Wenn Rinaani Musutua von ihrem Büro nach Hause fährt, ist sie wachsamer als früher. Sie schaut, ob ihr jemand folgt. Zuhause angekommen, schließt sie zuerst die Vorhänge. Der Grund für diese Vorsichtsmaßnahmen: Es ist der schwelende Konflikt um die Exploration, die Erforschung der Gas- und Ölvorkommen im Nordosten des Landes, rund siebenhundert Kilometer von der Hauptstadt Windhoek entfernt. Erst kürzlich sei dort ein befreundeter Umwelt-Aktivist festgenommen, verhört und eingeschüchtert worden, sagt Musutua. Sie arbeitet in Windhoek für den „Economic and Social Justice Trust“, eine zivilgesellschaftliche Organisation, die sich für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit einsetzt.
„Wir fragen uns alle, wann wir selbst an der Reihe sind. Ob uns jemand bespitzelt. Ob uns jemand verfolgt, uns schaden oder einschüchtern will, damit wir unsere Kampagne gegen die Öl- und Gas-Exploration in der Kavango-Region einstellen. Die Angst sitzt uns allen im Nacken. Es ist erschütternd, dass so etwas hier in Namibia passiert. Wir kennen diese Art der Einschüchterung aus der Zeit des Unabhängigkeitskampfes. Ich bin sehr enttäuscht, dass wir uns das nun gegenseitig antun. Die Einschüchterungen ähneln denen des früheren Apartheid-Regimes gegen Schwarze Menschen.“
Von einem Jackpot ist die Rede
Aktivistinnen wie Musutua werfen ihrer Regierung vor, das umstrittene Projekt in Zeiten des Covid-Lockdowns vorangetrieben zu haben und nun gegen alle Widerstände durchzuboxen. Im Kavango-Becken finden seit rund einem Jahr Probebohrungen statt – dort, wo der Okavango ins Nachbarland Botswana fließt und flussabwärts im Okavango Delta mündet. Das Weltnaturerbe ist ein Touristen-Mekka, das für seinen Tierreichtum berühmt ist. Auf beiden Seiten der Grenze hat sich der kanadische Konzern ReconAfrica Explorationsrechte gesichert und nach eigenen Angaben reiche Öl- und Gas-Vorkommen entdeckt. Während die Probebohrungen in Botswana noch nicht begonnen haben, wird die Exploration in Namibia bereits ausgeweitet. Außerdem haben die Konzerne Shell und Total zu Jahresbeginn Öl- und Gasfelder vor der Südküste Namibias ausgemacht – sie sollen riesig sein. Von einem Jackpot ist die Rede.
Auf solche Funde habe sein Land jahrzehntelang gewartet, sagt Kondjeni Ntinda. Der Jurist ist auf Energierecht spezialisiert und hat bis 2021 das Öl- und Gas-Zentrum am Energie-Institut geleitet. Das gehört zur Universität für Wissenschaft und Technologie in Windhoek.
„Mir ist bewusst, dass es eine globale Agenda zum Ausstieg aus fossiler Energie gibt. Aber wenn man sich die derzeitigen Ölpreise ansieht, weiß man, dass die Ressource Erdöl noch längere Zeit eine Rolle spielen wird. Das sind gute Nachrichten für ein kleines Land wie Namibia. Mit den Einnahmen aus der Öl- und Gas-Förderung und hoffentlich auch einer gewissen Wertschöpfung können wir unsere Wirtschaft ankurbeln. Wir können Jobs und neue Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen und die soziale Entwicklung vorantreiben. Wir sind also alle ganz aus dem Häuschen. Jeder im Land ist begeistert!”
Das Beispiel der Aktivistin Musutua aber zeigt: Nicht jeder im Land ist davon begeistert, dass Namibia in die Förderung fossiler Energien einsteigen will. Neben etablierten Umweltverbänden und anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen sind es vor allem junge Menschen, die gegen die Öl-Förderpläne ihrer Regierung mobilmachen. Mit Kampagnen und Petitionen, Protestaktionen und Demonstrationen. Die Videos teilen sie über Social-Media-Kanäle.
Lautstarke Kritik von junger Generation: ungewohnt
Diese Art des Umwelt-Aktivismus ist relativ neu in Namibia. Motiviert ist sie durch die globale „Fridays-for-Future“-Bewegung. Auch der 26-Jährige Reinhold Mangundu hat sich ihr angeschlossen. Er hat im Nachbarland Südafrika am „Institut für Nachhaltigkeit“ studiert und arbeitet für ein Ökotourismus-Projekt in Namibia. Für die Regierung sei es ungewohnt, von der jungen Generation lautstark kritisiert zu werden, sagt er. Ein Minister habe sie als „Hooligans“ bezeichnet. Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1990 regiert die SWAPO mit absoluter Mehrheit. Allerdings leidet sie, wie viele ehemalige Befreiungsbewegungen im südlichen Afrika, unter Stimmenschwund. Mit der Vergangenheit kann sie junge Namibier wie Mangundu nicht beeindrucken.
„Viele unserer Abgeordneten sind um die 70 Jahre alt. Sie sagen: Wir haben für die Unabhängigkeit gekämpft und verdienen es deshalb, an der Macht zu sein. Auf der anderen Seite gibt es viele Menschen, die auch 30 Jahre nach der Unabhängigkeit unter Armut und sozialer Ungleichheit leiden. Wir brauchen einen Wandel. Wir müssen uns auf eine Zukunft einstellen, in der uns die Klimakrise hier in Namibia noch stärker treffen wird als heute. Und mit Zukunft meine ich nicht die Zeit in hundert, sondern in fünf oder 15 Jahren. Aus meiner Sicht ist es geradezu unmenschlich, auf Öl und Gas zu setzen. Wir sehen doch, was sie auf dem Planeten und in der Gesellschaft anrichten. Wir stehen vor dem Kollaps! Und verfolgen diese Pläne trotzdem weiter.“
Namibia im Südwesten Afrikas gilt als besonders artenreich – obwohl es zu den trockensten Ländern südlich der Sahara gehört und zu denen, die bereits heute am stärksten unter den Auswirkungen des Klimawandels zu leiden haben. Dürrezeiten werden ausgeprägter, Extremwetter häufiger, die Temperaturen steigen. Mit durchschnittlich 300 Sonnentagen im Jahr zählt Namibia zu den sonnenreichsten Ländern der Welt. Das Potenzial für Solarenergie ist enorm. Das weiß auch die Regierung, die große Solarfarmen plant, teils gemeinsam mit dem Nachbarn Botswana. Weiter im Süden werden außerdem Anlagen zur Herstellung von grünem Wasserstoff gebaut. Der soll auch in Länder wie Deutschland exportiert werden. Von all diesen Chancen, die sich nun in Namibias Energiesektor auftun, ist der ehemalige Leiter des Öl- und Gaszentrums Kondjeni Ntinda begeistert.
Namibia importiert etwa zwei Drittel seines Stroms
„Wir haben großes Potenzial, zu einem Energie-Nettoexporteur aufzusteigen. Sowohl in Bezug auf erneuerbare Energien, als auch auf Öl und Gas. Unser Land ist groß und nur dünnbesiedelt. Wir könnten also mehr produzieren, als wir selbst brauchen. In Zukunft könnten wir also Energie exportieren, statt wie bisher Milliarden für Energie-Importe aus Südafrika auszugeben.“
Noch ist das kaum vorstellbar. Namibia importiert etwa zwei Drittel seines Stroms, überwiegend aus Südafrika. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung hat Zugang zur Stromversorgung. Bis 2040, so der Plan der Regierung, sollen alle Haushalte angeschlossen sein. Die Regierung müsse sich entscheiden, müsse Prioritäten setzen, fordert Politikwissenschaftler Ndumba Kamwanyah, der an der Universität von Namibia lehrt. Stattdessen gebe das Kabinett widersprüchliche Signale.
„Auf der einen Seite zeigen sie Interesse an grüner Wirtschaft, auf der anderen Seite Begeisterung für die Öl- und Gas-Funde. Sie vertreten also keine klare Position in Bezug auf nationale Prioritäten, um das Land zu entwickeln. Aus diesem Spagat spricht Verzweiflung. Die Regierung verfolgt keinen klaren wirtschaftspolitischen Kurs. Stattdessen greift sie bei jeder Möglichkeit zu, die sich ergibt. Das bereitet mir Sorgen. Was fehlt, ist eine gut geplante Strategie zur nationalen Entwicklung.“
Die Wirtschaft Namibias ist infolge von Corona-Pandemie, Lockdowns und ausbleibenden Touristen weiter in eine Krise gerutscht. Das rohstoffreiche Land, das u.a. über große Vorkommnisse an Uran, Diamanten und Zink verfügt, hat kaum verarbeitende Industrie. Die soziale Ungleichheit ist so ausgeprägt wie kaum in einem anderen Land der Welt. Obwohl Namibia nur etwa zweieinhalb Millionen Einwohner hat, sind Arbeitslosigkeit und Armut groß. In dieser Situation sind Teile der Bevölkerung ebenso wie ihre Regierung offen für die Versprechen der Öl-Industrie: Die Erschließung von Öl und Gas bringe Aufschwung und Arbeitsplätze. Seit den Preissteigerungen durch den Ukrainekrieg wird außerdem in Aussicht gestellt, dass Benzin und Diesel wieder billiger werden könnten. Auch andere afrikanische Staaten wie Uganda, wo ebenfalls neue Ölquellen entdeckt wurden, wollten sich diese Chance nicht entgehen lassen, sagt der frühere Leiter des Öl- und Gaszentrums Kondjeni Ntinda:
„Die Ära der fossilen Energien ist noch lange nicht vorbei, vor allem nicht in Afrika. Das Stromnetz ist mehr als lückenhaft. Erdöl bleibt auch für die Mobilität und den Transport wichtig. Wenn Afrika seine Energie-Produktion ankurbelt, das Rohöl in eigenen Raffinerien auch weiterverarbeitet und vertreibt, dann wäre das ein echter Game-Changer. Afrika hat eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden hauptsächlich jungen Menschen. Der Anteil des Kontinents an den globalen Treibhausgas-Emissionen liegt bei nur zwei bis drei Prozent. Wir gehören nicht zu den großen Öl-Konsumenten, aber wir brauchen die Ressource für unsere Entwicklung.“
Regierung fördert Anstellung einheimischer Arbeitskräfte
Natürlich seien für die Förderung fossiler Energien auch ausländische Fachkräfte notwendig, räumt Ntinda ein. Das würde sich mit der neuen Industrie ändern, die Regierung fördere die Anstellung einheimischer Arbeitskräfte. Der Politikwissenschaftler Ndumba Kamwanyah widerspricht vehement.
„Wenn Namibier eingestellt werden, dann wahrscheinlich als Reinigungskräfte, Sicherheitsleute oder ähnliches. Denn wir haben keine Expertise in der Öl- und Gas-Produktion. Wir kennen das bereits: Unsere Wirtschaft wächst, aber die Arbeitslosigkeit bleibt. Und selbst wenn man jetzt Fachkräfte ausbilden würde, wären sie doch bald wieder arbeitslos, weil weltweit ein Ende fossiler Energieträger angestrebt wird ... - wir brauchen eine Vision für die Wirtschaft der Zukunft und die Arbeitsplätze, die dafür benötigt werden. Statt sich über die Öl- und Gas-Funde zu freuen, sollte unsere Regierung strategisch denken und sich fragen, wo sie unsere Wirtschaft in zehn bis zwanzig Jahren sieht.“
Ebenso umstritten wie die Frage der Arbeitsplätze ist die Frage nach der Höhe der Staatseinnahmen durch die Öl- und Gas-Förderung. Beispiel Angola, ein Nachbar Namibias: Angola fördert bereits seit Jahrzehnten Öl und hat Nigeria als größten Produzenten abgelöst. Trotzdem lebt etwa die Hälfte der Bevölkerung in Armut. Ntinda will dieses Argument nicht gelten lassen.
„Die Wertschöpfungskette ist vielschichtig: Sie bringt Jobs, sichert Investitionen und schafft Wohlstand für den Kontinent. Afrikanische Länder, die bereits Öl fördern, haben dadurch riesige Summen eingenommen. Wie diese Einnahmen dann genutzt werden, ist in einigen Ländern vielleicht etwas fragwürdig, aber das heißt nicht, dass auch wir hier in Namibia zwangsläufig unter dem Ressourcen-Fluch leiden müssen. Wir wollen diese Rohstoffe zum Vorteil unserer Nation, der Bevölkerung und des gesamten Kontinents nutzen.“
Namibia will zu einem Vorbild werden. Doch viele im Land hegen Zweifel, ob das gelingen wird, wenn sich nicht Grundsätzliches ändert. Namibia steht noch immer unter dem Eindruck des sogenannten „Fishrot-Skandals“, dem größten Korruptionsfall seit der Unabhängigkeit 1990. Seitdem sind weitere Machenschaften bekannt geworden. Das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Demokratie und die Regierungspartei SWAPO hat gelitten. Auch das spiele mit Blick auf die geplante Öl- und Gas-Förderung eine Rolle, sagt Ndumba Kamwanyah:
„Die Regierung scheint das Projekt in der Region Kavango unbedingt vorantreiben zu wollen – trotz des Widerstands in den betroffenen Gemeinden. Ich vermute, dass das auch daran liegen könnte, dass hochrangige Leute als Partner an diesen Geschäften beteiligt sind. Generell haben solche Mega-Projekte nur wenig Wirkung auf ein Land wie unseres. Sie lösen die drängendsten Probleme nicht, wie Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ungleichheit. Die Regierung weckt Hoffnungen, die sich schwer erfüllen lassen und lenkt damit von den eigentlichen Problemen ab. Ihr Ziel ist politisch: Die Macht der Regierungspartei zu sichern und zu zeigen, dass sie nach dreißig Jahren etwas vorzuweisen hat.“
Wasserreichste Region Namibias
Eine wirtschaftliche Entwicklung sei dann nachhaltig, wenn sie sich an der Lebensrealität und an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientiere, so Kamwanyah. Er selbst stammt aus der Provinz Kavango, wo die Öl-Exploration bereits begonnen hat.
Die Region ist die wasserreichste Namibias, im Gegensatz zu anderen ariden Landstrichen wird hier Ackerbau betrieben. Kleinbäuerliche Landwirtschaft und Fischerei bilden die Lebensgrundlage der Bevölkerung, die zu einem Teil aus indigenen San besteht und zu den ärmsten des Landes gehört. Rinaani Musutua vom „Economic and Social Justice Trust“ fährt regelmäßig in die Region und berichtet von dem, was sie dort gesehen und von den Menschen erfahren hat:
„Die Leute pflanzen dort auf großen Feldern Mahangu an, eine Art Perlhirse. So können sie überleben. Einen Teil verzehren sie selbst, den anderen verkaufen sie. Außerdem sammeln sie Waldfrüchte. Die Zerstörung, die jetzt dort stattfindet, ist furchtbar. Sie entzieht den Menschen ihre Lebensgrundlage. Um Probebohrungen nach Öl und Gas zu machen, fahren Lastwagen durch bewirtschaftete Felder, ganze Waldstücke werden gerodet, um Zugangsstraßen anzulegen. Dann werden Bohranlagen aufgestellt und seismische Tests durchgeführt. Es werden Entschädigungen versprochen, aber nur, wenn ein Papier unterschrieben wird. Und wenn man sich das Schreiben dann genauer ansieht, stellt es sich als Einverständniserklärung heraus. Die Angst ist groß, dass nun alle ihr Land verlieren werden.“
Der kanadische Konzern ReconAfrica, der sich Explorationsrechte in Namibia und Botswana gesichert hat, betont dagegen auf seiner Website und in öffentlichen Stellungnahmen. Zitat:
„In allen Aspekten seiner Tätigkeiten legt ReconAfrica entsprechend internationaler Standards Wert darauf, Störungen des Lebensraums zu minimieren und Umwelt- und Sozialstandards nach anerkannter Branchenpraxis in all seinen Projektgebieten umzusetzen.“ Zitatende.
Dennoch bestätigte der zuständige Minister Calle Schlettwein gegenüber der Zeitung „The Namibian“ Berichte, denen zufolge die Probebohrungen im Kavango Becken begonnen hatten, bevor die vorgeschriebenen Genehmigungen zur Nutzung von Wasser und Land vorlagen. Das Ganze wurde später „Missverständnis“ genannt und als solches ad acta gelegt. Konsequenzen gab es keine.
„Nicht genug über die Gesetze und die Verfassung aufgeklärt“
Rinaani Musutua vom „Economic and Social Justice Trust“ berichtet von weiteren Beobachtungen, die sie bei ihren Fahrten in die betroffenen Gebiete gemacht hat. Dort würden öffentliche Konsultationen erst jetzt stattfinden, nach Projektbeginn.
„Die Leute sind eingeschüchtert, weil ihnen gesagt wird, dass ReconAfrica die Genehmigung der Regierung hat. Und dass jeder, der sich in den Weg stellt oder auch nur kritisch äußert, auf eine Liste kommt. Sie befürchten, dass sie dann keine staatlichen Hilfen mehr bekommen, etwa in Dürrezeiten. Diese Menschen befinden sich also in einer sehr schwierigen Situation. Sie haben Angst, dass die Umwelt um sie herum zerstört und das Grundwasser kontaminiert wird. Sie wissen nicht, was sie tun sollen. Sie kennen ihre Rechte nicht. Dafür mache ich die Regierung verantwortlich. Sie hat nicht genug über die Gesetze und die Verfassung aufgeklärt. Und das meiner Meinung nach mit Absicht. Damit sie nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann - für etwas, was nicht gut für die Menschen ist.“
Diese ersten Erfahrungen, die Namibia mit der Öl- und Gas-Exploration macht, stimmen nicht gerade zuversichtlich, was die neuen Projekte an der Küste angeht - auch wenn sicher richtig ist, dass sich Off- und On-Shore-Förderung grundsätzlich unterscheiden.
Noch gibt es keine größeren Proteste gegen die neuen Projekte. Der Widerstand der Aktivistinnen und Aktivisten konzentriert sich derzeit auf die Öl-Exploration im Kavango Becken. Ihre Hoffnung: Dass dort gar keine Vorkommen in kommerzieller Größenordnung gefunden werden.