Die Vulkanstraße in Duisburg. Hier und in der Umgebung erstreckt sich eines der größten Rotlichtviertel in Deutschland mit etlichen Bordellen. Hier und in den Rotlichtvierteln anderer deutscher Städte landen immer mehr Frauen aus Nigeria. Die meisten von ihnen wurden von nigerianischen Menschenhändlern eingeschleust, sagt Barbara Wellner von Solwodi, einer Organisation, die Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution hilft.
"Die typische Geschichte einer jungen Nigerianerin ist eigentlich, dass das ein Mädchen oder eine junge Frau ist, in der Regel wirklich aus prekären Verhältnissen. Die häufig kaum die Schule besuchen konnten, ganz früh bei ihren Eltern mit auf einer kleinen Farm oder auf einem Marktstand arbeiten mussten, häufig Mädchen, die nur einen Elternteil oder keine Eltern mehr haben."
So erging es auch Anna, die nicht erkannt werden will. Sie wohnte mit Mutter und Geschwistern in Nigeria im Haus der Großmutter, konnte die Schule nur vier Jahre lang besuchen und musste dann auf dem Feld arbeiten.
"Als ich 16 Jahre alt war, entschied die Familie, dass ich beschnitten werden sollte. Ich wollte das nicht, hatte Angst und weigerte mich. Meine Mutter schlug mich, weil ich der Tradition nicht folgen wollte. Ich sah keine andere Möglichkeit, der Beschneidung zu entgehen, als wegzulaufen. Ich hatte kein Zuhause mehr, lief auf der Straße herum und suchte Hilfe."
Weit verzweigtes Netz mit vielen Stationen
Genau solche Mädchen haben nigerianische Menschenhändler im Visier. Eines der lukrativsten Geschäftsmodelle der Organisierten Kriminalität.
Die Kontaktpersonen sind häufig Frauen, oft sogar Verwandte, erzählt Barbara Wellner. In der Regel arbeiten sie im Auftrag anderer Nigerianerinnen, die das Geschäft im Zielland kontrollieren.
"Das sind die Madames. Das Netz der Personen, die mit diesem Menschenhandel zu tun haben, also mit dem Weg von dem ersten Ansprechenden in Nigeria, bis das Mädchen hier vielleicht im dritten Bordell hier in Oberhausen irgendwo arbeitet, das ist wirklich ein weit verzweigtes Netz mit ganz vielen Stationen, aber im Zentrum stehen tatsächlich die sogenannten Madames - weibliche Zuhälterinnen."
Schon in Nigeria wird den jungen Frauen klar gemacht, dass ihre Reise viel Geld kosten wird, dass sie später zurückzahlen müssen – was aber kein Problem sei, denn sie würden ja einen guten Job haben. Um der Abmachung, das Geld zurückzuzahlen mehr Nachdruck zu verleihen, werden die Frauen mit einem Juju-Zauber belegt.
"Das ist für unsere Vorstellung wirklich ein martialisches Ritual. Juju ist so etwas, was wir hier manchmal von früher unter dem Begriff Voodoo kennen. Ein Priester nimmt an einem besonderen Ort dem Mädchen einen Schwur ab, in Verbindung mit Ritualen wie dem Schlachten von Tieren, Trinken von Tierblut, Trinken von anderen merkwürdigen Flüssigkeiten, Essen von rohen Eingeweiden von Tieren."
Den Frauen wird gedroht, dass sie oder ihre Verwandten sterben oder krank werden oder etwas anderes Schlimmes passiert, wenn sie ihre Schulden nicht begleichen oder irgendetwas von den Abmachungen verraten würden.
Zahl der Opfer in Deutschland steigt
Im Januar fällte das Duisburger Landgericht mehrere Urteile wegen Menschenhandel und Zwangsprostitution, bei denen es um Nigerianerinnen ging. Eine Frau, eine der nigerianischen Madames, wurde zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die deutschen Behörden sind wachsamer geworden. So warnte der BND laut eines Spiegel-Berichts in einem inoffiziellen Papier Anfang des Jahres vor einem Anwachsen der Zitat: "äußerst brutal agierenden nigerianischen Strukturen der Organisierten Kriminalität."
Und im kürzlich veröffentlichten "Bundeslagebild "Menschenhandel und Ausbeutung" 2018" des Bundeskriminalamtes heißt es:
"Die Anzahl festgestellter Opfer mit nigerianischer Staatsangehörigkeit stieg im Jahr 2018 auf 61 Personen deutlich an […], womit sich der bereits im Vorjahr festgestellte (ansteigende) Trend fortsetzte."
Auch die Zahl der nigerianischen Tatverdächtigen stieg nach BKA-Angaben im Vergleich zum Jahr 2017 an und zwar um 41,4 Prozent.
Auf internationaler Ebene beteiligt sich Deutschland seit dem Jahr 2012 am EU-Projekt "ETUTU". Die EU-Staaten ergreifen dabei in Abstimmung mit Nigeria Maßnahmen gegen international agierende nigerianische Täternetzwerke im Bereich Menschenhandel.
Martyrium beginnt meist in Italien
Wie wichtig ein länderübergreifender Blick ist, zeigt das Beispiel Italien. Hier betreten die meisten Nigerianerinnen das erste Mal europäischen Boden.
In der sizilianischen Hafenstadt Catania hat sich eine Gruppe junger Nigerianerinnen in der Großküche von Casa Agata versammelt. Konzentriert bearbeiten sie riesige Mengen Nudelteig, um hieraus Spaghetti, Tagliatelle und Ravioli zu formen.
Helen Okoro ist vor mehr als zwanzig Jahren nach Italien gekommen. Genau wie die jungen Frauen, die hier als Köchinnen ausgebildet werden, ist auch sie damals in die Hände von Menschenhändlern geraten. Doch der Nigerianerin gelang die Flucht in ein katholisches Frauenhaus. Heute arbeitet Helen Okoro als Beraterin in der Einrichtung. Sie hat hautnah miterlebt, wie sich der Menschenhandel in den letzten Jahren verändert hat. Inzwischen bitten so viele Frauen hier um Hilfe, dass die Mitarbeiterinnen den Andrang kaum bewältigen können.
"Früher bin ich um vier Uhr nachmittags nach Hause gegangen. Aber seit einiger Zeit - seit etwa 2015 inzwischen - schaue ich gar nicht mehr auf meine Uhr. Manchmal schlafe ich hier, wenn es die Situation erfordert."
Weit mehr als 20.000 nigerianische Frauen – viele von ihnen minderjährig – sind in den vergangenen drei Jahren über das Mittelmeer nach Italien gekommen. Die Vereinten Nationen schätzen, dass rund 80 Prozent von ihnen Opfer von Menschenhändlern sind oder sich in akuter Gefahr befinden, zu Opfern zu werden.
Kaum Chancen auf erfolgreiches Asylverfahren
Konkret bedeutet dass, sie werden sexuell ausgebeutet oder müssen sich zwangsprostituieren. Und auch die 20 Prozent, die nicht in die Fänge von Menschenhändlern geraten und es nach Europa schaffen, haben kaum Chancen auf ein erfolgreiches Asylverfahren. Die Anerkennungsquoten für die Herkunftsländer in Afrika liegen nach der aktuellen Statistik von Pro Asyl fast ausschließlich im einstelligen Bereich.
Für wirklich besorgniserregend hält Helen Okoro, wie viel brutaler das Geschäft geworden ist.
"Manchmal bekomme ich selbst Angst. Sehen Sie das, den hohen Zaun dort vor dem Fenster? Früher brauchten wir hier keine Zäune."
55.000 Euro, so die Schätzung von Fachleuten, erwirtschaftet eine Zwangsprostituierte pro Jahr - und immer mehr kriminelle Gruppen wollen an dem Geschäft mitverdienen. Bis vor einigen Jahren waren die Netzwerke der Madames eher kleine, relativ lose Verbindungen. Oft kamen alle Beteiligten aus dem weiteren Familienumfeld. Inzwischen, so Helen, hätten sich professionellere – und deutlich skrupellosere – kriminelle Netzwerke gebildet. Diese schreckten auch nicht vor Gewalt in der nigerianischen Heimat der Frauen zurück.
"Sie sind gut organisiert, und manche Hintermänner haben viel Geld. Sie haben ihre Leute, die zu den Familien der Frauen nach Hause gehen und sie verprügeln. Es kommt auch oft vor, dass sie die Häuser der Familien abbrennen."
Behörden erkennen mafiöse Strukturen nicht
So entsteht eine Mauer des Schweigens. Ein Problem, das auch Dario de Luca kennt. Er arbeitet als Investigativjournalist für die sizilianische Zeitung 'MeridioNews' und hat sich über die Grenzen der Insel hinweg in internationalen Rechercheprojekten zur Organisierten Kriminalität einen Namen gemacht, zum Beispiel für das Organized Crime and Corruption Reporting Project, ein Netzwerk aus Journalisten unterschiedlicher Länder. Vor ihm liegen Hunderte Seiten Ermittlungsakten der sizilianischen Staatsanwaltschaft. Sie zeigen Fotos von mehreren observierten Nigerianern, die sich zu einem Treffen in der Kleinstadt Caltanissetta im Hinterland Siziliens versammeln. Es sei bemerkenswert, so der Journalist, wie sehr die Bilder an klassische Versammlungen der sizilianischen Mafia, der Cosa Nostra, erinnerte. Und ähnlich wie bei den nigerianischen Gruppen von heute habe vor 30, 40 Jahren auch noch niemand die Strukturen der einheimischen Mafia verstanden.
"Es wurde damals eher von einzelnen ‚Kriminellen Gruppen‘ gesprochen. In Wahrheit waren diese Gruppen bereits damals bestens organisiert. Es brauchte aber viele Morde und andere Taten, bis die Strafverfolger und die Öffentlichkeit erkannten, dass wir es mit hervorragend vernetzten Kriminellen zu tun haben."
Deshalb sprechen aus Sizilien einige von der "Neuen Mafia" oder auch von der "Mafia Nigeriana". Momentan existiert nach den Recherchen von Dario de Luca eine Art Waffenstillstand zwischen den kriminellen Organisationen, der auf zwei Prinzipien beruht: Menschenhandel ist traditionell etwas, bei dem sich die Cosa Nostra ungern selbst die Finger schmutzig macht. Bei anderen kriminellen Aktivitäten kennen die Nigerianer genau ihre Grenzen.
"Es gibt da offensichtlich eine Form von friedlicher Koexistenz. Die Nigerianische Mafia hat sich in populären Migranten-Bezirken wie Ballarò und San Berillo ausgebreitet, oft zusammen mit gambischen Dealern. Die sizilianische Mafia hingegen beherrscht weiterhin das Geschäft in ihren traditionellen Bezirken. Es gab meines Wissens bisher nie einen wirklichen Konflikt."
Brutale, transnationale Verbrechernetze
Eine kriminelle Organisation, bei der nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer aus dem Ausland kommen und am Rande der Gesellschaft leben. Dies sei der Grund, warum die italienischen Behörden bisher kaum Anstrengungen gezeigt hätten, die Strukturen der "Neuen Mafia" zu durchdringen.
Diesen Vorwurf will Staatsanwältin Lina Trovato nicht auf sich sitzen lassen. Man beobachte das Phänomen der Organisierten Kriminalität aus Nigeria schon sehr lange, so Trovato. Es existiere auch nicht erst seit ein paar Jahren, seitdem sich tausende Flüchtlinge aus Afrika auf den Weg nach Europa machen. Auch den Begriff "Neue Mafia" mag die Staatsanwältin nicht. Der berühmte italienische Mafia-Paragraph 416 sei bei nigerianischen Gruppen als eine "nicht lokale" Mafia bereits zum Einsatz gekommen – zum ersten Mal in der Geschichte Italiens: 2010 bei einem Prozess in Turin und 2017 bei einem Verfahren in Palermo. Allerdings sei die sogenannte "Neue Mafia" aus Nigeria keine Einheit, sondern setze sich vielmehr aus einer Vielzahl einzelner Geheimbünde und krimineller Gangs zusammen, etwa der Schwarzen Axt, den Wikingern und der Supreme Eiye Bruderschaft, wie sie sich nennen.
"Eine Mafia muss die volle Kontrolle über einen Ort haben, so dass jeder an diesem Ort Angst hat und das tut, was der Vertreter der Mafia vorgibt. Man kann diese Kategorie nur schwer auf die geheimen Gangs aus Nigeria übertragen. Sie haben nicht die Kontrolle über einen bestimmten Ort - aber sie haben immerhin die Kontrolle über eine bestimmte Community, eine ethnische Gemeinschaft. Deshalb müssen wir das Gesetz hier anders auslegen. Das Ziel ist jedoch letztlich das gleiche: Wir müssen herausfinden, ob Menschen Angst haben und sich auf eine bestimmte Art verhalten, weil sie unterdrückt werden."
Man habe es mit brutalen, transnationalen Verbrechernetzen zu tun, so Trovato. Und obwohl es geeignete Rahmenbedingungen für eine grenzübergreifende Zusammenarbeit gebe, sei dies in der alltäglichen Ermittlungsarbeit noch immer ausbaufähig.
Wichtige Aufklärungsarbeit in Lagos
Die Nigerianische Behörde zur Verhinderung von Menschenhandel, NAPTIP, hat ihren Sitz mitten in einem belebten Geschäftsviertel von Lagos. Auch hier, in der westafrikanischen Megacity mehr als 4.000 Kilometer südlich von Sizilien, beobachtet man die zunehmende Brutalität der Menschenhändler-Gangs mit Sorge.
Daniel Atokolo, der Regionalchef der Behörde, sieht darin einen paradoxen Effekt des bisherigen Erfolgs im Kampf gegen sexuelle Ausbeutung. In den letzten Jahren habe man viel Aufklärungsarbeit geleistet. Sogar der sogenannte Oba von Benin, das traditionelle Oberhaupt der Region, aus der mehr als drei Viertel der betroffenen Frauen kommen, gehe inzwischen gegen den Missbrauch des Juju-Glaubens für den Zweck des Menschenhandels vor. Er habe alle Juju-Schwüre, die zum Ziel der sexuellen Ausbeutung ausgesprochen werden, für wirkungslos erklärt. Das nehme den Madames ein wichtiges Mittel der psychologischen Kontrolle über ihre Opfer. Und in diese Lücke drängen nun verstärkt die Geheimbünde ein, die in Europa neuerdings als Nigerianische Mafia bezeichnet würden.
"Diesen Jungs geht es nicht mehr um psychologische Konditionierung mit irgendwelchen Schwüren. Das ist nur noch blanker Terror. Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen der Rücknahme der Juju-Schwüre und dem verstärktem Auftreten dieser Gangs, die die Opfer zu absolutem Gehorsam zwingen."
Es sei nicht nur so, dass Mitglieder der kriminellen Vereinigungen den Madames ihre brutalen Dienste anböten. Sie übernähmen teilweise gleich das ganze Geschäft. Während früher trotz aller Grausamkeit ein paar Regeln galten, wie die Möglichkeit der Frauen, nach dem Abzahlen ihrer Schulden selbst zur Madame aufzusteigen, ginge es jetzt nur noch um endlose Ausbeutung.
Politiker und Geschäftsleute als Teil krimineller Netzwerke
Mehr als 50 verschiedene Geheimbünde gibt es inzwischen in Nigeria. Zu ihren Mitgliedern sollen selbst einflussreiche Politiker und Geschäftsleute zählen. Über ihre internen Strukturen ist wenig bekannt. Nur, dass die Ursprünge einiger dieser Gruppen bis in die Zeit der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen der 50er und 60er-Jahre zurückgehen, als sich geheime, politisch aktive Studentenverbindungen an vielen Universitäten des Landes gründeten. Doch im politischen Chaos Nigerias wurden wichtige Posten in der strengen Hierarchie der geheimen Gruppierungen schnell von kriminellen Elementen unterwandert. Gleichzeitig wurden für niedere Positionen immer mehr junge, gewaltbereite Männer von der Straße rekrutiert.
John Omoruan sitzt entspannt in der Lobby eines gehobenen Businesshotels in Lagos. Der Aussteiger hat sich trotz aller Gefahren entschieden, über das Innenleben der Geheimbünde zu sprechen. Die einzige Bedingung für das Interview: Keine Namen von Personen. Omoruan war viele Jahre lang ein hochrangiges Mitglied einer der berüchtigtsten Geheimorganisationen: der Schwarzen Axt.
Für ihn begann das Abdriften der Gruppe in die Organisierte Kriminalität bereits, als Ende der 80er-Jahre einige reiche Nigerianer den Schmuggel von Marihuana nach Europa für sich entdeckten. Sie unterwanderten die Schwarze Axt, weil sie hier genau die richtige Strukturen für ihre kriminellen Geschäfte fanden: Eine klare hierarchische Ordnung und absolute Geheimhaltung. Seitdem seien die Organisationen immer skrupelloser geworden – an ihrem Prinzip habe sich aber nicht viel verändert.
"Du musst dich anpassen. Heute machen wir eben das Geld mit jungen Mädchen und Kokain. Die nötigen Strukturen sind ja da. Folge den Anweisungen. Das ist oberstes Gesetz."
"Europa ist hungrig nach verbotenen Dingen"
Omoruan gibt sich als Geläuterter - er bereue viele seiner Taten. Trotzdem sieht er beim Thema Menschenhandel einen erheblichen Teil der Schuld bei den Europäern. Sie seien es doch, die immer preiswertere und immer jüngere Mädchen wollten.
"Am Ende geht es doch nur ums Geld. Europa ist hungrig. Hungrig nach verbotenen Dingen. Drogen, minderjährige Mädchen, alles Verbotene. Und Nigeria hat eben das passende Angebot dafür. Solange ihre Waren gefragt sind, werden die Schwarze Axt und all die anderen Geheimgruppen weiter Erfolg haben und viel Geld machen."
Das sieht auch der deutsche Autor Sandro Mattioni so, der sich seit Jahren mit dem Thema Mafia beschäftigt und Vorsitzender des Vereins "Mafia? Nein danke!" ist. Solange es eben auch in Deutschland Nachfrage gebe nach Drogen und Prostituierten, von denen die Freier oft wüssten, dass es Zwangsprostituierte seien, habe Organisierte Kriminalität schlicht einen Markt. Auch er registriert, dass die nigerianische Mafia in Deutschland in den letzten Jahren gewachsen ist.
Im Vergleich zu anderen Gruppen der Organisierten Kriminalität sei sie aber noch nicht so stark wie etwa die russische-eurasische Organisierte Kriminalität oder auch die klassischen italienischen Mafia-Organisationen. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, sei es für Politik und Sicherheitsbehörden wichtig, entschlossen zu handeln, meint Mattioni.
"Unser Staat ist leider sehr nachlässig im Umgang mit Organisierter Kriminalität. Wir haben wesentliche Gesetzeslücken, die, vor allem was Geldwäsche anbelangt, sehr gefährlich sind."
Lücken in der deutschen OK-Bekämpfung
Das sind Graubereiche, die Staaten wie Deutschland attraktiv machen für die Organisierte Kriminalität, auch die aus Nigeria. Zwar gibt es immer wieder punktuelle Erfolge. So wurde bereits 2016 ein hochrangiges Mitglied einer nigerianischen Mafia in Nordrhein-Westfalen verhaftet. Mit Hilfe spanischer Ermittler konnte der Gruppierung nachgewiesen werden, im großen Stil Landsleute nach Deutschland eingeschleust zu haben – mit gefälschten Ausweisen und mit mehr als 4.000 Bahntickets, die sie mit gestohlenen Kreditkartendaten besorgt hatten.
Trotzdem werden die vorhandenen Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf europäischer und internationaler Ebene noch nicht konsequent genutzt. Es gebe zwar die EU-Agenturen Europol und Eurojust und zahlreiche bilaterale Abkommen zur Kriminalitätsbekämpfung - unter anderem auch mit Nigeria. Oft, so klagen Beamten in Polizei und Justiz hinter vorgehaltener Hand, scheitere es bereits an vermeintlichen Banalitäten wie mangelnden Sprachkenntnissen von Mitarbeitern oder fehlenden Budgets für Dienstreisen.
"Wenn ein Staat auf breiter Ebene gegen Organisierte Kriminalität vorgeht, dann ist dieser Staat für solche Gruppen nicht attraktiv. Und da gibt es unterschiedliche Ebenen, auf denen man Organisierte Kriminalität bekämpfen kann. Und idealerweise bekämpft man sie auf allen Ebenen - von relativ dumpfer Organisierter Kriminalität, von Leuten, die Geld mit Prostitution und Straßen-Drogenhandel machen, bis zu hoch komplex organisierter Wirtschaftskriminalität, die durchaus auch mit Mafia zu tun haben kann. Und letztlich brauchen wir Konzepte, die zum einen alles, was in diesem Bereich passiert, überhaupt erst mal in den Blick nehmen und dann auch entsprechend bekämpfen."