Die letzten Zweifel sind verschwunden: Die Inflationsrate in Deutschland ist im Mai auf den niedrigsten Wert seit Juni 2010 gefallen, auf den niedrigsten Wert seit fast vier Jahren also. Es lag an den weiter sinkenden Preisen für Benzin und Heizöl und daran, dass der Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln ausgelaufen ist. Jedenfalls ist die Preissteigerungsrate von 1,3 Prozent im April auf vorläufig 0,9 Prozent im Mai gesunken. Sollte es noch Zweifel gegeben haben, ob die Europäische Zentralbank die Geldpolitik weiter lockere, dann sind sie jetzt weg. Timo Klein, Volkswirt bei der bankunabhängigen amerikanischen Analysegesellschaft IHS Global Insight:
"Wir hatten gerade heute wieder niedriger als erwartete deutsche Inflationszahlen. Insgesamt ist das eine, man kann sagen: ausgemachte Sache, dass eben noch mal eine weitere Lockerung am Donnerstag angekündigt wird."
Leitzinssenkung auf 0,10 Prozent?
Auch bekannte Kritiker der Europäischen Zentralbank wie Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, gestehen ein, die EZB habe sich schon bisher so weit aus dem Fenster gelegt, dass sie quasi handeln müsse:
"Wenn die Europäische Zentralbank wider Erwarten ihre Leitzinsen nicht senkt, und wider Erwarten keine weiteren expansiven Maßnahmen beschließt, dann würde der Markt massiv negativ reagieren. Dann würden Aktienkurse fallen, Anleihekurse würden fallen."
Spekuliert wird darüber, den Leitzins von 0,25 auf 0,10 Prozent zu senken. Und über negative Einlagenzinsen für Banken, die Geld bei der EZB parken sollen. Das wird dann keinen Zins mehr bringen, sondern Geld kosten. Geredet wird darüber, dass die EZB über Anleihekäufe Banken ganz aus dem Kreditrisiko entlasse. Alles Maßnahmen, um die Wirtschaft anzukurbeln, vor allem die Kreditvergabe in Südeuropa, damit aus der niedrigen Inflation nicht eine Deflation und daraus ein Stillstand der Volkswirtschaften werde. EZB-Kritiker Krämer hält davon nichts, sieht kein Problem in niedrigen, gar negativen Inflationsraten in Südeuropa:
"Die Lohnstückkosten dort sind insgesamt um acht Prozent gefallen. Und einen Teil dieser Kostenersparnis geben sie jetzt weiter an die Konsumenten. Und deshalb gehen die Preise dort in den Krisenländern des Südens leicht zurück. Aber das ist positiv, weil es bedeutet ja, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Und das ist positiv. Und die EZB kann dagegen nichts machen und sollte es begrüßen und hinnehmen und nicht noch die Zinsen senken deshalb."
Sparkassen warnen vor Senkung
Die Meinungen sind geteilt. Die EZB habe für Stabilität zu sorgen. Die ist mit knapp zwei Prozent Inflationsrate definiert. Davon ist Euroland mit 0,6 Prozent weit entfernt. Und wenn die EZB jetzt handele, dann habe sie auch eine Chance, ihr Ziel zu erreichen, selbst wenn viele Maßnahmen noch nicht ausgetestet seien, meint Timo Klein von IHS:
"Hier wird es also schon eine gewisse Versuch-und-Irrtum-Methode sein. Aber auf der anderen Seite muss man sagen: Die EZB hat sich, nach allem, was man weiß, schon seit Monaten mit Gedanken dazu herumgetragen und sich genauere Gedanken gemacht, was da sinnvoll sein könnte. Also in dem Sinne ist es jetzt kein Schnellschuss, den man da erwarten muss, sodass man jetzt nicht denken muss, dass sie sozusagen in Panik agiert. Das ist nicht der Fall."
Die Verbandsspitzen der Sparkassen, Genossenschaftsbanken und Versicherungen mahnten heute, die Zinsen nicht weiter zu senken. Das beschädige die private Altersvorsorge der Deutschen.