Niger
Was der Putsch für den Westen bedeutet

In der westafrikanischen Sahelzone war Niger der letzte demokratische Staat. Mit der Machtübernahme durch das Militär geht dem Westen nun möglicherweise ein geostrategischer und wirtschaftlicher Partner verloren.

    Demonstranten haben sich vor der Botschaft von Frankreich in Nigers Hauptstadt Niamey  versammelt und schwenken russische Flaggen
    Pro-Putschisten-Protest vor der Botschaft der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in Nigers Hauptstadt Niamey Ende Juli 2023, wenige Tage nach dem Putsch (IMAGO / ABACAPRESS / SalamPix )
    Die demokratische Regierung in Niger ist am 26. Juli 2023 vom Militär abgesetzt worden. Präsident Mohamed Bazoum wird von den Putschisten festgehalten. Der Anführer der Präsidentengarde, General Abdourahamane Tchiani, hat sich zum Staatschef erklärt. International wurde der Putsch scharf verurteilt, der Westen hat seine Finanzhilfen eingestellt. Zuvor galt Niger als "Stabilitätsanker" in der Region. Droht nun Gewalt, nachdem ein Ultimatum der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS an die Putschisten abgelaufen ist?

    Inhaltsverzeichnis

    Worum geht es bei dem Konflikt in Niger?

    Die Putschisten in Niger haben ihren Umsturz mit der schwierigen Wirtschafts- und Sicherheitslage im Land begründet. Die Republik Niger zählt mehr als 25 Millionen Einwohner und gehört laut dem Human Development Index der Vereinten Nationen zu den ärmsten Ländern der Welt.
    Das Land ist rund dreieinhalb Mal so groß wie Deutschland und besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Dürren und ein hohes Bevölkerungswachstum führen immer wieder zu Ernährungskrisen. Der Niger besitzt Rohstoffe wie Uran-, Erdöl- und Goldexporten. Doch der Erlös aus deren Verkauf erreicht nicht die Bevölkerung.
    Ein Grund für die wirtschaftlichen Probleme sieht Olaf Bernau im Kolonialismus. Damals seien jede Form von Industrialisierung unterbunden worden, so der Autor des Buchs "Brennpunkt Westafrika".
    Die Armut ist vermutlich einer der wichtigsten Gründe für den Vormarsch radikaler Islamisten im gesamten Sahel. In den drei Sahel-Ländern Burkina Faso, Mali und Niger hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert. Niger war der letzte demokratische Staat von den dreien - in den beiden anderen herrschen schon Militärs.

    Schon 2021 wollte die Präsidentengarde an die Macht

    Der aktuelle Putschanführer und neue Machthaber Abdourahamane Tchiani ist ein Verbündeter des früheren nigrischen Präsidenten Mahamadou Issoufou. Dieser hatte Tchiani 2011 zum Chef der Präsidentengarde ernannt. Auch unter Issoufous Nachfolger Mohamed Bazoum füllte Tchiani den Posten aus.
    Anders als in Mali und Burkina Faso seien dem Putsch in Niger keine Massendemonstrationen vorausgegangen, sagt die Politologin Simone Schnabel. Es sei also kein „Putsch der Straße“. Die Bevölkerung sei der Demokratie gegenüber zwar grundsätzlich positiv eingestellt, von ihren Erfahrungen damit aber ernüchtert. Demokratie sei in den Augen vieler im Land ein „Elitenprojekt“ geblieben und „korrupt“, so Schnabel.

    Wie reagiert der Westen auf den Putsch in Niger?

    Die Europäische Union hat sich hinter die Drohungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gegen die neuen Militärmachthaber gestellt. ECOWAS hatte den Putschisten ein Ultimatum gesetzt, das am 6. August ablief. Sollte Präsident Mohamed Bazoum nicht freigelassen und wiedereingesetzt werden, werde man Maßnahmen ergreifen, die auch den Einsatz von Gewalt beinhalten könnten, hieß es. Nach Ablauf des Ultimatums schloss der Niger seinen Luftraum.
    Am 10. August hat die ECOWAS ihre Drohung nochmals verschärft. Die Gruppe verfügte nach einem Gipfeltreffen der westafrikanischen Staatschefs in Nigerias Hauptstadt Abuja, dass "sofortig" einer Eingreiftruppe für einen möglichen Einsatz im Niger aufgestellt wird. Priorität habe aber eine Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung mit friedlichen Mitteln.
    Eine Grafik, die die Länder der Sahelzone und Westafrikas zeigt, sowie Putsche, die dort stattgefunden haben.
    Militärputsche in der Sahelzone und Westafrika (28.07.2023) (dpa / dpa-infografik GmbH)
    Die deutsche Entwicklungsministerin und Vositzende des Geberzusammenschlusses Sahel-Allianz, Svenja Schulze (SPD), sprach sich für eine Unterstützung der ECOWAS und eine friedliche Lösungen aus. Bei dem Putsch sei noch niemand ums Leben gekommen, "deswegen sehe ich noch eine Möglichkeit, dass es eine friedliche Lösungen gibt". Dafür müsse "der Druck wirklich groß genug" sein. Deutschland versuche über humanitäre Hilfe, den Menschen vor Ort zu helfen, so die Ministerin.
    Laut Ulf Leassing benötige das Aufstellen der ECOWAS-Eingreiftruppen Zeit: Doch räumt der Leiter des Regionalbüros Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung ein: „Jeder Tag und jede Stunde, in der die Putschisten an der Macht sind, schaffen sie mehr Tatsachen.“
    Man könne deshalb davon ausgehen, dass sie erstmal an der Macht bleiben. Hinzu komme, dass die "Trümpfe" derzeit laut Leassing bei den Putschisten liegen. Deshalb sei das Druckpotential gering.
    Neben der EU begrüßten auch Großbritannien und die USA den Vorstoß der ECOWAS. Besonders für die USA und die EU war Niger bisher ein wichtiger Partner in der Sahelzone, die sich vom Senegal im Westen bis nach Dschibuti im Osten erstreckt.
    Als Reaktion auf den Putsch setzten die EU, die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sowie Großbritannien ihre Zahlungen an den nigrischen Staat aus. Mit dem Ablauf des ECOWAS-Ultimatums am 6. August stoppte Frankreich zudem seine Entwicklungs- und Budgethilfe für Burkina Faso, das sich an die Seite der Militärs in Niger stellt. Frankreich hat inzwischen seine und andere europäische Staatsbürger ausgeflogen, darunter auch deutsche.

    Was hat der Westen zu verlieren?

    Vor allem Frankreich hat in Niger viel zu verlieren. Wie in Mali und im ebenfalls benachbarten Burkina Faso ging auch dem Aufstand der Armee in Niger eine Welle von Ressentiments gegen die ehemalige Kolonialmacht voraus. Die Franzosen haben seit einem Jahrzehnt Truppen in der Region stationiert, um islamistische Extremisten zu bekämpfen. Dies wird vielfach als Einmischung in innere Angelegenheiten kritisiert.
    Wenn Niger militärisch nicht mehr mit Frankreich kooperiert, ist die französische Anti-Terror-Mission bedroht. Niger galt zuletzt als strategischer Partner in der Sahelzone, wo sich der dschihadistische Terror immer weiter ausbreitet.
    Auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Niger könnte für die Franzosen künftig schwierig werden. Frankreich bezieht rund 20 Prozent seiner Uranimporte aus dem Land.
    Für Deutschland ist die Situation ebenfalls brisant. Nigers Hauptstadt Niamey ist Stützpunkt der Bundeswehr und Drehkreuz, um den vorzeitigen Abzug der Bundeswehr aus Mali abzuwickeln. An dem Putsch sind möglicherweise auch nigrische Spezialkräfte beteiligt, die einst von der Bundeswehr geschult wurden.
    Der Putsch könnte zudem Folgen für die EU-Strategie zur Eindämmung der Migration über das Mittelmeer haben, sagte Ulf Laessing von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Der Niger ist eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten, die sich auf den Weg in Richtung Europa machen. Die EU kooperiert mit dem Land bereits seit 2015, vor allem um die Migrationsroute von der nigrischen Wüstenstadt Agadez nach Libyen zu blockieren.

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    Haben die Putschisten in Niger auch Verbündete?

    Die Putschisten in Niger stehen nicht allein da. Zwei von Juntas regierte Nachbarstaaten haben sich an ihre Seite gestellt: "Jegliche Militärintervention gegen den Niger wird als Kriegserklärung gegen Burkina Faso und Mali betrachtet", hieß es in einer gemeinsamen Erklärung der Militärregierungen beider Länder.
    Hintergrund sind die Drohungen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS, Gewalt gegen die Putschisten anzuwenden. Zudem verhängte die ECOWAS Reise- und Wirtschaftssanktionen gegen den Niger. Auch diese Sanktionen werden von Mali und Burkina Faso verurteilt.
    In Mali wurde 2020 geputscht, in Burkina Faso 2022. Gegen beide Länder hat die ECOWAS ebenfalls Sanktionen verhängt, ihnen aber nicht mit einem militärischen Eingreifen gedroht. Auch Guinea, das seit 2021 unter Militärherrschaft steht, hat der Junta in Niger Unterstützung bekundet.

    Welche Rolle spielt Russland in dem Konflikt?

    Russland hat alle Konfliktparteien in Niger zur Zurückhaltung aufgerufen, um eine schnelle Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung zu ermöglichen. Im Gegensatz dazu äußerte sich der Chef der Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. Er begrüßte den Putsch ausdrücklich. Dieser sei ein Moment der längst überfälligen Befreiung von den westlichen Kolonialherren.

    Demonstranten schwenken russische Fahnen

    Bei Kundgebungen von Anhängern des Militärs in Niger wurden russische Fahnen geschwenkt. Die russische Führung hat ein großes Interesse an engeren Beziehungen zu den rohstoffreichen Ländern Afrikas, auch um den Einfluss der USA und deren westlichen Verbündeten dort zurückzudrängen.
    Der Putsch in Niger werde aber nicht von Moskau orchestriert, sagt der Nigerkenner Olaf Bernau. Der Westen sei in der Region schon lange unpopulär. Die Situation in Mali habe gezeigt, dass man die westliche Vormachtstellung auch brechen könne.
    Die russischen Fahnen in Niger seien auch ein Symbol dafür, dass die Menschen dort eine multipolare Weltordnung wollten, sagt Bernau: "Die Menschen sagen: Wir wollen uns unsere Partner selbst aussuchen können. Wir wollen mit denen zusammenarbeiten, die uns das beste Angebot machen. Das kann der Westen sein, das kann Russland sein, das kann aber auch China sein."

    Julia Borutta, Georg Schwarte, ahe, gue, mfied, dpa, afp, rtr, ap