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Nigeria
Christen und Muslime gegen Boko Haram

Religionszugehörigkeit ist in Nigeria ein zentrales Thema, Priester und Imame genießen viel Ansehen. Deswegen kommt ihnen auch im Kampf gegen die Terrorgruppe Boko Haram eine wichtige Rolle zu. Doch lösen können sie das Problem nicht.

Von Katrin Gänsler |
    Ein Plakat der regierenden Partei APC fordert in Nigeria zum Kampf gegen die Terrorsekte Boko Haram auf
    Im Kampf gegen Boko Haram zeichnen sich Erfolge ab (AFP / PIUS UTOMI EKPEI)
    Endlich scheint es positive Nachrichten aus dem Nordosten Nigerias zu geben. Fast täglich verkünden Sprecher der Armee Teilerfolge gegen die Miliz Boko Haram. Immer mehr Geiseln werden befreit, Unterkünfte der Terroristen gefunden, Autos, Munition und Waffen sichergestellt. Bewohner aus der Region bestätigen das. Doch es gibt auch kritische Stimmen, zu denen Mai Umar Abba gehört. Der grauhaarige Mann stammt aus Maiduguri, der Hochburg der Terrorgruppe, und ist gerade zu Besuch in Kaduna. Er betrachtet die Entwicklung in seiner Heimat mit Skepsis.
    "Die Armee kämpft zwar gerade im Sambisa-Wald gegen Boko Haram. Irgendwann wird sie ihre Waffen niederlegen. Aber was passiert danach? Es gibt Krankheiten und so viele Menschenrechtsverletzungen. Und wir hören, dass viele der Boko-Haram-Jungen nun überall im Land untergetaucht sind"
    Auf Polizisten, Soldaten oder Politiker alleine will sich Mai Umar Abba, der sich ehrenamtlich um Binnenflüchtlinge kümmert, deshalb nicht verlassen. Besonders in der Verantwortung sind seiner Meinung nach Imame, Prediger und Priester. Nigeria gilt schließlich als extrem religiöses Land. In Umfragen geben stets mehr als 90 Prozent der Befragten an, dass Religion eine "große" oder "sehr große" Bedeutung für sie hat. Auch wenn man jemanden kennen lernt, lautet spätestens die vierte Frage: Zu welcher Religion bekennst du dich? Oder: In welche Kirche gehst Du? Diesen großen Einfluss spürt auch Canon Elisha Sule Awe bei seiner Arbeit. Er ist anglikanischer Pfarrer und lebt in Katsina, einem Bundesstaat an der Grenze zum Nachbarland Niger. Boko Haram ist in seinen Sonntagspredigten immer wieder Thema:
    "Dieses Land wird durch Boko Haram schwer beschädigt. Wir müssen deshalb bei unseren Mitgliedern folgendes Bewusstsein schaffen: Unsere Heimat wird durch Terrorismus zerstört."
    Er fordert deshalb: Niemand darf mehr wegschauen. Stattdessen muss die Terrorgruppe realistischer eingeschätzt werden. Canon Elisha Sule Awe: "Die Leute von Boko Haram stammen aus unserer Gesellschaft."
    Boko Haram galt lange als Problem des Nordostens
    Das hört sich plausibel und selbstverständlich an, ist es in Nigeria aber nicht. Viel zu lange wurde Boko Haram als Problem des Nordostens gesehen, von dem sich die restliche Bevölkerung distanzierte. Vor allem im Süden des Vielvölkerstaates, in dem mehr als 250 verschiedene ethnische Gruppen zusammen leben, hieß es mitunter sogar: Ihr seid doch selbst Schuld daran und habt die Terrorgruppe mächtig werden lassen.
    In vielen Kirchen war die Lesart ganz ähnlich. Auf nationaler Ebene brachte das sogar den interreligiösen Dialog zum Stocken. Vor allem Vertreter evangelikaler Kirchen warfen Muslimen vor, nichts gegen das Erstarken der Miliz zu unternehmen, ja sogar diese zu unterstützen. Daran erinnert sich Sani Isah aus Kaduna noch lebhaft. Der Imam setzt sich seit 20 Jahren für das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen in seiner Heimatstadt ein.
    "Noch vor etwa zwei Jahren sagte man in Kirchen gerne: Das ist eine muslimische Angelegenheit. Ziel sind Christen und das Christentum in Nigeria. So haben die Vertreter es damals gesehen."
    Sani Isah gibt allerdings auch zu: Viele Imame seien noch vor zwei oder drei Jahren nicht besser gewesen. Dabei hatte die Terrorgruppe damals schon viele tausend Menschen ermordet. Deshalb ist Sani Isah heute über folgende Entwicklung froh:
    "Heute heißt es in den meisten Kirchen und Moscheen: Das ist unser gemeinsamer Feind. Wir müssen uns, egal, ob Christen, Muslime, Anhänger anderer Religionen oder Atheisten, zusammen tun und gemeinsam bis zum Ende kämpfen."
    Schimpfen über Muslime nur bei ausgestelltem Mikrofon
    Wichtig sind für den Imam Konferenzen zum interreligiösen Dialog. Eine hat er gerade selbst in Kaduna mitorganisiert, zu der mehr als 50 Teilnehmer aus ganz Nordnigeria gekommen sind. Über das große Interesse strahlt Sani Isah. Allerdings ist auch klar: Es nehmen nur gemäßigte Vertreter teil. Das gilt übrigens auch für Interviews mit europäischen Journalisten: Wer eine radikale Linie fährt und nichts von einem regen Austausch der Religionen hält, steht in der Regel nicht für ein Gespräch bereit. Radikale christliche Prediger stellen hingegen sicher, dass das Mikrofon ausgestellt ist. Erst dann fangen sie an, gegen Muslime zu schimpfen.
    Wenig Toleranz, das ist auch ein Problem, vor dem Pfarrer Canon Elisha Sule Awe im Alltag häufig steht. Nigeria kann noch so religiös sein. Es wird immer schwieriger, gerade junge Männer zu erreichen. Sie schließen sich am ehesten radikalen Gruppierungen wie Boko Haram an.
    "Einige hören zwar zu, viele sind aber sehr dickköpfig. Während der Konferenz haben wir jetzt aber folgendes festgestellt: Die jungen Leute hören uns nicht mehr, weil sie keine Arbeit haben. Sie haben einfach nichts zu tun."
    Das Problem lässt sich allerdings nicht in Kirchen und Moscheen lösen. Deshalb haben Canon Elisha Sule Awe und seine Kollegen folgenden Plan:
    "Wir wollen die Chance nutzen und mit der Regierung sprechen. Sie muss wissen: Das sind die Gründe für Boko Haram. Zu viele junge Menschen sind arbeitslos."
    Denn längst ist klar: Alleine mit Großeinsätzen lässt sich das Terrorismusproblem in Nigeria nicht in Griff kriegen. Neben verbesserten wirtschaftlichen Perspektiven und Infrastruktur war deshalb lange auch in der Diskussion, letztendlich doch das Gespräch mit den Terroristen zu suchen. Auch einige Imame und Priester hatten das gefordert. In Kaduna schüttelt Imam Sani Isah jedoch den Kopf. Aus seiner Sicht hat Boko Haram diese Chance vertan:
    "Falls sie an einem Dialog interessiert sind, dann finden sie schon ihren Weg zur Regierung oder Sicherheitsdiensten. Es wäre möglich, besonders, wenn die Regierung ehrlich ist. Aber es ist dafür eigentlich schon fast zu spät. Der Kampf ist doch fast vorbei."