
In einer alten Scheune hieven drei junge Männer Sperrmüll auf einen Anhänger.
"So, Jungs, jetzt den mal so schieben, dass der da ran passt."
Michael von Studnitz, pädagogischer Leiter der "Reisenden Werkschule Scholen". Vor mehr als 30 Jahren gründete er mit ein paar anderen 68-ern das Schulprojekt für sogenannte Schulmeider - so der Fachbegriff für Jugendliche, die sich weigern zu lernen oder gar nicht mehr zur Schule gehen. Fast alle Schulmeider sind praktisch sehr begabt, sagt er. Dieses Talent nutzt die "Reisende Werkschule Scholen".
"Die meisten Jugendlichen sind ja hier, weil sie überhaupt keine Lust zur Schule haben; manche auch, weil sie die Hoffnung aufgegeben haben, dass sie was lernen können. Und wir haben mal so eine Statistik gemacht: die haben alle immer Lust, in die Müllgruppe zu gehen. Ich wunder mich selbst."
Jugendliche motivieren, indem sie Müll abtransportieren, den Garten pflegen, kochen oder Möbel bauen - das klingt banal, aber in den Praxisgruppen beweisen sich die Jugendlichen, dass sie etwas Sinnvolles leisten können, sagt von Studnitz. Als Pascal Scharsig nach Scholen kam, war ihm dieses Gefühl völlig abhandengekommen. Die meiste Zeit hing er einfach nur rum. Drogen hat er auch genommen. Der 17-Jährige lebt seit fast zwei Jahren in Scholen.
"Eigentlich wollte ich hier auch gar nicht hin. Und dann hatte ich halt eine Gerichtsverhandlung, und dann meinte der Richter halt, dass ich hier hinziehen muss oder halt sechs Monate in Haft gehen muss. Und dann bin ich hier eingezogen."
Er hat durchgehalten. In Scholen hat er seinen Schulabschluss geschafft, und sein Alltag hat wieder Struktur bekommen. Praxisgruppen, Sport und Unterricht beschäftigen ihn bis in die frühen Abendstunden. Noch zwei Monate, dann soll Pascal Scharsig sein Leben wieder selbst in die Hand nehmen, sich einen Ausbildungsplatz suchen. Der Erfolg von Scholen hat mehrere Ursachen. Zum einen die ländliche Lage - Stichwort "Inselpädagogik". In der Stadt wären die Jugendlichen viel schneller abgelenkt. Dazu kommt die gute Betreuungssituation - unter der Woche rund um die Uhr, in Einzelfällen auch am Wochenende.
Einfache Ausstattung und kleine Gruppen
"Habt ihr das, das ist, glaube ich, habt ihr gesehen. Noch nicht klar? Schau du einfach mal weiter zu und lass dich einfach mal berieseln, weil man das öfter macht. Wir kommen noch drauf zurück. Bei dir? War das dir jetzt klar?"
Peter Thebud, Mathelehrer in Scholen, übt mit drei Schülern, Brüche in Dezimalzahlen umzuwandeln. Der Unterricht findet in einem kleinen Fachwerkhaus im Garten statt. Lerngruppen-Atmosphäre statt Schulstunde. Thebud hat die Jungs zwischen 14 und 16 alle permanent im Auge.
"Weil: in der Regel ist das so, wenn man weggeht vom Schüler, ist der schon gleich wieder verloren."
Die Ausstattung ist einfach. Holztische und -stühle und eine Tafel. Komplizierte Technik schreckt viele ab, sagt der Pädagoge. Seine Schüler sollen sich trauen, etwas anzuschreiben, Fehler vor anderen zu machen und dann daraus lernen. Kein Vergleich zu seiner früheren Schule, sagt Yigit Schubert. Der 14-Jährige lümmelt hinter seinem Tisch.
"Also damals, da hab ich gar nicht richtig Unterricht mitgemacht. Da war ich immer abgelenkt. Oder - keine Ahnung. Ich konnte nicht mitmachen, weil ich hab die Sachen da nicht verstanden. Und hier versteh ich das ein bisschen besser. Also hier mach ich schon mehr mit als früher, in meiner alten Schule."
Er und seine Mitschüler stehen erst am Beginn ihrer Zeit in Scholen. Aber der Anreiz, bis zum Ende durchzuhalten, ist groß. Die Jugendlichen verlassen Deutschland regelmäßig, um Selbstständigkeit, Verantwortung und Flexibilität zu trainieren. Die längste Reise führt sie ins afrikanische Malawi. Dort arbeiten die ehemaligen Schulmeider als Entwicklungshelfer. Zusammen mit Einheimischen bauen sie Grundschulen. Dabei erleben die Jugendlichen, dass Glück nicht materiell ist, was Bildung anderen bedeutet und was sie fähig sind zu leisten, wenn sie es wollen. Für zwei Drittel der ehemaligen Schulmeider ist Scholen die Eintrittskarte zurück ins "normale" Bildungssystem.