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Niger
Ein Friedhof aus Sand

Vor Kurzem wurden Dutzende Leichen in der Nähe von Agadez entdeckt: Die Wüstenstadt im Norden des Niger ist ein wichtiges Drehkreuz für Flüchtlinge. Schlepper organisieren hier die riskante Fahrt durch die Sahara nach Norden. Doch viele schaffen es erst gar nicht bis an ihr Ziel.

Von Alexander Göbel |
    Flüchtlinge fahren von Agadez in Niger Richtung Libyen, um von dort nach Europa zu gelangen.
    Flüchtlinge fahren von Agadez in Niger Richtung Libyen, um von dort nach Europa zu gelangen. (AFP / Issouf Sanogo)
    Koudougou Adama hat sein "Ticket ins Glück", so nennt er es jedenfalls. Bald soll es endlich losgehen, von Agadez, im Norden des Niger, bis nach Libyen. Von dort will er mit dem Boot nach Lampedusa. Nach Europa. Das Risiko kennt der junge Mann aus Burkina Faso genau. Es kann Jahre dauern, bis er es nach Europa schafft – wenn überhaupt. Drei Tage Fahrt sind es allein von Agadez bis in den Süden von Libyen. Wenn nichts dazwischenkommt.
    "Die Route ist extrem gefährlich. Man fährt eben nicht auf asphaltierten Straßen, es geht auf Pisten quer durch die Sahara. Unser Lkw hat zwar Allradantrieb, aber er ist völlig überladen, und mit 30, 40 Personen unterwegs. Und wer keinen guten Platz ergattert, wenn es losgeht, der riskiert, irgendwann runterzufallen – und zu sterben."
    In der Wüste verdurstet
    So muss es den Männern, Frauen und Kindern ergangen sein, deren verweste Leichen gerade gefunden wurden, nordwestlich von Agadez, am Rande der Ténéré-Wüste. Alle stammten aus Westafrika, alle seien auf der Reise nach Libyen verdurstet, so die Internationale Organisation für Migration, kurz: IOM. Experten schätzen, dass in der Wüste fast ebenso viele Menschen umkommen wie im Mittelmeer.
    In Agadez kursieren viele Geschichten von Leichen und Skeletten am Wegesrand. Die Stadt am Rande der nigrischen Wüste ist zum Warteraum für Menschen aus Nigeria, Mali, Senegal, Ghana, aus ganz Westafrika geworden.
    In Gettos hoffen sie auf ihre Chance, für die sie teuer bezahlt haben. Agadez ist ein Paradies für Schmuggler und Schlepper, darunter auch Polizisten und Militärs. Und für die Migranten ist Agadez eine Tür zu einem Friedhof aus Sand.
    Siradji Mahamadou hat das in Kauf genommen. Er kommt aus dem Süden des Niger, aus Diffa – dort kam die radikalislamische Terrormiliz Boko Haram aus Nigeria über die Grenze und tötete seine Familie. Schon einmal hatte Siradji Mahamadou sich nach Libyen durchgeschlagen – und wurde abgeschoben. Jetzt ist er wieder in Agadez, will es wieder versuchen. Auch wenn er genau weiß, was ihm bevorsteht:
    "Die Migranten sterben unterwegs, aber den Schleppern ist das egal. Und wenn man es tatsächlich doch nach Libyen schafft – dann gehen die Probleme erst los.
    In Libyen gibt es keinen Staat mehr, das ist natürlich einerseits gut für uns, weil es keine Kontrollen gibt. Andererseits aber ist man komplett auf sich allein gestellt, der tägliche Rassismus dort ist einfach furchtbar."
    Europas Antwort auf die Flüchtlingswelle
    Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise wollen Deutschland, Frankreich und Italien die zivilen EU-Missionen in den afrikanischen Ländern Niger und Mali ausweiten. Ein entsprechendes Diskussionspapier liegt mittlerweile den Regierungen aller EU-Mitgliedsstaaten vor.
    Die Eucap-Einsätze in der Sahelzone beraten die betroffenen Länder in Fragen der inneren Sicherheit. Jetzt müssten sie erweitert werden, fordert Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve – und spricht nüchtern von sogenanntem "Grenz- und Migrationsmanagement".
    "Wir sehen immer mehr Schlepperbanden, die in der Sahelzone und in der Wüste Geld mit dem Leid von Menschen verdienen. Darunter sind auch Terrorgruppen, vor denen wir uns schützen müssen. Es geht darum, dass wir die betroffenen Länder bei der Bekämpfung von Kriminellen unterstützen, die Dokumente fälschen, Menschen schmuggeln.
    Wir wollen mit den Ländern Westafrikas zusammenarbeiten, um die Begleitung von Migranten zu organisieren, um einzelne Fälle besser prüfen und die Abschiebung von Migranten sicherstellen zu können. 70 Prozent der Menschen, die in Italien ankommen, haben den Weg über den Niger genommen – und deshalb brauchen wir einen globalen Ansatz, um diese Fragen gemeinsam anzugehen, und wir brauchen den politischen Willen, um entsprechend zu handeln."
    Wunsch und Realität
    Wie weit die Ziele der Europäischen Union von der Realität vor Ort entfernt sind, weiß kaum jemand besser als Amadou Maliki von der Internationalen Organisation für Migration. In einem kleinen Büro in Agadez kümmert er sich um die Migranten, so gut es eben geht.
    "Einige Flüchtlinge sind in Libyen oder Algerien schwer misshandelt worden; einige kommen mit Schussverletzungen zurück, andere mit Knochenbrüchen – man kann davon ausgehen, dass sie Unvorstellbares haben ertragen müssen – in ihrer Heimat oder in den Ländern Nordafrikas, in denen sie dann ankommen."
    Amadou Maliki warnt die Menschen vor den Gefahren: Sandstürme, große Hitze, korrupte Beamte, islamistische Terrormilizen. Er weiß aus Hunderten Gesprächen: Wüsten, Meere, Zäune, Gewalt – all das sind keine Hindernisse, die Menschen aufhalten werden – wenn sie entschlossen sind, anderswo ihr Glück zu suchen.
    Von der Idee der EU, in Städten wie Agadez Auffanglager zu bauen, hält der IOM-Mitarbeiter nichts. Es sei viel sinnvoller, sagt er, mit dem Geld die Lage der Menschen in den Herkunftsländern zu verbessern. Damit sie gar nicht erst nach Agadez kommen.