Die SPD um Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bleibt stärkste Kraft in Niedersachsen (33,4 Prozent). Damit wird Weil voraussichtlich zum dritten Mal in Folge zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Rechnerisch ist eine Weiterführung der Koalition mit der CDU zwar möglich. Die Wunschkoalition der SPD ist aber Rot-Grün - wie bereits in Weils erster Amtszeit von 2013 bis 2017. Die CDU liegt bei rund 28 Prozent, die AfD bei 11 Prozent der Stimmen. FDP und Linke scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde.
Ergebnisse zur Landtagswahl in Niedersachsen
Das Wahlergebnis in der Analyse
Nach den Verlusten bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein dürfte die SPD das Ergebnis mit großer Erleichterung aufnehmen. Sie schneidet hier gegen den Bundestrend ab: Im Bund haben die Sozialdemokraten deutlich in der Gunst der Wähler verloren und liegen hinter der CDU. In Niedersachsen liegt die SPD zwar gut drei Prozent unter ihrem Ergebnis der letzten Landtagswahl, bleibt aber deutlich vor der Union. Und das, obwohl es Gegenwind für Stephan Weil aus Berlin gab: Weil hatte sich beklagt, dass die Gaspreisbremse zu spät auf den Weg gebracht wurde und dass die konkrete Ausgestaltung immer noch auf sich warten lasse. Er konnte aber seinen Amtsinhaberbonus ausspielen und wird wohl eine dritte Amtszeit als Ministerpräsident antreten.
Die Wahl tut auch Bundeskanzler Olaf Scholz gut: Er stand viel in der Kritik, ihm wurde schlechte Kommunikation vorgeworfen, zögerliche Waffenlieferungen an die Ukraine und insgesamt schlechtes Krisenmanagement. Viel Zeit zum Aufatmen bleibt der SPD und ihrem Kanzler aber nicht. Denn Scholz wird in der kommenden Zeit damit beschäftigt sein, FDP und Grüne zu befrieden.
Die Grünen haben sich im Vergleich zur letzten Landtagswahl gesteigert. Im Sommer waren die Zahlen für sie aber noch deutlich besser: Bundespolitische Themen dominierten bei diesen Landtagswahlen – und das Ergebnis passt zu den Popularitätseinbußen von Robert Habeck in Zusammenhang mit der Gasumlage.
Dass SPD und Grüne so gut aus der Wahl herausgekommen seien, habe die SPD vor allem dem Ministerpräsidenten zu verdanken, sagte der Politologe Frank Decker im Deutschlandfunk. Insofern könne sich der Bundeskanzler bei Stephan Weil bedanken. Letzterer sei unangefochtener Amtsinhaber, dem die Union nichts entgegenzusetzen habe.
Die FDP habe - neben ihrem schlechten Abschneiden in Niedersachsen - indes das Problem, dass sie im Bund Dinge mittragen müsse, die weit weg von ihren liberalen Grundsätzen lägen, beispielsweise die Ausweitung der Staatsfinanzierung, so Decker.
Die FDP kommt nicht mehr in den Landtag
Die Liberalen waren in Niedersachsen inhaltlich und personell schwach aufgestellt: Nur 17 Prozent waren mit FDP-Spitzenkandidat Stefan Birkner zufrieden. Mehr als die Hälfte der befragten Wählerinnen und Wähler kannten Birkner gar nicht. Bundespolitisch steht die FDP schlechter da als vor fünf Jahren. Die Unzufriedenheit mit der Ampel-Koalition in Berlin ist stark ausgeprägt: 54 Prozent der Befragten in Niedersachsen sagten, sie seien weniger oder gar nicht zufrieden. Unter den FDP-Anhängern ist diese Unzufriedenheit mit fast 80 Prozent sogar noch größer.
Auch mit Finanzminister Christian Lindner sind nur ein Drittel der Befragten zufrieden. Zudem ist es der FDP vor fünf Jahren leichter gefallen, sich als Oppositionspartei zu profilieren. Jetzt in der Ampel erscheint die Partei wie Regierung und Opposition zugleich - ein zum Teil unscharfes Profil.
Die Folgen der Wahl für die Ampel-Koalition in Berlin
Die Ampel im Bund wird in schweres Fahrwasser geraten. Wenn schon die Grünen vorab den Liberalen die Daumen für den Wiedereinzug in den Niedersächsischen Landtag gedrückt haben, ist das vielsagend. Es ist absehbar, dass FDP-Finanzminister Christian Lindner nun den Profilierungskurs seiner Partei verschärfen wird. Denn: Als einzige Ampel-Partei musste die FDP bei allen vier Landtagswahlen in diesem Jahr herbe Verluste hinnehmen. Das erhöht den Druck auf Lindner. Der hatte noch am Wahlabend angekündigt, seine Partei müsse viel mehr als Partei der Mitte auftreten, die nicht für linke Projekte steht – ein deutlicher Seitenhieb in Richtung SPD und Grüne.
In konkrete Politik übersetzt könnte das heißen: Die FDP wird wohl keinen Millimeter von der Einhaltung der Schuldenbremse abweichen – trotz Krise. Und bei der Atomkraft wird sich der Streit mit den Grünen um eine Verlängerung der Laufzeiten des AKW Emsland noch verschärfen. Die Ampel könnte also mitten in der Energiekrise stärker auseinanderdriften.
Das Ergebnis der CDU
Die CDU hat in Niedersachsen deutlich stärker verloren als die SPD. CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann hatte die undankbare Aufgabe, als Koalitionspartner den beliebten Amtsinhaber Stephan Weil anzugreifen. Damit konnte er nicht durchdringen. Auch wenn Daniel Günther in Schleswig-Holstein und Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen die Landtagswahlen für die CDU gewonnen hatten, waren die Hoffnungen auf einen CDU-Sieg in Niedersachen eher gering. Günther und Wüst waren zudem schon zuvor Ministerpräsidenten - sie hatten sich beide als Amtsinhaber durchgesetzt.
Auf Bundesebene liegt die CDU deutlich vor der SPD. Angesichts des Ausscheidens der FDP aus dem Landtag und den daraus resultierenden Folgen für die Ampelkoalition in Berlin könnte es in der CDU erste Gedankenspiele geben: Sind wir aufgestellt für den Fall, dass die Ampel nicht bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält?
Zum ersten Mal seit 2018 konnte die AfD in einem westdeutschen Flächenland ein zweistelliges Ergebnis einfahren. Im Vergleich zu 2017 hat die Partei ihr Ergebnis fast verdoppelt. Die derzeitige Krisensituation spielt der AfD in die Hände. Die Partei profitiert stark von der Angst vor Inflation, vor Energieengpässen und vor einer Wirtschaftskrise – auch, indem sie Unzufriedenheit, Unmut und Protest forciert.
Mit Blick auf die Wählerwanderung hat die AfD 165.000 Wahlstimmen gewonnen – davon 30.000 aus dem Bereich der Nichtwähler heraus, aber sehr viele auch aus den anderen Parteien wie SPD (30.000 Stimmen), CDU (50.000 Stimmen) und FDP (40.000 Stimmen).
Die Spitzenkandidaten
Stephan Weil (SPD)
Der seit 2013 regierende Ministerpräsident und SPD-Spitzenkandidat Stephan Weil galt schon vor der Wahl als Favorit. Im Wahlkampf betonte er angesichts von Inflation und Energiekrise sozialpolitische Themen. Er forderte im Deutschlandfunk am 23.8.2022 die erneute Aussetzung der Schuldenbremse und kritisierte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP).
Bernd Althusmann (CDU)
Für die CDU trat erneut Landesparteichef Bernd Althusmann als Spitzenkandidat an. Die Christdemokraten wollten die SPD wieder als stärkste Kraft ablösen – und die nächste Regierung anführen. Noch am Wahlabend kündigte Althusmann seinen Rücktritt als CDU-Landeschef an.
Bei den Grünen: Julia Willie Hamburg und Christian Meyer
Die Grünen waren mit einem "Spitzenduo" am Start: Julia Willie Hamburg und Christian Meyer. Ihr Ziel ist eine Rückkehr an die Regierung. Man wolle es "endlich besser machen" in Niedersachsen. Die Partei setzte in ihrer Kampagne auf klassische grüne Umwelt- und Energiethemen – sowie auf Kritik an der Großen Koalition.
Bei der FDP: Stefan Birkner
Spitzenkandidat der FDP war ihr Landesvorsitzender Stefan Birkner. Im Wahlkampf wollte die FDP mit Bildung, Wirtschaft und Digitalisierung punkten – zudem forderte Birkner längere Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke: ein Thema, das die FDP im Wahlkampf immer wieder ansprach - auch bei den Auftritten von liberalen Bundespolitikern.
Die AfD: Stefan Marzischewski-Drewes
Die AfD wird in Niedersachsen von Stefan Marzischewski-Drewes angeführt. Er spricht von "verbrauchten Altparteien aus CDU, SPD und FDP" und "grüner Politik mit unbezahlbaren Energiepreisen".
Die wichtigsten Themen: Energie, Klima, Bildung
Neben klassischen landespolitischen Themen wie Bildung und innere Sicherheit wurde auch über aktuelle Vorschläge in der Energie- und Klimakrise debattiert. So geht es beispielsweise - und dies im traditionellen Auto- und VW-Land Niedersachsen - um ein Nachfolgemodell für das Neun-Euro-Ticket. Der bisherige Verkehrsminister und CDU-Spitzenkandidat Althusmann sprach sich im Dlf für ein deutschlandweit einheitliches Nahverkehrsticket aus. Zumindest sollten die norddeutschen Länder ein Nachfolgemodell finden.
Auch die Energieversorgung ist vor dem Hintergrund der Auswirkungen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ein wichtiges Thema. Niedersachsens Ministerpräsident Weil besuchte im August den Anleger des geplanten LNG-Terminals in Wilhelmshaven. Für Proteste von Umweltschützern zeigte er dabei Verständnis, betonte aber die Bedeutung des Projekts. Bei dem Terminal für Flüssiggas, kurz LNG (liquefied natural gas), gehe es um "unsere ganze Gesellschaft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt". Angesichts einer drohenden Energieknappheit müsse verhindert werden, dass Menschen im Winter in kalten Wohnungen sitzen und Produktionen stillgelegt werden könnten.
Bei möglichen künftigen Koalitionsgesprächen dürfte ein wichtiger Punkt sein, wie lang LNG-Terminals angesichts der Energiewende genutzt werden sollen. "Um restliche verbleibende Bedarfe zu decken, reichen aus unserer Sicht schwimmende LNG-Terminals an der deutschen Küste aus. Neue permanente fossile Infrastruktur lehnen wir ab", heißt es dazu im Wahlprogramm der Grünen. Die CDU schreibt in ihrem Programm, dass Häfen wie Wilhelmshaven und Stade zu "Energiehäfen" ausgebaut werden sollen mit der nötigen Infrastruktur wie LNG-Terminals.
Weitere Themen im Wahlkampf waren unter anderem das Tempo des Ausbaus der Erneuerbaren Energien, zum Beispiel der Windkraft im Küstenland Niedersachsen. Zum Thema Fracking heißt es im Wahlprogramm der Grünen: "Wir setzen uns für ein dauerhaftes und bundesweites Verbot von Fracking in jeder Form und für jede Gesteinsart ein." Wegen der Energiekrise gibt es Forderungen, Gasfracking in Niedersachsen zu erlauben – unter anderem von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Derzeit sei die Methode verboten, sagte CDU-Spitzenkandidat Althusmann. Und vor einem Einstieg in diese umstrittene Technologie sollten zunächst alle anderen Optionen ausgeschöpft werden. Auch Ministerpräsident Weil sprach sich gegen Fracking aus – und konterte im Juli Richtung Bayern, das Bundesland solle stattdessen Windkraft ausbauen.
(Quellen: Dirk-Oliver Heckmann, Stephan Detjen, Frank Capellan, Gudula Geuther, Ann-Kathrin Büüsker, Nadine Lindner)