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Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil
Weil kritisiert Auswahlverfahren für den SPD-Parteivorsitz deutlich

Das Verfahren für einen neuen SPD-Vorsitz führe zur "spürbaren Verunsicherung" bei Parteimitgliedern, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Dlf. "Am Anfang gab es fast nur Aussagen, wer nicht zur Verfügung steht, aber nicht umgekehrt.“ Das präge nun das Auswahlverfahren, so der SPD-Politiker.

Stephan Weil im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern |
Stephan Weil, Ministerpraesident des Landes Niedersachsen, SPD, bei einer Pressekonferenz
Unmut äußert der Ministerpräsident Stephan Weil auch über das Erscheinungsbild der schwarz-roten Koalition im Bund (imago/Jens Schicke)
Was seine eigenen Ambitionen auf das Amt des Parteichefs betrifft, wiederholte der Ministerpräsident, er habe eine wichtige Aufgabe in Niedersachsen. "Und zwar eine, die mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Ich habe keine Ambitionen nach Berlin zu gehen." Endgültig ausschließen will er diesen Schritt aber nicht, denn es gebe viele Politikerinnen und Politiker, "die bitter bereuen, dass sie vorschnell einen solchen Satz bejaht haben, und dann überrascht gewesen sind von den folgenden Entwicklungen."
Gefragt, ob er damit Finanzminister Olaf Scholz meine, der eine Kandidatur für den Parteivorsitz zunächst ausgeschlossen hatte und nun doch antreten will, sagte Weil: "Ich möchte keine Haltungsnoten für einzelne Parteifreunde abgeben, das muss am Ende des Tages jeder mit sich selbst ausmachen." Es habe in den letzten vier, fünf Jahren eine ganze Handvoll Beispiele gegeben, "wo diese Ausschließeritis zu keinen guten Ergebnissen geführt hat, und was wir derzeit in der SPD erleben, bestätigt mich darin."
Auf die Frage nach dem verheerenden Erscheinungsbild der SPD infolge der wochenlangen Selbstbeschäftigung entgegnete Weil: "Mir persönlich dauert dieser Prozess auch zu lange, aber so ist es nun einmal in den Gremien beschlossen worden. Wir sollten nur einen Fehler nicht machen, zu glauben, dass in der Zwischenzeit die Welt stillsteht. Sie (die Partei) darf sich nicht nur mit sich selbst befassen."
Weil rät von Ausstieg aus Großer Koalition ab
Unmut äußert der Ministerpräsident auch über das Erscheinungsbild der schwarz-roten Koalition im Bund. Dennoch rät er von einem Ausstieg ab: "Man verlässt eine Regierung nicht ohne triftigen Grund. Das Ganze leidet aber darunter, dass immer wieder unendlich lange gestritten wurde, und wenn dann endlich ein Kompromiss da war, dann hat es keiner mehr wahrgenommen, oder es wurde eher als Erlösung empfunden."
Die Vorlage des Klimaschutz-Pakets am 20. September werde zur "Nagelprobe" für die Zusammenarbeit von Union und SPD werden: "Unbestritten ein Thema, wo die Bundespolitik Defizite hat. Die Frage des Klimaschutzes entscheidet mit über die Zukunft der Koalition. Das liegt klar auf der Hand. Es ist das Topthema der Innenpolitik, und da muss die Bundesregierung Farbe bekennen. Die Art und Weise, wie sie das tut, wie überzeugend die Ergebnisse sind, die werden deswegen natürlich auch mitentscheiden über die Frage: Gibt es die zweite Halbzeit für diese Koalition?"

Das Interview in voller Länge:
Barbara Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche, heute senden wir aus Hannover. Wir sind zu Gast bei Ihnen, Stephan Weil, hier in der Staatskanzlei. Sie sind der Ministerpräsident in Niedersachsen seit dem Jahr 2013, und Sie sind Hannover 96-Fan. Ich bin selber kein Fußballfan, sage ich gleich vorweg, habe mich aber ein bisschen schlaugemacht und gelesen, dass es immer mal wieder auf und ab geht mit Hannover 96.
Stephan Weil: Das haben Sie sehr nett formuliert, ja.
Schmidt-Mattern: Ab und zu schaffen sie es mal nach oben. Meistens geht es aber eher wieder runter. Derzeit spielen sie in der zweiten Bundesliga, und auch Ihr Lieblingsverein hat einen nicht ganz funktionierenden Vorstand. Da denkt man automatisch an gewisse Parallelen zur SPD. Wem geht es denn schlechter zurzeit, Ihrem Fußballverein oder Ihrer Partei?
Weil: Also, wenn Sie jetzt die Parallelen noch fortsetzen wollen, dann könnte man auf die wechselseitigen Vereinsfarben hinweisen. In Hannover heißt Hannover 96 nur: die Roten. Na ja, und politisch gesehen sind wir Sozialdemokraten die Roten. Aber da hören dann ehrlich gesagt die Vergleiche auch schon auf. Im Stadion von Hannover bin ich seit mehr als einem halben Jahrhundert, und ich habe in dieser Zeit acht Abstiege erlebt, aber auch sieben Aufstiege. Und jetzt warte ich auf den achten. Mal gucken, wann der kommen wird.
Und was die SPD angeht, kann sie wirklich über eine sehr viel längere Zeit darauf verweisen, dass sie absolut erstklassig arbeitet, gearbeitet hat, auch erstklassige Politik gemacht hat, erstklassige Erfolge erzielt hat. Jetzt müssen wir allerdings gerade aufpassen, dass wir auch für die Zukunft uns richtig aufstellen. Aber jetzt will ich es mit den Vergleichen, mit dem Fußball auch nicht zu weit treiben.
"Spürbare Verunsicherung in der eigenen Mitgliedschaft"
Schmidt-Mattern: Sie machen allerhand viel von sich reden, als Partei und auch Sie persönlich, in den letzten Tagen und Wochen. Sie befinden sich mitten in einem Suchverfahren für einen neuen Parteivorsitzen, ein neues Parteivorsitzenden-Duo. Es hagelt Kritik und Häme an der Art des Auswahlverfahrens, wie das derzeit stattfindet. Wie sehr schadet das Ihrer Partei gerade?
Weil: Na, optimal ist das ganz bestimmt nicht, was wir gerade erleben, und es führt wirklich auch zu einer spürbaren Verunsicherung in der eigenen Mitgliedschaft. Da darf man nicht drum herumreden. Am Anfang gab es ja fast nur Aussagen, wer nicht zur Verfügung steht, aber nicht umgekehrt, wer zur Verfügung steht. Und das ist schon ein Thema, das jetzt das gesamte Verfahren auch mit prägt. Wir haben jetzt noch Zeit bis zum 1. September. Ich gehe davon aus, dass es bis dahin noch Personalangebote geben wird, die wirklich auch ein Angebot an die ganze Partei sind und die überzeugend sind. Also, insofern habe ich die Hoffnung, dass diese schwierige Phase jetzt sich nicht unendlich erstreckt.
Schmidt-Mattern: Das leuchtet mir noch nicht so ganz ein, woher Sie diese Hoffnung nehmen. Denn am 1. September ist zwar erst mal der Schluss für die Bewerbungen, aber danach geht es ja Wochen und Monate noch weiter. Sie haben alleine 23 Regionalkonferenzen geplant, auf denen sich die Kandidaten vorstellen sollen. Und unter dem Strich wird die SPD einen neuen Parteivorsitzenden, zwei neue Parteivorsitzende erst Anfang Dezember haben. Droht da nicht die Gefahr, dass wichtige Themen, die das Land, die die Leute beschäftigen, liegenbleiben, weil die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt?
Weil: Mir persönlich dauert dieser Prozess auch zu lange, aber so ist es nun einmal in den zuständigen Gremien beschlossen worden. Und es macht keinen Sinn, an der Stelle noch einmal die Diskussion von vorne zu führen. Was ich habe ausdrücken wollen, ist: Das ganze Verfahren ist, glaube ich, sehr davon abhängig, dass am Ende auch wirklich Kandidaturen da sind, die wirklich eine übergreifende Strahlkraft auch haben. Und dann kann es der SPD sehr guttun, wenn sie sich auch ausgiebig Zeit nimmt. Wir sollten nur einen Fehler nicht machen, nämlich zu glauben, dass in der Zwischenzeit die Welt stillsteht. Die SPD regiert in Berlin. Sie regiert in vielen Bundesländern und Kommunen.
Schmidt-Mattern: Aber den Fehler machen sie doch gerade.
Weil: Sie darf sich nicht nur mit sich selber befassen. Och, wenn es nach mir geht, dann können wir auch uns über ganz andere Themen unterhalten und nicht nur über die nächste SPD-Spitze. Ich unterhalte mich ehrlich gesagt sehr viel lieber über Sachthemen.
Schmidt-Mattern: Ich bin ein bisschen überrascht, dass Sie sagen: Wir werden das schon hinkriegen, und die Diskussionen sind geführt. Es gibt ja unglaublich viele Menschen im Land, die an ihrer SPD verzweifeln. Und Sie wirken eigentlich ganz gelassen. Dabei weiß niemand, ob es diese SPD in den kommenden Jahren noch geben wird.
Weil: Also, das ist erst mal der - wie soll ich sagen - niedersächsische Grundmodus. Gelassenheit ist, glaube ich, schon ein Kennzeichen der Menschen in unserem Bundesland. Ich habe da Zuversicht ausdrücken wollen. Und ich bin da wirklich guten Mutes, dass wir am Ende neben manchen anderen Kandidaturen auch solche haben werden, an denen wirklich eine Orientierung möglich ist, die auch eine Überzeugungskraft entwickelt über kleine, engere Kreise hinaus.
Kein eindeutiges Nein zu eigener Kandidatur
Schmidt-Mattern: Wir kennen sicherlich noch nicht alle Kandidaten, die antreten werden bis zum 1. September, aber eine ganze Reihe Namen sind jetzt auf dem Markt. Wer ist denn Ihr Favorit, Ihre Favoritin, nach allem, was wir bisher wissen?
Weil: Also, ich gehe davon aus, dass wir in Niedersachsen - und das gilt auch für mich persönlich - erst relativ kurz vor Toresschluss uns positionieren werden und der ist bekanntlich - dieser Toresschluss - am 1. September.
Schmidt-Mattern: Ich zitiere Sie einmal. Sie haben in Bezug auf die Parteivorsitzkandidatur gesagt: "Ich gehe davon aus, dass ich nicht kandidieren werde." Daraus haben einige Medien jetzt gemacht: Stephan Weil verzichtet. Ist das richtig?
Weil: Ich sage persönlich eigentlich, ich muss sagen, seit Monaten und fast täglich ununterbrochen dasselbe. Ich habe wirklich eine wichtige Aufgabe in Niedersachsen, und zwar eine, die mir wirklich ans Herz gewachsen ist. Ich habe keine Ambitionen nach Berlin zu gehen. Das Einzige, was ich nicht tue, das ist auf die beliebte Journalistenfrage "können Sie ausschließen, dass" mit "ja" zu antworten. Und warum tue ich das nicht? Weil es wirklich viele, viele Politikerinnen und Politiker gibt, die bitter bereuen, dass sie vorschnell einen solchen Satz bejaht haben und dann überrascht gewesen sind von Entwicklungen, die noch kommen.
Insgesamt gesehen hat die SPD wirklich keinen Mangel an Ausschlusserklärungen gehabt. Und, dass uns das genutzt hätte in den vergangenen Wochen, das kann ich wirklich nicht erkennen. Ich gebe mir also persönlich große Mühe, mich sehr verantwortungsbewusst gegenüber meiner eigenen Partei zu verhalten.
Schmidt-Mattern: Dann finden Sie das bisherige Verhalten von Olaf Scholz, dem Finanzminister, wahrscheinlich auch nicht besonders glücklich. Denn der hat ja genau das getan, was Sie gerade beschrieben haben. Der hat sich schnell zu Wort gemeldet zu Beginn des Auswahlverfahrens und hat gesagt: Ich trete nicht an, dafür habe ich keine Zeit als Finanzminister. Schwups, jetzt tritt er plötzlich doch an.
Weil: Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich wollte jetzt nicht Haltungsnoten für einzelne Parteifreundinnen und Parteifreunde hier abgeben. Das muss am Ende des Tages ja auch jeder mit sich selbst ausmachen. Aber es gibt – wenn Sie alleine mal die letzten vier, fünf Jahre in der Bundespolitik nehmen - ich glaube eine ganze Hand voll Beispiele, wo diese "Ausschließeritis", ja, zu keinen guten Ergebnissen geführt hat. Was wir derzeit in der SPD erleben, bestätigt mich darin.
"Derzeitige Diskussion ist eine Belastung für die SPD"
Schmidt-Mattern: Ihre Parteifreunde in Ostdeutschland, zum Beispiel der Landeschef der SPD in Sachsen, Martin Dulig, die sind mehr oder weniger verzweifelt über dieses Schauspiel, was die SPD gerade aufführt oder das, womit sie am meisten Reden von sich macht. Nämlich dass alle Sozialdemokraten dieses Amt als - um Franz Müntefering zu zitieren - immer noch vielfach als das Schönste nach dem Papst bezeichnen und komischerweise dann trotzdem niemand dafür antreten möchte oder eben bisher nicht besonders viele, zumindest nicht aus der ersten Reihe. Schaden sie mit dieser Selbstbeschäftigung nicht unglaublich ihren Freunden im Osten, die gerade vor drei wichtigen Landtagswahlen stehen?
Weil: Ja, also, ich kann gut verstehen, wenn meine Freundinnen und Freunde in den neuen Ländern das wirklich nicht witzige finden, diese Diskussion. Sie ist insgesamt für die SPD eine Belastung, wenn sie so läuft, wie sie derzeit läuft. Und das gilt natürlich erst recht bei den Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern. Jetzt müssen wir schauen, dass wir in den nächsten zwei Wochen solche Konturen hineinbekommen in diese Diskussion, dass auch für die Wahlkämpfe im Osten klar ist, womit die Menschen rechnen können, wenn sie an die SPD der Zukunft denken.
Schmidt-Mattern: An welche Konturen denken Sie denn da? Können Sie das konkretisieren?
Weil: Das werde ich jetzt nicht konkret personell machen. Sie wissen, dass es im Moment ganz viele gibt, die darüber nachdenken, ob sie kandidieren. Ich wünsche mir sehr, dass jede Kandidatur auch daraufhin überprüft wird: Ist das jetzt ein Angebot, das wirklich der SPD insgesamt dient, das letzten Endes auch eine integrierende Wirkung hat? Wenn es das gibt, dann kann ich mich nur wiederholen, dann bin ich eigentlich ganz guten Mutes, dass wir am Ende auch in dann die Diskussionsphase hineingehen können, ohne dass die SPD darunter Schaden nimmt.
"Klimaschutz entscheidet über Zukunft der Großen Koalition"
Schmidt-Mattern: Weil ja alles miteinander zusammenhängt, der Parteivorsitz mit der Zukunft der Koalition in Berlin, wir haben es eben schon angesprochen, wäre meine Frage an Sie, ob es nicht einen Kandidaten, eine Kandidatin braucht, die ganz eindeutig erklärt: Wir wollen in der Koalition in Berlin bleiben, weil wir als SPD noch einiges erreichen müssen. Oder sollte man das offen lassen? Oder sagen Sie, nein, wir sollten eigentlich aussteigen aus dieser sogenannten GroKo, die ja gar keine richtige mehr ist?
Weil: Also, meine persönliche Position ist, dass man nicht ohne triftigen Grund eine Regierung verlässt. Ich habe den Eindruck, dass die Einzelergebnisse der Großen Koalition sich in vielen, vielen Fällen sehr, sehr gut sehen lassen können. Das Ganze leidet aber darunter, zum einen, dass es immer wieder Beispiele dafür gegeben hat, dass unendlich lange gestritten wurde, und wenn dann endlich ein Kompromiss da war, dann hat es keiner noch wahrgenommen, oder wenn, dann wurde das eher als Erlösung empfunden.
Und dann gibt es ein ganz praktisches Beispiel, an dem man deutlich machen muss, dass es in der zweiten Halbzeit besser werden wird. Das ist nämlich das Thema Klimaschutz. Unbestritten ein Thema, wo die Bundespolitik Defizite hat. Und da hat sich die Bundesregierung einen sehr ambitionierten Fahrplan gegeben. Im September sollen die Ergebnisse auf den Tisch kommen. Und nach meiner Auffassung ist das so etwas wie die Nagelprobe für eine zweite Halbzeit der Großen Koalition. Gelingt es, eine überzeugende Klimaschutzpolitik zu formulieren, dann bin ich deutlich zuversichtlicher, als wenn ich mir das Gegenteil vorstelle.
Schmidt-Mattern: Wenn ich da Ihren Parteifreund, auch hier aus Niedersachsen, zitieren darf: Bundestags-Vizepräsident Thomas Oppermann hat kürzlich gesagt, ohne unter anderem ein gutes Klimaschutzgesetz wird es die Koalition Weihnachten nicht mehr geben. Das sagen Sie dann hiermit auch?
Weil: Was ich sage ist, dass die Frage des Klimaschutzes mit entscheidet auch über die Zukunft der Koalition. Und ich glaube, das liegt klar auf der Hand. Alle gucken jetzt darauf: Wie reagiert die Bundespolitik auf den Umstand, dass wir in Deutschland unseren Klimaschutzzielen hinterherhinken? Das ist auch kein Thema, das nur in Expertenkreisen diskutiert wird, sondern das weite, weite Bevölkerungskreise erreicht hat. Durchaus mit unterschiedlichen Akzenten, aber es ist wirklich das Top-Thema der Innenpolitik derzeit. Und da muss die Bundesregierung Farbe bekennen. Die Art und Weise, wie sie das tut, wie überzeugend die Ergebnisse sind, die werden deswegen natürlich auch mit entscheiden über die Frage, ja: Gibt es die zweite Halbzeit für diese Koalition? Ich mache persönlich gar keinen Hehl daraus, ich würde mich freuen über einen wirklich überzeugenden Klimaschutzvorschlag der Bundesregierung der Sache wegen, aber durchaus der Stabilität halber auch.
Bei CO2-Bepreisung auf Urteil der Experten hören
Schmidt-Mattern: Ihre Parteifreundin Svenja Schulze, Bundesumweltministerin, hat vorgelegt den Plan für eine CO2-Steuer, dass also der Ausstoß von klimaschädlichen Gasen künftig einen Preis bekommen soll, und dass Bürger im Gegenzug aber entschädigt werden. Da sagt der Koalitionspartner in Berlin jetzt schon: Eine CO2-Steuer wird es mit uns nicht geben. Man kann das jetzt beliebig weiter durchdeklinieren, ob es um die Fleischpreise geht, um höhere Flugtickets, um billigere Bahntickets, überall gibt es viele, viele Vorschläge, aber keinen Konsens. Und bei der SPD weiß man damit eben auch nicht genau: Was genau wollen sie eigentlich im Klimaschutz?
Weil: Ich glaube, was die SPD-Position angeht, kann man das schon sehr klar festlegen. Wir brauchen eine Mischung von Anreizen, von ordnungsbehördlichen Maßnahmen, aber vor allen Dingen auch dann natürlich als eine Säule einer CO2-Bepreisung. Wir leben ja in einem marktwirtschaftlichen System, und da hat alles irgendwie seinen Preis, interessanterweise nur die Umweltbelastung nicht.
Schmidt-Mattern: Sie sprechen jetzt bewusst von CO2-Bepreisung, weil das der neutralste Begriff ist. Umstritten ist aber ja tatsächlich zwischen CDU/CSU und SPD, ob es nun eine CO2-Steuer sein soll, oder ob es eine Ausweitung des Emissionshandels geben soll, einen nationalen Emissionshandel. Und darüber sind ja CDU und CSU auf der einen Seite und die SPD durchaus sehr, sehr unterschiedlicher Meinung.
Weil: Es ist so, da darf man durchaus auch auf das Urteil der Experten hören. Es gibt eine gemeinsame Stellungnahme der Wirtschaft, der Gewerkschaften, insbesondere auch der Energieverbände. Die empfehlen sehr, dass man nicht versucht, das Ganze jetzt erst mal auf den Emissionshandel abzuschieben, denn das kann lange, lange, lange dauern, bis man das mit Europa harmonisiert hat. Und das wäre dann sicher notwendig. Sondern, dass wir pragmatisch an dem anknüpfen, was wir derzeit haben. Wir haben ja heute beispielsweise bestimmte Steuern auf Benzin und dergleichen mehr. Es ist für mich die spannendere Frage und die wichtigere Frage: Wie sorgen wir dafür, dass niemand überfordert wird, dass alle den Eindruck haben, das ist vernünftig und fair, was hier geschieht, und zwar insbesondere diejenigen, die nicht in der Stadt leben mit einem großen Geldbeutel, sondern auf dem Lande mit einem kleinen.
Schmidt-Mattern: Sie listen jetzt die Fragen auf, die geklärt werden müssen. Sie müssten aber doch als Politiker die Antworten geben.
Weil: Ja, ich habe ja an der Stelle, glaube ich, schon zum Ausdruck gebracht, was ich für richtig halte, nämlich eine Anknüpfung an das bisherige Abgabesystem. Ich glaube auch, dass es notwendig ist, dass wir alle Möglichkeiten nutzen, zum Beispiel die EEG-Umlage damit zu senken. Im Moment haben wir die eigenartige Situation, dass der Energieträger Strom die Kosten der Energiewende ganz alleine tragen muss. Das ist auch nicht vernünftig, denn der Strom ist ja gleichzeitig das Mittel für die Erneuerbaren Energien, dann tatsächlich in den Verkehr gebracht zu werden. Also, insofern habe ich eine klare Orientierung.
Aber ich meine, niemand von uns solle so tun, als ob er an dieser Stelle den Stein der Weisen gefunden hätte. Ich würde mich freuen, wenn auf dieser Grundlage wirklich man in der Bundesregierung zu einem klaren System gelangt, das gut ist. Das ist auch kein Hexenwerk. Es gibt viele EU-Länder rings um uns herum, die haben eine CO2-Bepreisung, und das funktioniert auch. Warum soll es bei uns also nicht klappen?
Keine Scheindebatte über Schuldenbremse führen
Schmidt-Mattern: Die meisten Leute interessiert beim Klima neben dem Klimaschutz an sich auch, was das künftig für das Geld im eigenen Portemonnaie bedeutet. Im Moment wird diskutiert, was uns eigentlich in Deutschland wichtiger sein sollte, die schwarze oder die grüne Null, also sprich, dass wir keine neuen Schulden machen, oder dass wir das Ziel der Treibhausgasneutralität bis zum Jahr 2050 erreichen, dass wir also einfach gesagt kein CO2 mehr ausstoßen bis dahin. Dürfen, müssen wir sogar für das Klima neue Schulden machen in Deutschland?
Weil: Ich bin ja wirklich ein bekennender Realo. Und es gibt vieles, was man mit guten Gründen an der Schuldenbremse des Grundgesetzes kritisieren kann, insbesondere, dass die Investitionen im Grunde genommen aus dem Cash heraus bezahlt werden müssen. Ich war immer der Auffassung, laufende Ausgaben müssen durch laufende Einnahmen gedeckt werden, so, wie es ja im privaten Leben auch der Fall sein sollte.
Aber, dass bei öffentlichen Investitionen alles gewissermaßen gleich zur Verfügung steht, das ist gerade bei besonders teuren Investitionen nicht wirklich klug. Aber das steht im Grundgesetz. Und es ist völlig unrealistisch, davon auszugehen, dass wir kurz- oder mittelfristig an dieser Stelle eine Grundgesetzänderung erleben werden. Deswegen halte ich das derzeit, ehrlich gesagt, für eine Scheindebatte, die davon ablenkt, dass wir die richtigen Maßnahmen definieren müssen, und dass dann auch darüber geredet werden muss: Wie können wir das eigentlich bezahlen? Denn eins steht in der Tat fest: Klimaschutz wird es nicht zum Nulltarif geben. Aber es macht keinen Sinn, jetzt eine Windmühlendiskussion zu führen über die Schuldenbremse. Die ist bombenfest im Grundgesetz und ist auch in der Bevölkerung ziemlich populär. Das muss man auch sehen.
Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk, heute mit Stephan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen und Sozialdemokrat. Lassen Sie uns bei diesem Thema noch einen Augenblick bleiben. Ich hatte Sie gefragt, ob wir für das Klima neue Schulden machen müssen. Ich bin jetzt aus Ihrer Antwort nicht ganz schlau geworden, was Ihnen wichtiger ist, dass die Schuldenbremse gelten soll, dass man das im Grundgesetz nicht anrühren darf. Oder, dass Sie auf der anderen Seite sagen Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Das ist für mich im Moment ein Widerspruch, denn Klimaschutz wird ja Milliarden an Euro kosten. Deswegen noch einmal die Frage: Sie halten an der schwarzen Null unbedingt fest?
Weil: Die steht im Grundgesetz und ich sehe überhaupt keine Chance, dass auf für mich absehbare Zeit sich daran etwas ändern wird. Da gibt es schlichtweg keine politischen Mehrheiten dafür, nicht in den Parlamenten, keine Zwei-Drittel-Mehrheiten und nicht in der Bevölkerung. Auch da ist ja klar, dass die Schuldenbremse ausgesprochen viel gesellschaftliche Zustimmung hat. So, und wenn der Weg über die Kreditaufnahme nicht zur Verfügung steht, und wenn es stimmt, dass Klimaschutz Geld kostet, dann wird man über Umschichtung natürlich miteinander sprechen müssen, zum Beispiel in den staatlichen Haushalten, etwa, wenn es um Investitionen geht. Es macht also die Dinge nicht leichter, dass wir an dieser Stelle die Schuldenbremse haben, aber sie ist Fakt und wir sollten nicht so tun, als ob man das kurzfristig ändern könnte.
Schmidt-Mattern: Wo wollen Sie denn Geld einsparen, das dann für den Klimaschutz zur Verfügung stünde?
Weil: Das wird jetzt die Aufgabe der Bundesministerien sein, die ja ihre Vorschläge in das Klimakabinett der Bundesregierung mit einbringen. Und da wird man eben nicht nur darüber reden können, was es kostet, sondern auch darüber reden müssen, wo es herkommt. Ich sage Ihnen ein Beispiel, dass wir zum Beispiel über die CO2-Bepreisung natürlich auch schauen müssen, dass wir einzelne Investitionsförderungen möglich machen können.
Das vielleicht wichtigste Thema ist der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft. Das hilft Industrieunternehmen, CO2-neutral zu werden. Und deswegen würde ich mich sehr freuen, wenn wir zu einem wirklich ambitionierten Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft kommen. Und das rechtfertigt in der Tat auch Umschichtung. Dann kann eben manches andere nicht geschehen.
Grundrente: Menschen sollen sich nicht nackig machen müssen
Schmidt-Mattern: Ein Herzensthema der Sozialdemokratie ist die Grundrente. An diesem Wochenende tagt der Koalitionsausschuss in Berlin. Die Grundrente und die Frage, wird die kommen, und wenn ja, mit oder ohne eine Bedürftigkeitsprüfung, ist gerade einer der Zankäpfel in dieser Koalition in Berlin. Kommt die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung oder wie könnte eine Einigung aussehen mit der Union?
Weil: Ich bin guten Mutes, dass die Grundrente kommen wird. Da wirft tatsächlich auch der Wahlkampf in den ostdeutschen Ländern seine Schatten voraus, denn die Grundrente ist gerade in den neuen Ländern und übrigens gerade für Frauen ein ganz extrem wichtiges Thema.
Schmidt-Mattern: Das war ja nicht die Frage - wenn ich Sie kurz unterbrechen darf. Die Frage war, ob die Grundrente mit einer Bedürftigkeitsprüfung kommt.
Weil: Darauf wollte ich jetzt auch antworten. Meine persönliche Haltung dazu rührt her aus persönlichen Erfahrungen, die ich in meiner Zeit als Oberbürgermeister hier in Hannover gemacht habe. Da sind regelmäßig ältere Menschen zu mir in die Sprechstunde gekommen mit zwei dicken Packen Papier. Mit dem einen Packen wollten sie mir beweisen, dass sie ihr Leben lang fleißig gewesen sind und mit dem anderen dicken Packen, dass sie mit der Grundsicherung, also der Sozialhilfe für ältere Menschen, überhaupt nicht hinkommen, auch bei allergrößter Sparsamkeit. Und die haben den Besuch bei ihrem Oberbürgermeister als beschämend und entwürdigend empfunden.
Und im Kern muss es darum gehen, dass Leute, die ihr Leben lang fleißig gewesen sind, nicht das Gefühl haben, sie müssten am Ende ihres langen Arbeitslebens jetzt sich nackig machen gegenüber der Sozialverwaltung und nun tatsächlich alles umkehren. Und, wenn es gelingt, auf dieser Grundlage eine pragmatische Lösung zu finden jetzt im Koalitionsausschuss, dann würde mich das sehr freuen.
Schmidt-Mattern: Die könnte zum Beispiel so aussehen, dass Sie sich gemeinsam in der Bundesregierung auf eine Einkommensgrenze einigen, bis zu der diese Grundrente gezahlt wird.
Weil: Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, wie ein Kompromiss im Zweifel aussehen könnte.
Schmidt-Mattern: Aber das interessiert doch unglaublich viele Wähler, gerade in Ostdeutschland. Sie haben es ja selber angesprochen.
Weil: Ja, das stimmt, aber ich bin leider nicht an diesem Tisch dabei, wenn das verhandelt wird und ich glaube ehrlich gesagt nicht - nach meinen Erfahrungen - dass es in solchen Situationen hilfreich ist, wenn es allzu viele Beiträge von der Seitenlinie gibt. Ich glaube, der Druck auf die Koalitionsparteien ist groß genug, dass man hoffentlich am Wochenende dann unter dieses Thema dann einen Schlussstrich ziehen kann, dass man einen guten Kompromiss gefunden hat. Das wäre dann tatsächlich auch eine Hilfe für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer in Ostdeutschland.
Abschaffung des Soli: Höchsten Einkommen nicht nochmal entlasten
Schmidt-Mattern: Noch eine Kontroverse wird anhaltend geführt um die Frage, wann der Soli, der Solidaritätszuschlag, auslaufen soll. Es liegen jetzt zwei Ideen vor. Eine kommt vom Bundeswirtschaftsminister, Peter Altmaier, Christdemokrat. Eine von Ihrem Parteifreund, Olaf Scholz, dem Finanzminister. Das sind unterschiedliche Modelle, wann, und ob der gesamte Soli wegfällt. Was ist Ihr Vorschlag?
Weil: Darin habe ich eine sehr klare Haltung. Man muss sehen, dass über 90 Prozent der Bevölkerung die eine Hälfte des Soli derzeit zahlen, also etwa zehn, elf Milliarden Euro. Und die obersten zehn Prozent, also die bestverdienenden zehn Prozent, die andere Hälfte. Und ich finde es richtig, kleinere und mittlere Einkommen zu entlasten. Aber ich glaube nicht, dass irgendjemand Verständnis dafür hätte, wenn wir jetzt tatsächlich gerade die höchsten Einkommen in Deutschland noch mal besonders stark entlasten.
Wir sprachen ja gerade auch über Investitionserfordernisse des Staates - Stichwort Klimaschutz. Wenn wir uns an dieser Stelle dann auch noch dazu durchringen würden, zehn Prozent an die reichsten Menschen in Deutschland herauszugeben, ja, dann sind die Handlungsmöglichkeiten des Staates wirklich sehr arg eingeschränkt. Und das hielte ich nicht für vertretbar.
Schmidt-Mattern: Nun hält der Wirtschaftsminister, Peter Altmaier, nicht für vertretbar, dass man keine verfassungsrechtliche Klarheit schafft, wenn man den Soli nicht endgültig abschafft.
Weil: Ich gehe davon aus, dass das Bundesfinanzministerium seinen Vorschlag sehr, sehr sorgfältig auch verfassungsrechtlich geprüft hat. Alles andere würde mich außerordentlich überraschen. Nein, es ist auch eine klare Regelung innerhalb der Koalitionsvereinbarungen. Das ist wieder ein Beispiel dafür, wo sich die Große Koalition das Leben selbst schwer macht. Wenn man alles das, worüber man schon einmal gestritten hat und worüber man schon einmal einen Kompromiss gefunden hat, wieder von vorne anfängt zu diskutieren, ja, dann kann man eigentlich nicht viel Lob erwarten in der Öffentlichkeit.
Schmidt-Mattern: Nun werden besonders Spitzenverdiener Ihnen jetzt gerade sehr, sehr gut zugehört haben. Wie lange sollen die denn dann noch zahlen nach Ihrer Ansicht, wenn Sie sagen, das ist aus Gerechtigkeitsgründen nicht zu vermitteln?
Weil: Wir haben aus Niedersachsen vor etwa zweieinhalb Jahren heraus mal einen Vorschlag für eine Steuerreform gemacht, die ich nach wir vor für richtig halte. Ich würde nämlich tatsächlich es für richtig halten, auf Dauer diese bestverdienendsten Teile unserer Gesellschaft - übrigens, Ministerpräsidenten gehören auch dazu - auch tatsächlich in der bisherigen Höhe weiter zu belasten. Damit kommt jeder von uns, wenn ich das mal so sagen darf, wunderbar klar. Und ich habe immer wieder gehört, auch von Menschen, die noch sehr viel mehr Geld verdienen als ich, dass höhere Einkommensteuern für sie im Zweifel nicht das ganz große Problem wären. Und bei den Beträgen, über die wir da reden, ist das auch der Fall.
"Kann Forderung der Ostdeutschen gut verstehen"
Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns zum Schluss auf die Landtagswahlen in Ostdeutschland noch mal blicken. Derzeit steht die SPD in Brandenburg nur noch auf Platz drei, hinter der AfD und hinter der CDU, in Sachsen sogar nur auf Platz fünf. Was machen Sie, was machen auch die anderen etablierten Parteien falsch, dass die AfD so auf dem Vormarsch ist?
Weil: Ich bin ein Wessi. Und was ich wirklich gelernt habe in den letzten Jahren und Jahrzehnten, ist, dass man als Westdeutscher sich bitteschön fein hütet, allzu klug daherzureden über die Verhältnisse in den neuen Ländern. Die sind immer noch deutlich anders als in den westlichen Ländern. Ich habe den Eindruck, auch nach meinen persönlichen Besuchen beispielsweise in Brandenburg, dass insbesondere die Person von Dietmar Woidke eine ganz große Rolle spielt. Er ist eine sehr anerkannte Integrationsfigur.
Eines muss man allerdings auch sagen, ich verstehe ausdrücklich, wenn die Ostdeutschen darauf hinweisen: Wir verdienen weniger, wir kriegen weniger Rente als die Westdeutschen. Und, dass man da schneller zur Angleichung kommen muss, das kann ich gut verstehen als Forderung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.