Niedersachsen trägt momentan die gesamte nationale Last der Endlagerung ganz alleine. Und das wird für zukünftige Standortentscheidungen dann auch ein entscheidendes Argument sein. Ich halte die Belastung Niedersachsens für nicht weiter steigerbar. Punkt.
Adler: Werden Sie Entschädigungsansprüche stellen? Ist eine solche Initiative denkbar aus Niedersachsen?
McAllister: Die Politik sieht ja für die von Endlagerlasten betroffene Region einen regionalwirtschaftlichen Ausgleich vor. Das gilt sowohl für die Region rund um Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg, das gilt beispielsweise auch für die Region rund um die Stadt Salzgitter, wo wir momentan in mühseligen Detailverhandlungen mit dem Bundesumweltministerium sind, damit endlich der Salzgitter-Fonds in die Praxis umgesetzt wird.
Adler: Woran hängt das?
McAllister: Da geht es jetzt noch um Verfahrensfragen, da geht es um Zuständigkeitsfragen. Es geht auch um die Frage, ob der regionalwirtschaftliche Ausgleich dann nur für die Stadt Salzgitter gilt oder auch für benachbarte Kommunen aus dem Landkreis Peine. Also, da ist das Landesumweltministerium in einem engen Dialog mit dem Bundesumweltministerium, und ich hoffe sehr, dass diese Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP nun auch wirklich zeitnah umgesetzt wird. Und sicherlich reden wir auch über einen regionalwirtschaftlichen Ausgleich für die Region im Landkreis Wolfenbüttel, Stichwort Asse. Mir geht es aber nicht nur um den regionalwirtschaftlichen Ausgleich. Mir geht es auch darum: Niedersachsen ist Energieland Nummer Eins. Mit Ausnahme der Kohle spielen alle Energiefragen in Niedersachsen die ganz zentrale Rolle. Wir sind geradezu wie im Fokus der Republik, es schaut alles auf Niedersachsen, wenn es um Energiepolitik geht. Und ich glaube, ein wichtiges Argument ist: Wir haben eine vorzügliche Forschungslandschaft im Bereich der Energieforschung mit dem Energieforschungszentrum in Goslar, mit Kompetenzen in den Universitäten Clausthal-Zellerfeld, Braunschweig, Hannover bis hin zu den Instituten rund um die erneuerbaren Energien wie zum Beispiel ForWind in Oldenburg. Das sind alles Institutionen, die sehr von der ausgebauten Energieforschung in Deutschland profitieren könnten. Deshalb habe ich auch gegenüber der Bundeskanzlerin deutlich gemacht, Niedersachsen muss in Fragen der Energiepolitik anders behandelt werden als andere Länder, weil bei uns die Situation nun mal eine andere ist.
Adler: Was meinen Sie damit konkret?
McAllister: Ich meine damit, dass ein Land, das nationale Lasten wahrnimmt, auch von nationalen Unterstützungsmaßnahmen mehr profitieren muss als andere. Das heißt, die Endlagerforschung folgt den Endlagerstandorten. Aber es geht nicht nur um die Endlagerforschung, es geht um die gesamte Energieforschung. Und die hat gerade auch bei uns in Niedersachsen eine wichtige Zukunft zu spielen.
Adler: Das heißt, Sie fordern höhere Zuschüsse, Forschungszuschüsse, Zuwendungen? Was genau? Was meinen Sie damit?
McAllister: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie bei der Ausrichtung ihrer Energieforschungspolitik die Forschungskapazitäten in Niedersachsen besonders berücksichtigt.
Adler: Und fördert?
McAllister: Berücksichtigt und fördert.
Adler: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, David McAllister, der Ministerpräsident von Niedersachsen. Herr McAllister, es gab in dieser Woche ein Treffen, da ging es um die zum einen höheren Steuereinnahmen. Es gibt die Überlegung, Steuervereinfachungen herbeizuführen, unter anderem die Steuererklärung alle zwei Jahre. Da sagt der Bundesfinanzminister Schäuble, dafür brauche ich die Länder. Wenn wir Bürger Sie nun fragen, Herr Ministerpräsident, wären Sie bereit, da mitzumachen, uns die Steuererklärung alle zwei Jahre vielleicht nur noch aufzubürden, wären Sie bereit? Haben Sie Ihre Bereitschaft erklärt diese Woche?
McAllister: Über die Frage haben wir im Kabinett noch nicht gesprochen. Das machen wir übermorgen. Davon unabhängig: Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung das Thema Steuervereinfachung auf die Tagesordnung setzt. Es gibt hinreichend genug zu tun, um das deutsche Steuerrecht, was ja extrem kompliziert ist, zu vereinfachen. Und sicherlich wird es da auch zu Entlastungsvolumina kommen. Nur eines ist für mich als niedersächsischer Ministerpräsident klar: Ich sehe auf absehbare Zeit keinen Spielraum für weitere Einnahmeausfälle, weder auf der Landesseite, noch auf der kommunalen Seite. Das heißt, wenn der Bund solche Maßnahmen beschließt, dann muss der Bund sie auch alleine finanzieren.
Adler: Das heißt, Steuersenkungen auch von Ihrer Seite eine klare Absage?
McAllister: Wir sind verpflichtet, ab dem 1. Januar 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen. Wir dürfen keine neuen Schulden machen. Das heißt, ich habe in Niedersachsen jetzt noch acht Jahre Zeit, von der zu hohen Neuverschuldung von 2,3 Milliarden Euro in 2010 runter zu kommen. Das alleine ist ein riesengroßer Kraftakt. Wir können das schaffen, aber es wird sehr, sehr schwer. Zweitens: Von den Ländern wird erwartet, dass sie mehr Geld ausgeben in vielen Bereichen – Bildung, Integration, Infrastruktur. Und deshalb habe ich da eine ganz klare Position: Die Haushaltskonsolidierung hat jetzt Vorrang.
Adler: Und da spricht jetzt nicht nur der halbe Schotte in Ihnen?
McAllister: Nein, das hat mit Schotte gar nichts zu tun, denn die Schotten sind überhaupt nicht geizig. Das ist ein Vorurteil, das Engländer sehr erfolgreich und hartnäckig nach Deutschland transportiert haben, wie ich jede Woche immer wieder merke. Nein, es geht mir hier darum, dass ich Verantwortung habe für einen Landeshaushalt. Und ich habe damals der Grundgesetzänderung mit Begeisterung zugestimmt, dass das Neuverschuldungsverbot für die Länder in die Verfassung einbezogen wird. Und das will ich auch schaffen. Aber da muss man mir auch entsprechende Freiräume geben.
Adler: Herr McAllister, ich habe jetzt nicht umsonst angespielt auf Ihre Herkunft, zur einen Hälfte aus Schottland beziehungsweise Ihre schottischen Wurzeln. Sie haben im Kabinett Aygül, Özkan. Wäre es denkbar, dass von Niedersachsen eine solche Integrationsinitiative ausgeht, dass Sie mehr Migranten beziehungsweise Menschen mit ausländischen Wurzeln zum Beispiel in den Staatsdienst holen?
McAllister: Niedersachsen hat sich schon vor einigen Jahren dafür ausgesprochen, den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Wir werben dafür, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund eine Ausbildung machen im öffentlichen Dienst wie beispielsweise bei der Polizei. Wir werben auch dafür, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund Lehrerinnen und Lehrer werden.
Adler: Mit Erfolg?
McAllister: Ja, mit Erfolg. Der Anteil steigt kontinuierlich. Mir sagen Fachleute aus der Polizei, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt zwischen rivalisierenden jugendlichen Gangs mit Migrationshintergrund, kann ein Polizeibeamter, der selbst aus einer solchen Community kommt, sehr deeskalierend wirken. Die Migranten sind ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft. Und weil sie das sind, sollen sie auch ein wertvoller Teil unseres öffentlichen Dienstes werden.
Adler: In zwei Wochen beginnt in Karlsruhe der CDU-Parteitag. Es wird ein Wahlparteitag sein, bei dem Ihnen das Ihnen vielleicht nicht zustehende, aber doch denkbare Amt, nämlich das des Parteivizes, nicht zufallen wird, denn Sie haben verzichtet. Sie haben verzichtet zugunsten von Ursula von der Leyen. Warum eigentlich? Haben Sie keine Ambitionen?
McAllister: Ich habe Ursula von der Leyen als Landesvorsitzende der CDU Niedersachsen bewusst für dieses Amt vorgeschlagen, weil Ursula von der Leyen unsere Frau in Berlin ist. Sie ist eine der ganz prägenden Persönlichkeiten der CDU in den letzten Jahren gewesen. Ich selbst bin als Ministerpräsident in allen wesentlichen Sitzungen dabei. Ich bin im Präsidium der Partei kooptiert, im Bundesvorstand als Landesvorsitzender ohnehin dabei. Insofern brauche ich auch nicht dieses Amt, um in den entscheidenden Sitzungen dabei zu sein. So haben wir mit Ursula von der Leyen und mit mir und mit Eckhard von Klaeden, der für das Präsidium kandidiert, dann gleich mehrere Mitstreiter, die nicht nur für Unions- sondern auch für niedersächsische Interessen werben können.
Adler: Was muss die CDU eigentlich machen, damit sie raus kommt aus dem Umfragetief? Und kann der Parteitag vielleicht auch eine Verständigung darüber bringen?
McAllister: Unser Ziel aus Volkspartei muss es sein, bei Wahlen um die 40 Prozent zu erzielen. Bei der letzten Landtagswahl in Niedersachsen hat die CDU 42,5 Prozent erzielt. Da haben wir also bewiesen, was wir können. Und bei den Erststimmen haben wir bei der Bundestagswahl immerhin auch 39,2 Prozent erzielt. Also ein Potenzial für 40 Prozent Unionsstimmen, das sehe ich deutschlandweit. Wichtig ist, dass die Union vielfältig bleibt. Und was bürgerliche Wähler immer wieder zu Recht erwarten: Bürgerliche Umgangformen. Daran hat es in den ersten Monaten in der Koalition leider gefehlt. Wir in Niedersachsen arbeiten seit 2003 eng und vertrauensvoll mit der FDP zusammen. Niedersachsen macht nie Schlagzeilen, dass CDU und die FDP sich öffentlich streiten. Warum? Weil wir an einem Strang ziehen. Weil wir unter vier, sechs, acht Augen hinter verschlossenen Türen die Sachen besprechen und weil wir bewusst darauf verzichten, uns gegenseitig in die Pfanne zu hauen. Ich wünschte mir manchmal mehr von diesem niedersächsischen Geist von Union und FDP auch in Berlin Mitte.
Adler: Sie haben sich als Nachfolger von Christian Wulff im Amt des Ministerpräsident bezeichnet als "alte Marke, neues Modell". Sind Sie jetzt, da Sie am Zuge sind, ein bisschen ängstlich geworden?
McAllister: Niedersachsen ist Automobilland. Deshalb haben wir das so bezeichnet. Alte Marke, neues Modell heißt, die Marke niedersächsische Union bleibt. Ich stehe für Kontinuität, ich stehe auch für Verlässlichkeit. Und Christian Wulff hat in den ersten sieben Jahren Großartiges für Niedersachsen erreicht, und darauf gilt es jetzt aufzubauen. Die großen Herausforderungen in der Landespolitik bei uns sind die Haushaltskonsolidierung, die Bewältigung des demografischen Wandels, die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der Ausbau der Energieversorgungsinfrastruktur. Das sind so die großen Themen, die uns beschäftigen. Und was uns aktuell besonders beschäftigt ist die Zukunft der Schulstruktur. In den nächsten zehn Jahren wird es 25 Prozent weniger Schulkinder in Niedersachsen geben. Wir haben jetzt ein neues Schulkonzept vorgestellt, wie wir dauerhaft in Niedersachsen wohnortnah und flächendeckend auf der einen Seite, und auf der anderen Seite mit hohem Qualitätsanspruch das Schulsystem sicherstellen können.
Adler: Herr McAllister, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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McAllister: Im Gegenteil. Den Rücktritt von Horst Köhler als Bundespräsident habe ich damals sehr bedauert, weil er ein anerkannter und beliebter Bundespräsident war. Und was dann in der Nachfolge passiert ist, war für alle überraschend, auch und gerade für uns in Niedersachsen. Ich kann jetzt nach knapp vier Monaten im Amt feststellen: Ministerpräsident zu sein bedeutet sehr viel mehr Post, sehr viel mehr Termine, sehr sehr viel mehr Verantwortung, aber auch noch mehr Freude an der Politik. Und ich will jetzt diese Legislaturperiode bis 2013 vernünftig zu Ende bringen, und dann sehen wir weiter.
Adler: Sie beobachten ja vermutlich ziemlich genau, was Ihr Ziehvater, was Christian Wulff in Berlin treibt. Er wäre fast in eine Falle geraten, nämlich als es um den Bundesbanker Thilo Sarrazin ging. Jetzt gibt's die nächste – sagen wir mal – Bewährungsprobe, nämlich wie er mit dem Gesetz über die Verlängerung der Atomlaufzeiten umgeht. Was würden Sie ihm raten – unterschreiben oder nicht unterschreiben?
McAllister: Ich habe dem Bundespräsidenten öffentlich keine Ratschläge zu erteilen, das gebietet schon der Respekt vor dem Amt. Ich kenne Christian Wulff seit vielen Jahren persönlich. Er ist ein enger Wegbegleiter und Vertrauter. Und aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur wird Christian Wulff ein ganz hervorragender Bundespräsident sein, weil er schon als Ministerpräsident bewiesen hat, dass er über Parteigrenzen hinweg Anerkennung und Sympathien findet. Der Berliner Politikbetrieb ist ein anderer als der in den Ländern, das beobachte ich auch nach einigen wenigen Monaten im Amt. Aber Christian Wulff wird alle ihm gestellten Fragen souverän beantworten, da braucht er keine öffentlichen Hinweise, schon gar nicht von seinem Amtsnachfolger aus Niedersachsen.
Adler: Der Bundesrat sich hat am Freitag mit einer Initiative der SPD-geführten Länder befasst, nämlich dass der Bundesrat gehört wird bei der Abstimmung über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten. Herr McAllister, gebietet es nicht schon die Selbstachtung, dass die Bundesländer darauf drängen, dass sie gehört werden?
McAllister: Niedersachsen hat gegen die Entschließung von Rheinland-Pfalz und andere gestimmt und zwar aus guten Gründen. Der Bundesrat ist dort zuständig, wo er zuständig ist. Und dort, wo die Zuständigkeitsfrage nicht gegeben ist, ist der Bundesrat schlicht und ergreifend nicht zuständig.
Adler: Das ist ja zumindest mal strittig.
McAllister: Diese Frage ist nicht strittig. Es gibt eindeutige Rechtsgutachten seitens der Bundesregierung, dass der Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist bei der Beteiligung der Länder. Und damit vertraue ich der Expertise der Bundesregierung und habe keinen Anlass, daran zu zweifeln.
Adler: Nun braucht's ja keine prophetischen Fähigkeiten, um zu wissen, dass dieses Gesetz beim Bundesverfassungsgericht landen wird. Das heißt also, einen gewissen strittigen Kern gibt's darin schon.
McAllister: Mehrere SPD-geführte Länder haben angekündigt, sie wollen dann gegen eine solche Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Das ist ihr gutes Recht, wir leben in einem Rechtsstaat. Und das Bundesverfassungsgericht wird uns dann endgültige Klarheit bescheren.
Adler: Herr McAllister, Sie erleben jetzt am Wochenende Proteste gegen Castor-Transporte, gegen die elf Container, die da anrollen. Das sind die mächtigsten Proteste seit vielen, vielen Jahren. Was ist in Ihren Augen eigentlich zulässig: Was ist Protest, was ist schon nicht mehr Protest, wann müssten Ihre Polizisten einschreiten und wann tun sie das auch?
McAllister: Wir haben in Niedersachsen ja eine gewisse Erfahrung mittlerweile mit Castor-Transporten, insofern ist das für uns nichts Neues mehr. Die niedersächsische Polizei bemüht sich sehr um Deeskalation und wird auch dafür allseits geschätzt. Wir haben mehr Demonstranten als sonst üblich, das hängt auch mit der politischen Diskussion in Deutschland zusammen. Ich respektiere das Engagement der Demonstranten, wir haben in Deutschland Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreiheit. Das ist vollkommen in Ordnung. Ich bitte nur sehr darum, dass alle Proteste friedlich bleiben und dass es nicht zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt. Die überragend große Mehrheit der Demonstranten, da bin ich mir ganz sicher, demonstriert friedlich. Aber leider gibt es Hinweise, dass eine kleine gewaltbereite Minderheit diesen friedlichen Protest ausnutzen wird, um ganz andere Aktionen zu starten. Davon unabhängig sehe ich die Aufrufe zum sogenannten "Schottern" sehr kritisch. Das Schottern von Gleisbetten ist eine rechtswidrige Straftat, und daher ist es vollkommen inakzeptabel, dass auch gewählte Abgeordnete aus den Parlamenten zu diesen Straftaten aufgerufen haben.
Adler: Wen meinen Sie da?
McAllister: Damit meine ich Abgeordnete anderer politischer Parteien aus dem linken Spektrum.
Adler: Aus dem linken Spektrum?
McAllister: Ja, es waren unter anderem Abgeordnete aus der Linkspartei, die zum Schottern aufgerufen haben.
Adler: Wie werden Sie gegen die Leute vorgehen, die – um den Begriff "Schottern" zu erklären, die tatsächlich eben Schottersteine aus dem Gleisbett rausholen, damit die Gleise dann nicht mehr fest verankert sind – wie gehen Sie gegen solche Leute vor?
McAllister: Nach nahezu einhelliger Meinung in der Rechtswissenschaft ist Schottern eine Straftat, und Straftaten müssen präventiv verhindert werden. Und falls sie getätigt werden, müssen sie anschließend strafprozessual geahndet werden.
Adler: Herr McAllister, mit der Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke wächst der Atommüll. Der Atommüll landet bislang immer in Ihrem Bundesland. Da wäre doch Widerstand aus Niedersachsen das Natürlichste von der Welt ...
McAllister: Unabhängig von der Frage, ob die Laufzeiten verlängert werden oder nicht: Die Frage der Endlagerung nuklearen Mülls muss ohnehin gelöst werden. Und momentan wird der meiste kerntechnische Abfall zwischengelagert auf den Geländen der Kernkraftwerke und zwar oberirdisch. Da könnte man ja auch mal die Frage stellen, ob das eigentlich sicher ist oder nicht. Aber dagegen richtet sich nicht der Protest. Die Bundesrepublik Deutschland ist zur Zwischenlagerung in Gorleben völkerrechtlich verpflichtet, und wir setzen das um, was andere politische Generationen vor uns unterschrieben haben. Zur Frage der Endlagerung ist es so: Wir müssen diese Frage lösen, und zwar meine politische Generation. Niedersachsen ist besonders betroffen – mit Schacht Konrad, mit der Asse, mit Gorleben. Das sind Entscheidungen, die in den 60er- und 70er-Jahren getroffen wurden. Aber pacta sunt servanda: Bei Gorleben haben wir eine ganz klare Position als Landesregierung: Gorleben muss ergebnisoffen zu Ende erkundet werden. Ergebnisoffen heißt halt, dass das Ergebnis noch nicht feststeht.
Adler: Wann beginnt die Fortsetzung der Erkundungsarbeiten?
McAllister: Das Moratorium ist ja jetzt grundsätzlich aufgehoben worden, und der Bundesumweltminister hat jetzt vorbereitende Tätigkeiten und Planungen aufgenommen. Wann der genaue Erkundungszeitpunkt kommt, kann ich Ihnen nicht sagen. Da gibt es noch eine ganze Reihe von juristischen Unwägbarkeiten, die noch zu klären sind. Aber ergebnisoffene Erkundung heißt: Wir brauchen noch eine ganze Weile. Ich nenne keine Jahreszahl, wie lange das dauert, bis die Erkundung abgeschlossen sein wird.
Adler: Gerade weil es so lange dauert, ist der Zeitplan, den EU-Energiekommissar Oettinger, Ihr Parteifreund, aufgestellt hat, nämlich bis zum Jahr 2015 ein Endlager zu finden, ja kaum einzuhalten – wenn man jetzt nicht anfängt, parallel zu suchen.
McAllister: Die ergebnisoffene Erkundung bedeutet, dass wir noch einige Jahre brauchen. Ich nenne auch keine feste Jahreszahl, wann wir damit fertig sind. Aber es wird wahrscheinlich noch länger dauern, als das manch ein Berliner sich vorstellt. Und am Ende des ergebnisoffenen Erkundungsprozesses haben wir Klarheit, ob Gorleben geeignet ist oder nicht. Sollte Gorleben tatsächlich geeignet sein, dann spricht vieles dafür, dass Gorleben auch das nationale Endlager wird. Sollte Gorleben sich als ungeeignet erweisen, spätestens dann muss die nationale Endlagersuche in Deutschland wieder von vorne losgehen, und zwar dann bundesweit.
Adler: Warum ein Hintereinander und nicht ein paralleles Erkunden von Endlagermöglichkeiten – zum Beispiel auch in Süddeutschland, auch wenn Ihren Parteifreunden Mappus beziehungsweise Seehofer das nicht ganz so recht sein sollte?
McAllister: Weil die deutsche Politik sich auf dieses Verfahren verständigt hat.
Adler: Das ist ja nicht in Stein gemeißelt.
McAllister: Trotzdem ist Gorleben ja schon zu über 90 Prozent zu Ende erkundet, und deshalb sollten wir uns jetzt noch einige Jahre Zeit nehmen, um Klarheit zu bekommen oder nicht.
Adler: Ist es als niedersächsischer Ministerpräsident einfacher, wenn man ein Atombefürworter ist?
McAllister: So wie in ganz Deutschland beschäftigt auch die Niedersachsen die Fragen einer zuverlässigen Energieversorgung. Und ich bin für eine pragmatische, an Sachzwängen orientierte Energiepolitik – möglichst ohne ideologische Scheuklappen. Und wir brauchen in Deutschland eine Energieversorgung, die bezahlbar ist, die ökologisch verträglich ist und entsprechende Versorgungssicherheit bietet. Und die Zukunft gehört für mich eindeutig den erneuerbaren Energien. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein großer Unterstützer der erneuerbaren Energien bin. Und gerade Niedersachsen hat riesige Potenziale – Stichwort "Offshore-Windenergie". Also ich bin ein klarer Befürworter der erneuerbaren Energien, und trotzdem brauchen wir offensichtlich die Laufzeit der Kernkraftwerke länger als das bisher geplant war. Ich kann den Kompromiss der Bundesregierung, die moderate Laufzeitverlängerung, nur unterstützen. Wir haben 2003 und 2008 in Niedersachsen auch leidenschaftlich über die Energiepolitik im Wahlkampf gestritten, und beide Male sind CDU und FDP als Sieger hervor gegangen.
Adler: Nun ist mit den Atomkraftwerkslaufzeiten, die verlängert worden sind, eines geschehen, nämlich dass ein Kompromiss, der gefunden worden ist im Jahr 2000, also der berühmte Atomkompromiss, eine Endlaufzeit festzulegen, also ein Ausstiegsdatum festzulegen – dass genau dieser Kompromiss aufgekündigt worden ist. Damit ist das Land, was einmal in dieser Frage befriedet war, so zusagen wieder in Unruhe gestürzt worden, und Niedersachsen ist in größerem Ausmaß als jedes andere Bundesland davon betroffen. Wie können Sie das so ruhig hinnehmen?
McAllister: Die Laufzeitverlängerung ist doch nicht beschlossen worden, um das Land nicht zu befrieden…
Adler: …unter anderem ist aber eine Befriedung erreicht worden.
McAllister: Aber es geht doch hier um objektive Notwendigkeiten. Deutschland ist Industrieland, Deutschland ist darauf angewiesen, dass wir auch künftig eine Energieversorgung haben, die sicher und bezahlbar ist. Und die Menschen in Deutschland, die Kunden, haben auch einen Anspruch darauf, dass die Energiepreise bezahlbar bleiben. Wohlhabende Menschen können sich hohe Energiepreise leisten, die breite Masse der Bevölkerung hat zu Recht einen Anspruch darauf, dass die Rahmenbedingungen so gesetzt werden, dass der Strom für jeden Mann und jede Frau bezahlbar bleibt.
Adler: Was jetzt ja in die Stromkosten nicht mit einfließt, ist zum Beispiel das Geld, was für die Sicherung, wie an diesem Wochenende, der Castor-Transporte aufgewendet werden muss, was für die Sanierung des abgesoffenen Lagers in der Asse verwendet werden muss. Das ist alles Geld, was vom Steuerzahler kommt, aber nicht von den Atomkraftwerken, zumindest nicht direkt. Das heißt, die Bürger zahlen ja letzten Endes doppelt für den angeblich so billigen Atomstrom.
McAllister: Erstens: Das Energiekonzept beinhaltet zu Recht den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und die weitere Intensivierung der Energieforschung.
Adler: Das hat aber der Atomkompromiss auch schon beinhaltet.
McAllister: Dafür werden erhebliche Summen zur Verfügung gestellt, und zwar aufgrund der Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke. Erst die Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke ermöglicht höhere Einnahmen aus der Brennelementesteuer und zusätzliche Abgaben in den Fonds. Das heißt, die Laufzeitverlängerung dient dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und dem weiteren Ausbau der Energieforschung. Zweitens zu den Kosten: Die Sanierung der Asse ist ein Thema für die Industrie, und deshalb wird ja die Industrie jetzt auch entsprechend an den Sanierungskosten in erheblichem Maße beteiligt. Das ist auch richtig so.
Adler: Was heißt: in erheblichem Maß?
McAllister: Nun ja, es wird ja jetzt untersucht, was mit dem Müll in der Asse passiert – mit den 126.000 Fässern. Und dazu wird ja nun auch untersucht, ob eine Rückholbarkeit gegeben ist oder nicht. Übrigens: Aus der Asse müssen wir auch bestimmte Sachen lernen und Fehler vermeiden. Für uns in Niedersachsen ist auch wichtig, dass, sollte Gorleben als Endlager infrage kommen, dass die Rückholbarkeit des nuklearen Mülls gegeben ist, denn niemand kann die technische Entwicklung vorhersehen, und niemand weiß, ob wir nicht in einigen wenigen hundert Jahren schon ganz andere technische Möglichkeiten haben als die Restbrennstäbe für hunderttausend Jahre unter die Erde zu stellen.
Adler: Sind Sie der Meinung, dass die Atomwirtschaft in gebührendem Umfang an der Atommülllagerung beteiligt wird?
McAllister: Ja, das bin ich und es sind Milliarden von Euro geflossen. Und durch das, was wir jetzt im Energiekonzept beschlossen haben, werden die Energieversorgungsunternehmen zu Recht noch einmal in erheblichem Maße zur Kasse gebeten bis an die Grenzen dessen, was sie noch für vertretbar und belastbar halten. Und trotzdem ist dieser Weg absolut richtig.
Adler: Noch mal zur Asse, Sie sagten. da werden die AKW-Betreiber erheblich beteiligt. Das heißt, tragen Sie hundert Prozent der Kosten für die Sanierung der Asse?
McAllister: Ob es nun hundert Prozent der Kosten sind oder nicht, da bin ich jetzt überfragt.
Adler: Bei den Castortransporten: Warum tragen die Kosten für die Sicherung der Castortransporte die Steuerzahler und nicht die Atomkraftwerke?
McAllister: Das ist eine klassisch bekannte Frage des Polizeirechts: Wer ist Störer oder Handlungsverursacher und damit Kostenverursacher? Und letztlich argumentiert man hier, dass die Demonstranten die Polizeikosten verursachen und nicht der eigentliche Transport. Diese Frage stellt sich ja immer wieder auch zum Beispiel bei der Frage, wer zahlt die Polizeieinsätze bei Fußballspielen oder anderen Großereignissen. Aber davon unabhängig: Niedersachsen übernimmt mit den Castor-Transporten eine Aufgabe für die gesamte Nation. Es ist eine nationale Aufgabe. Dass unser Land Niedersachsen am Ende pro Castor-Transport auf 20 bis 25 Millionen Euro zusätzlichen Polizeieinsatzkosten hängen bleibt, ist und bleibt eine Ungerechtigkeit. Das haben sozialdemokratische Ministerpräsidenten vor mir kritisiert, das hat mein Amtsvorgänger Christian Wulff kritisiert, das kritisiere ich auch. Aber im Kreis der 16 Länder haben wir da wenig Solidarität erfahren. Die Stimmungslage ist immer 15:1 gegen Niedersachsen. Aber das ist ganz besonders ärgerlich, dass wir auch noch auf diesen zusätzlichen Polizeikosten hängen bleiben. Und das kann ich als niedersächsischer Ministerpräsident auch keinem mehr in meinem Lande erklären.
Adler: Profitiert Niedersachsen denn umgekehrt bei seinen drei Atomkraftwerken von der Verlängerung der Laufzeit?
McAllister: Die Verlängerung der Laufzeiten um acht beziehungsweise 14 Jahre bedeutet auch Klarheit für die Beschäftigten in den Kraftwerken in Unterweser, in Grohnde und in Lingen, und insofern habe ich das auch vor diesem Hintergrund begrüßt.
Adler: Jetzt haben wir immer wieder die Forderung, dass auch parallel gesucht werden soll, dass in anderen Gesteinsformationen gesucht werden soll, unter anderem in Tongestein. Da sagt Frau Gönner, die Umweltministerin der CDU von Baden-Württemberg: Das ist prima, da kommt Baden-Württemberg wieder nicht zum Zuge beziehungsweise glücklicherweise nicht in Frage, denn die größten Tongesteine liegen angeblich in Niedersachsen. Das heißt, Sie werden das Thema Atommüll offenbar nie los.
McAllister: Wir haben uns jetzt darauf verständigt, dass der Standort Gorleben ergebnisoffen zu Ende erkundet wird. Und sollte Gorleben nicht geeignet sein, dann müsste spätestens dann die Standortsuche in Deutschland oder auch europaweit wieder von vorne losgehen. Eines ist allerdings klar: Niedersachsen trägt momentan die gesamte nationale Last der Endlagerung ganz alleine. Und das wird für zukünftige Standortentscheidungen dann auch ein entscheidendes Argument sein. Ich halte die Belastung Niedersachsens für nicht weiter steigerbar. Punkt.
Adler: Werden Sie Entschädigungsansprüche stellen? Ist eine solche Initiative denkbar aus Niedersachsen?
McAllister: Die Politik sieht ja für die von Endlagerlasten betroffene Region einen regionalwirtschaftlichen Ausgleich vor. Das gilt sowohl für die Region rund um Gorleben im Landkreis Lüchow-Dannenberg, das gilt beispielsweise auch für die Region rund um die Stadt Salzgitter, wo wir momentan in mühseligen Detailverhandlungen mit dem Bundesumweltministerium sind, damit endlich der Salzgitter-Fonds in die Praxis umgesetzt wird.
Adler: Woran hängt das?
McAllister: Da geht es jetzt noch um Verfahrensfragen, da geht es um Zuständigkeitsfragen. Es geht auch um die Frage, ob der regionalwirtschaftliche Ausgleich dann nur für die Stadt Salzgitter gilt oder auch für benachbarte Kommunen aus dem Landkreis Peine. Also, da ist das Landesumweltministerium in einem engen Dialog mit dem Bundesumweltministerium, und ich hoffe sehr, dass diese Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP nun auch wirklich zeitnah umgesetzt wird. Und sicherlich reden wir auch über einen regionalwirtschaftlichen Ausgleich für die Region im Landkreis Wolfenbüttel, Stichwort Asse. Mir geht es aber nicht nur um den regionalwirtschaftlichen Ausgleich. Mir geht es auch darum: Niedersachsen ist Energieland Nummer Eins. Mit Ausnahme der Kohle spielen alle Energiefragen in Niedersachsen die ganz zentrale Rolle. Wir sind geradezu wie im Fokus der Republik, es schaut alles auf Niedersachsen, wenn es um Energiepolitik geht. Und ich glaube, ein wichtiges Argument ist: Wir haben eine vorzügliche Forschungslandschaft im Bereich der Energieforschung mit dem Energieforschungszentrum in Goslar, mit Kompetenzen in den Universitäten Clausthal-Zellerfeld, Braunschweig, Hannover bis hin zu den Instituten rund um die erneuerbaren Energien wie zum Beispiel ForWind in Oldenburg. Das sind alles Institutionen, die sehr von der ausgebauten Energieforschung in Deutschland profitieren könnten. Deshalb habe ich auch gegenüber der Bundeskanzlerin deutlich gemacht, Niedersachsen muss in Fragen der Energiepolitik anders behandelt werden als andere Länder, weil bei uns die Situation nun mal eine andere ist.
Adler: Was meinen Sie damit konkret?
McAllister: Ich meine damit, dass ein Land, das nationale Lasten wahrnimmt, auch von nationalen Unterstützungsmaßnahmen mehr profitieren muss als andere. Das heißt, die Endlagerforschung folgt den Endlagerstandorten. Aber es geht nicht nur um die Endlagerforschung, es geht um die gesamte Energieforschung. Und die hat gerade auch bei uns in Niedersachsen eine wichtige Zukunft zu spielen.
Adler: Das heißt, Sie fordern höhere Zuschüsse, Forschungszuschüsse, Zuwendungen? Was genau? Was meinen Sie damit?
McAllister: Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie bei der Ausrichtung ihrer Energieforschungspolitik die Forschungskapazitäten in Niedersachsen besonders berücksichtigt.
Adler: Und fördert?
McAllister: Berücksichtigt und fördert.
Adler: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, David McAllister, der Ministerpräsident von Niedersachsen. Herr McAllister, es gab in dieser Woche ein Treffen, da ging es um die zum einen höheren Steuereinnahmen. Es gibt die Überlegung, Steuervereinfachungen herbeizuführen, unter anderem die Steuererklärung alle zwei Jahre. Da sagt der Bundesfinanzminister Schäuble, dafür brauche ich die Länder. Wenn wir Bürger Sie nun fragen, Herr Ministerpräsident, wären Sie bereit, da mitzumachen, uns die Steuererklärung alle zwei Jahre vielleicht nur noch aufzubürden, wären Sie bereit? Haben Sie Ihre Bereitschaft erklärt diese Woche?
McAllister: Über die Frage haben wir im Kabinett noch nicht gesprochen. Das machen wir übermorgen. Davon unabhängig: Ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung das Thema Steuervereinfachung auf die Tagesordnung setzt. Es gibt hinreichend genug zu tun, um das deutsche Steuerrecht, was ja extrem kompliziert ist, zu vereinfachen. Und sicherlich wird es da auch zu Entlastungsvolumina kommen. Nur eines ist für mich als niedersächsischer Ministerpräsident klar: Ich sehe auf absehbare Zeit keinen Spielraum für weitere Einnahmeausfälle, weder auf der Landesseite, noch auf der kommunalen Seite. Das heißt, wenn der Bund solche Maßnahmen beschließt, dann muss der Bund sie auch alleine finanzieren.
Adler: Das heißt, Steuersenkungen auch von Ihrer Seite eine klare Absage?
McAllister: Wir sind verpflichtet, ab dem 1. Januar 2020 keine neuen Schulden mehr zu machen. Wir dürfen keine neuen Schulden machen. Das heißt, ich habe in Niedersachsen jetzt noch acht Jahre Zeit, von der zu hohen Neuverschuldung von 2,3 Milliarden Euro in 2010 runter zu kommen. Das alleine ist ein riesengroßer Kraftakt. Wir können das schaffen, aber es wird sehr, sehr schwer. Zweitens: Von den Ländern wird erwartet, dass sie mehr Geld ausgeben in vielen Bereichen – Bildung, Integration, Infrastruktur. Und deshalb habe ich da eine ganz klare Position: Die Haushaltskonsolidierung hat jetzt Vorrang.
Adler: Und da spricht jetzt nicht nur der halbe Schotte in Ihnen?
McAllister: Nein, das hat mit Schotte gar nichts zu tun, denn die Schotten sind überhaupt nicht geizig. Das ist ein Vorurteil, das Engländer sehr erfolgreich und hartnäckig nach Deutschland transportiert haben, wie ich jede Woche immer wieder merke. Nein, es geht mir hier darum, dass ich Verantwortung habe für einen Landeshaushalt. Und ich habe damals der Grundgesetzänderung mit Begeisterung zugestimmt, dass das Neuverschuldungsverbot für die Länder in die Verfassung einbezogen wird. Und das will ich auch schaffen. Aber da muss man mir auch entsprechende Freiräume geben.
Adler: Herr McAllister, ich habe jetzt nicht umsonst angespielt auf Ihre Herkunft, zur einen Hälfte aus Schottland beziehungsweise Ihre schottischen Wurzeln. Sie haben im Kabinett Aygül, Özkan. Wäre es denkbar, dass von Niedersachsen eine solche Integrationsinitiative ausgeht, dass Sie mehr Migranten beziehungsweise Menschen mit ausländischen Wurzeln zum Beispiel in den Staatsdienst holen?
McAllister: Niedersachsen hat sich schon vor einigen Jahren dafür ausgesprochen, den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst zu erhöhen. Wir werben dafür, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund eine Ausbildung machen im öffentlichen Dienst wie beispielsweise bei der Polizei. Wir werben auch dafür, dass mehr Menschen mit Migrationshintergrund Lehrerinnen und Lehrer werden.
Adler: Mit Erfolg?
McAllister: Ja, mit Erfolg. Der Anteil steigt kontinuierlich. Mir sagen Fachleute aus der Polizei, wenn es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt zwischen rivalisierenden jugendlichen Gangs mit Migrationshintergrund, kann ein Polizeibeamter, der selbst aus einer solchen Community kommt, sehr deeskalierend wirken. Die Migranten sind ein wertvoller Teil unserer Gesellschaft. Und weil sie das sind, sollen sie auch ein wertvoller Teil unseres öffentlichen Dienstes werden.
Adler: In zwei Wochen beginnt in Karlsruhe der CDU-Parteitag. Es wird ein Wahlparteitag sein, bei dem Ihnen das Ihnen vielleicht nicht zustehende, aber doch denkbare Amt, nämlich das des Parteivizes, nicht zufallen wird, denn Sie haben verzichtet. Sie haben verzichtet zugunsten von Ursula von der Leyen. Warum eigentlich? Haben Sie keine Ambitionen?
McAllister: Ich habe Ursula von der Leyen als Landesvorsitzende der CDU Niedersachsen bewusst für dieses Amt vorgeschlagen, weil Ursula von der Leyen unsere Frau in Berlin ist. Sie ist eine der ganz prägenden Persönlichkeiten der CDU in den letzten Jahren gewesen. Ich selbst bin als Ministerpräsident in allen wesentlichen Sitzungen dabei. Ich bin im Präsidium der Partei kooptiert, im Bundesvorstand als Landesvorsitzender ohnehin dabei. Insofern brauche ich auch nicht dieses Amt, um in den entscheidenden Sitzungen dabei zu sein. So haben wir mit Ursula von der Leyen und mit mir und mit Eckhard von Klaeden, der für das Präsidium kandidiert, dann gleich mehrere Mitstreiter, die nicht nur für Unions- sondern auch für niedersächsische Interessen werben können.
Adler: Was muss die CDU eigentlich machen, damit sie raus kommt aus dem Umfragetief? Und kann der Parteitag vielleicht auch eine Verständigung darüber bringen?
McAllister: Unser Ziel aus Volkspartei muss es sein, bei Wahlen um die 40 Prozent zu erzielen. Bei der letzten Landtagswahl in Niedersachsen hat die CDU 42,5 Prozent erzielt. Da haben wir also bewiesen, was wir können. Und bei den Erststimmen haben wir bei der Bundestagswahl immerhin auch 39,2 Prozent erzielt. Also ein Potenzial für 40 Prozent Unionsstimmen, das sehe ich deutschlandweit. Wichtig ist, dass die Union vielfältig bleibt. Und was bürgerliche Wähler immer wieder zu Recht erwarten: Bürgerliche Umgangformen. Daran hat es in den ersten Monaten in der Koalition leider gefehlt. Wir in Niedersachsen arbeiten seit 2003 eng und vertrauensvoll mit der FDP zusammen. Niedersachsen macht nie Schlagzeilen, dass CDU und die FDP sich öffentlich streiten. Warum? Weil wir an einem Strang ziehen. Weil wir unter vier, sechs, acht Augen hinter verschlossenen Türen die Sachen besprechen und weil wir bewusst darauf verzichten, uns gegenseitig in die Pfanne zu hauen. Ich wünschte mir manchmal mehr von diesem niedersächsischen Geist von Union und FDP auch in Berlin Mitte.
Adler: Sie haben sich als Nachfolger von Christian Wulff im Amt des Ministerpräsident bezeichnet als "alte Marke, neues Modell". Sind Sie jetzt, da Sie am Zuge sind, ein bisschen ängstlich geworden?
McAllister: Niedersachsen ist Automobilland. Deshalb haben wir das so bezeichnet. Alte Marke, neues Modell heißt, die Marke niedersächsische Union bleibt. Ich stehe für Kontinuität, ich stehe auch für Verlässlichkeit. Und Christian Wulff hat in den ersten sieben Jahren Großartiges für Niedersachsen erreicht, und darauf gilt es jetzt aufzubauen. Die großen Herausforderungen in der Landespolitik bei uns sind die Haushaltskonsolidierung, die Bewältigung des demografischen Wandels, die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der Ausbau der Energieversorgungsinfrastruktur. Das sind so die großen Themen, die uns beschäftigen. Und was uns aktuell besonders beschäftigt ist die Zukunft der Schulstruktur. In den nächsten zehn Jahren wird es 25 Prozent weniger Schulkinder in Niedersachsen geben. Wir haben jetzt ein neues Schulkonzept vorgestellt, wie wir dauerhaft in Niedersachsen wohnortnah und flächendeckend auf der einen Seite, und auf der anderen Seite mit hohem Qualitätsanspruch das Schulsystem sicherstellen können.
Adler: Herr McAllister, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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