Mit Sprache verhält es sich wie mit gelungener Architektur: Mit Dekor und Zierrat sollte man behutsam und kontextbezogen umgehen, will man nicht in die Nähe der Beliebigkeit oder des Bombasts geraten. Angesichts der überbordenden Metaphernkaskaden, mit denen Niklas Maak in seinem Buch dem Unbehagen angesichts des mit Krediten finanzierten Einfamilienhauses und der damit verbundenen Einschränkungen in den Lebensentwürfen freien Lauf lässt, beginnt man sich bald zu fragen, ob solch überfrachtete Polemik tatsächlich von Nöten ist, um das bekannte Einerlei verödeter Fußgängerzonen und gesichtsloser Siedlungen an der Peripherie zu beschreiben:
"Nach wie vor entstehen endlose Vorortsiedlungen, endlose Karawanen aus grimmig dreinschauenden, airbagbewehrten, sportlich befelgten airconditionierten Turbodieselgroßraumlimousinen rollen jeden morgen im Schritttempo in die Innenstadt, wo die Fahrerinnen und Fahrer für die Begleichung ihres Immobilienkredites schuften, dessen Ergebnis sie allenfalls abends und am Wochenende erschöpft genießen dürfen."
Maaks Utopie eines gelungenen Gemeinwesens bleibt offen
Maaks Buch, das sich in seinem Stilmix wie eine Montage aus Feuilletonartikel, Fragmenten einer liegengebliebenen wissenschaftlichen Arbeit sowie einigen verbindenden Überlegungen liest, und das zur Veranschaulichung oft nur mit sehr kleinen Fotografien in doppelter Briefmarkengröße bestückt ist, hinterlässt Ratlosigkeit, was das Bedürfnis nach einem in sich stimmigen Aufbau und der großen Linie der Kritik angeht. Vor allem aber fragt man sich, welcher Utopie eines gelungenen Gemeinwesens, für die Architektur im Idealfall die Rahmenbedingungen schaffen kann, Maak hier eigentlich nachhängt.
Zunächst begegnet man in seinen Schilderungen Lesefrüchten, als Berlin im ersten Drittel des vorigen Jahrhunderts zur führenden Metropole avanciert und die künstlerische Bohème das wilde Leben feiert: Gefahr und Abenteuer, das Unvorhersehbare lockten in die Stadt, und dieses Bedürfnis, so Maak, scheint inzwischen ad acta gelegt worden zu sein: "Vielleicht ist das Ideal nicht die glitzernde, metropolitan-kosmopolitische, unübersichtliche, gefährliche, verlockende, wilde, laute, dampfende, unscharfe, spitze, schrille, sanfte, verlorene, eiskalte und überhitzte Metropole der Moderne, die Stadt von Gefahr und Versprechen, sondern das Gegenteil, die feudal-lauwarme, kleinstädtisch-vormoderne Stadt, die mit der alten Kutsche im Werbefilm der - auch nicht zufällig so genannten - 'Kronprinzengärten' beschworen wird; die Stadt des Idylls, der Sicherheit."
Schuld daran, dass die Stadt nicht mehr ist, was sie einmal zu sein versprach, sind wahlweise das zu große Sicherheitsbedürfnis, die profitorientierte Bauindustrie oder eine "veraltete dogmatische Gesetzgebung". Und auch an der Sprache der Architektur gibt es viel auszusetzen. Ihre Begriffe seien unscharf, so dass das Sprechen über Architektur nichts weniger als eine nicht genauer benannte "Revision seiner Axiome" erfordere. Und schon ist auch der Ruf nach einer neuen Wissenschaft nicht weit, der Habitologie, die keine "wabernd psychologisch-anthropologisch spekulierende Wissenschaft" sein sollte, sondern "den Macht-und Interessenstrukturen nachspürt, die sich in den Neubauten und urbanistischen Masterplänen abbilden oder hinter ihnen verbergen." Womit das neue Fach (indes bereits Antii Lovag verwendet den Begriff) dann auch schon weitgehend umrissen wäre.
Altes Stadtgefühl mit neuen Formen
Dem steht das ästhetische Ideal der italienischen Stadt gegenüber, geprägt vom prosperierenden Kaufmanns- und gerade erfundenen Bankierwesen der Renaissance. Sie bildet ein Modell von Urbanität, das zu zitieren die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte nicht müde wurde. Maaks Kritik, hier präzise formuliert, leuchtet ein: Man baue zwar formale Hüllen nach, um dem lebendigen Stadtgefühl vergangener Zeiten nachzukommen, aber "man begreift nicht, dass man die strukturellen Bedingungen dieser Atmosphäre untersuchen und, um zu einer ähnlichen Stadtatmosphäre zu kommen, eventuell ganz andere Formen bauen muss." Indes, was lieben wir an den alten Städten so sehr, und wie ist das in Stadtplanung und Hausgestaltung einer neuen Stadt, die der Tatsache Rechnung trägt, dass die Zahl der Singlehaushalte und der Alten wächst, einzubringen?
Maaks Vorbild sind Lösungen aus Japan für eine Singlegesellschaft, implizit vorausgesetzt, die japanische Kultur des Zusammenlebens ließe sich auch auf andere Kulturen übertragen. Entwürfe, die kleine Wohneinheiten, große gemeinschaftlich zu nutzende Räume mit Bibliothek und Medienraum und bepflanzten Dächern vorsehen sowie einen "würdevollen" Eingang erinnern indes ein wenig an Hotelanlagen, in denen die Bewohner sich idealerweise um nichts kümmern müssen, außer um das, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Maaks Vorstellung von neuen Gemeinschaften setzt auf gebildete Schichten, die ihr Auskommen gefunden haben und die Stadt genießen, um Kaffee trinken zu gehen, in kleinen Läden zu stöbern, die Stadt in einem wiederkehrenden Lieblingsbild als "Bühne" ihres Selbstentwurfs zu nutzen verstehen, und immer mal wieder ist die Rede von Grillabenden auf Dachterrassen, die als Inbegriff nachbarschaftlichen Miteinanders stehen. Hiermit kehrt der zornige Kritiker als geläuterter Held, der das Einfamilienhäuschen verließ, die japanischen Erfahrungen im Gepäck, mit befriedeten Architekturprojekten für sorgsam austarierte Bedürfnisse nach Rückzug und Gemeinschaft nach Hause zurück.