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"No-Go Areas? Rechte Gewalt in Deutschland"

Seit der ehemalige SPD-Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye und Vorstandsvorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen! Aktion weltoffenes Deutschland" die Realität benannt hat, macht das Schlagwort von No-Go-Areas die Runde. Die Akademie der Künste in Berlin wollte dem Phänomen mit einer Diskussionsrunde auf den Grund gehen. Wie steht es um die ethische Verfassung eines Landes, in dem Neonazis gefürchtet und geduldet werden und immer dreister agieren? - sollten sich Uwe-Karsten Heye selbst, Klaus Staeck, Erardo Rautenberg und andere fragen.

Von Natascha Freundel |
    Trommelwirbel im großen, abgedunkelten Saal des alten Akademiehauses. Draußen strahlen die Sonne und das Gelb auf den schwarz-rot-goldenen-Fahnen der Fußballfans um die Wette, drinnen werden düstere Diagnosen und Prognosen erstellt. Der neue Patriotismus ist ein Rausch, so Akademie-Präsident Klaus Staeck. Man könnte hinzufügen: der Kater steht uns noch bevor. Staeck ist ganz einer Meinung mit Uwe-Klaus Heye, dem ehemaligen Sprecher der rot-grünen Regierung und Mitbegründer des Vereins "Gesicht zeigen": Gewaltverbrechen gegen Ausländer oder Menschen, die wie Ausländer aussehen, müssen - wie Johannes Rau es schon im Mai 2000 formuliert hatte - "den Rechtsstaat irritieren und die Patrioten beschämen". Uwe-Klaus Heye:

    " Das ist eine Situation nach den Erfahrungen dieses Landes, die man nicht einfach in die Politik schieben kann - nach dem Motto, das geht mich nichts an, irgendwie muss die Politik damit fertig werden. Sondern ich glaube, dass wir überhaupt noch eine Chance haben, damit umzugehen, wenn es gelingt, zivilgesellschaftliche Widerständigkeit zu organisieren und um jeden einzelnen darum zu kämpfen, dass er sich bereit findet, hier eine klare Haltung zu zeigen. "

    Die von Heyes Interview im Deutschlandradio ausgelöste Diskussion um "No-go Areas" hat viele Facetten: So dachte etwa der Afrika-Rat über eine Deutschlandkarte mit entsprechend markierten Gebieten nach; die neue Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, hielt die Warnungen Heyes für "weit übertrieben"; Wolfgang Schäuble äußerte, "auch blonde, blauäugige Menschen würden Opfer von Gewalt" und - Rechtsextreme vertreiben Aufkleber mit der Aufschrift: "Stop No Go Area", nämlich zur Stärkung so genannter "national befreiter Zonen". Das Podium in der Akademie war breit gefächert - so kamen verschiedene Perspektiven gegen Rechts zu Wort. Einen Nachteil dieser Besetzung bemerkte die Schauspielerin Katja Riemann:

    " Das ist natürlich immer das Problem, dass man im illustren Kreis zusammensitzt und alle haben die gleiche Meinung. Mich würde das aber wirklich interessieren, woher das kommt, weil jetzt in der Vorbereitung auf diesen Abend hab ich gedacht, ich weiß gar nicht, warum ich hierher komme, ich habe eigentlich gar keinen Plan. Ich bin nur erschüttert. "

    Doch hier und da wurden Probleme angesprochen, die bislang viel zu wenig Beachtung fanden. Der aus Kamerun stammende Simplice Freeman lebt seit sechs Jahren in Deutschland:

    " Ich kenne keine Schwarze hier in Deutschland, die wurden noch nicht von der Polizei schikaniert, geschlagen und ich kenne keine Schwarze hier in Deutschland, die wurden noch nicht von Faschos hier bedroht, geschlagen. Deswegen sage ich für meinen Fall, drei, vier Mal schon und einmal von der Polizei, das ist ein bisschen zu viel. "

    Zum ersten Mal, glaubt Freeman, werde hierzulande über Rassismus diskutiert - erst seit dem brutalen Überfall auf einen Deutsch-Äthiopier im April in Potsdam. Dabei steht noch so vieles aus, betonte der Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg, Erardo Rautenberg: Erhebungen über die Beweggründe der rechten Schläger; Forschungen über die Umbrüche in ostdeutschen Biographien und in der gesamtdeutschen Justiz:

    " Sie müssen sich vorstellen, dass nach der Wende im ganzen Bereich Strafverfolgung große Defizite war. Es war eine Umbruchsituation, die Strafverfolgung hat nicht funktioniert, und zwar nicht nur in diesem Bereich, sondern sie hat überhaupt nicht funktioniert. Es sind grade in dieser Zeit ganz fürchterliche Straftaten erfolgt, vor allem mit rassistischem Hintergrund, die auch zum Teil erst ganz ganz spät geahndet worden sind. Das hat die Szene auch ermutigt, gar keine Frage. Das Problem war einfach, sie hatten einerseits übernommene DDR-Staatsanwälte, die jetzt ausgebildet werden mussten im bundesdeutschen Recht, es gab einen Mangel an Personal. Es war einfach, ich würde sagen, eine Notstandssituation. "

    Wie kommen Jugendliche dazu, Menschen durch Straßen zu jagen, zu schlagen, zu treten, zu Tode zu quälen? Auf diese zentrale Frage fand sich auch in der Akademie keine einfache Antwort. Der bei Königswusterhausen lebende Komponist Georg Katzer wünscht sich mehr Geld für Jugendarbeit; die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, hat die Erklärung Arbeitslosigkeit gleich Rechtsextremismus gründlich satt; und Uwe-Karsten Heye sieht ein großes Problem im deutschen Bildungssystem durch die "frühe Selektion" und einer damit verknüpften "Beschämungskultur". Als wichtigste Frage stellte sich heraus: wer sind die Eltern, die Nachbarn, die Polizisten, die mit rechten, gewaltbereiten Jugendlichen zu tun haben? Akademiepräsident Klaus Staeck:

    " Wir müssen die Demokratie einfach attraktiver machen, und deshalb, was da jetzt im Augenblick mit den Fahnen passiert, das ist ganz spannend. Ist das jetzt, wie manche meinen, also die Alarmisten, schon wieder ein neuer Nationalismus? Ich sehe das nicht so. Sondern, wenn jemand nur mit der Fahne rumläuft, also ich find das schon überraschend, - man hätte ja auch überlegen können, ob man hier draußen flaggt jetzt hier - das wär doch mal was. Aber dann sage ich mir, die Demokratie braucht auch Symbole. "