Jasper Barenberg: In welchem Umfang spähen US-Geheimdienste Kommunikationsdaten auch von Deutschen aus, und zwar bis hin zum Mobiltelefon der Kanzlerin? Auskunft und Aufklärung darüber hat die alte Bundesregierung nicht erhalten, und die neue muss sich auf eine weitere schlechte Nachricht einstellen, dass aus dem versprochenen Anti-Spionage-Abkommen mit den USA nichts wird, weil sich Washington sperrt. Wir kriegen nichts und die Amerikaner haben uns belogen, so werden Insider der laufenden Verhandlungen zitiert. Auch ein ähnliches Abkommen mit den europäischen Partnern kommt offenbar nicht voran, das berichtet heute jedenfalls die "Süddeutsche Zeitung".
Am Telefon ist der CDU-Politiker Norbert Röttgen, seit gestern Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag. Schönen guten Morgen!
Norbert Röttgen: Guten Morgen!
Barenberg: Herr Röttgen, steht die Bundesregierung im Moment jedenfalls mit vollkommen leeren Händen da?
Röttgen: Jedenfalls haben wir einen andauernden Konflikt in einer wichtigen Angelegenheit im transatlantischen Verhältnis. Man muss schon sagen, es gab auch bislang - jedenfalls habe ich keine gehört, auch in Gesprächen nicht mit amerikanischen Politikern - keine Andeutung, dass die USA von ihrer Praxis abgehen werden, und darum müssen wir weitermachen mit Dialog, mit Überzeugung. Es gibt ja immerhin auch eine inneramerikanische Debatte über zu viel Geheimdienstaktivität. In Amerika ist das noch nicht eine Debatte über Aktivitäten im Ausland, und da müssen wir ansetzen. Wir brauchen dafür noch Zeit, Geduld, wir müssen mit Überzeugung und Argumenten arbeiten.
Barenberg: Aber wir können für den Moment festhalten: Bisher ist nichts erreicht in diesem Konflikt?
Röttgen: So ist das. Bisher besteht ein grundsätzlicher Dissens.
Barenberg: Und wir hören ja aus den USA heute mit Blick auf die Rede, die Barack Obama für Freitag angekündigt hat, dass offenbar auch, was die Praxis der NSA betrifft, alles beim alten bleiben soll in Zukunft.
Röttgen: Na gut, man muss jetzt die Rede erst mal abwarten, die morgen gehalten wird. Es geht da ja im Kern auch um die inneramerikanischen Aktivitäten. Da gibt es immerhin eine Debatte, eine Diskussion in den USA, in der Politik, in der Öffentlichkeit, und ich glaube, da müssen wir ansetzen. Das Thema ist meines Erachtens, meiner Einschätzung nach auch am Freitag nicht vom Tisch.
"Es geht um das richtige Maß"
Barenberg: Ein belastbares Anti-Spionage-Abkommen zwischen Deutschland und den USA muss kommen, sagt SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Sonst nehmen die Beziehungen zu Washington Schaden. Ist das auch Ihre Haltung?
Röttgen: Na ja, man kann auch immer den Schaden noch größer machen, der schon ohnehin da ist. Ich glaube, es ist ein Dissens in einer wichtigen Sache. Es geht um Freiheit, um Privatsphäre in der Abwägung natürlich zu Sicherheitsinteressen auch der Bürger und um das richtige Maß, und das müssen wir hinkriegen. Ich bin aber dagegen, jetzt zu eskalieren, Schaden auszuweiten, sondern dieses Streitthema dürfen wir nicht aufgeben, sozusagen zur Seite legen, sondern dieses Streitthema müssen wir lösen, aber auch den Streit und den Schaden nicht größer machen.
Barenberg: Aber was konkret dieses Abkommen angeht, wo es ja offenbar zunächst Zusagen aus den Vereinigten Staaten gegeben hat, da wären Sie doch dafür, das jetzt eher still und leise zu begraben und jetzt nicht darauf zu beharren?
Röttgen: Nein, nicht begraben. Ich habe ja gerade das Gegenteil gesagt: eben nicht begraben, sondern diesen Konflikt weiter austragen. Aber er ist noch nicht gelöst. Das Fehlen eines Abkommens drückt ja nur aus, dass wir einen wirklichen Dissens haben. Wenn wir übrigens keinen Dissens mehr haben, dann bräuchte man fast kein Abkommen mehr, weil dann haben wir ja eine übereinstimmende Auffassung. Die kann man dort noch mal völkerrechtlich aufschreiben, das ist völlig klar. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, die USA definieren diese Frage einseitig als eine Frage ihrer nationalen Sicherheit, und da sind sie bislang im Grunde überhaupt gar nicht bereit, mit irgendeinem anderen darüber zu reden. Und zweitens spielt dieses Thema, Aktivitäten im Ausland, Überwachung von Verbündeten, und zwar Regierungsmitgliedern wie Bevölkerung, Bürgern, in den USA weder in der Politik, noch in der Öffentlichkeit irgendeine Rolle, und darum sind wir noch nicht sehr weit gekommen. Das ist völlig richtig. Aber wir müssen weitermachen, das ist mein Plädoyer.
Barenberg: Sie haben ja davon gesprochen, dass es ein unterschiedliches Verständnis von Sicherheit, von Datenschutz, von Privatsphäre gibt. Die NSA will ziemlich jeden Menschen überwachen, der ein elektronisches Gerät zur Kommunikation benutzt, und die NSA kann auch so ziemlich jeden Menschen überwachen. Wo sehen Sie Indizien dafür, dass man in den Vereinigten Staaten gerade auf Regierungsebene von dieser Grundhaltung abrücken könnte?
Röttgen: Das ist genau so. Ich glaube, dass die NSA und auch die Regierung die Auffassung hat, es ist erst mal am besten, dass wir möglichst alles haben. Es ist übrigens auch technisch einfacher: Erst mal haben wir alles und dann gucken wir mal, worauf wir zugreifen. Das ist diese Auffassung. Darüber wird in Amerika, in der amerikanischen Gesellschaft und Politik debattiert, dass das zu weitgehend ist, dass das Maß nicht eingehalten wird, dass das nicht verhältnismäßig ist. Alle sind für Terrorabwehr und aktive Maßnahmen, aber das geht zu weit, und an dieser Debatte müssen wir ansetzen. Es ist noch nur eine inneramerikanische, aber es ist eben auch eine internationale, weil Terrorabwehr ja kein inneramerikanisches Phänomen, sondern ein internationales ist. Dafür brauchen die USA auch Verbündete und dafür braucht man dann auch eine Übereinstimmung in den Grundlagen der Einschätzung von Freiheit und Sicherheit und ihrer Abwägung. Diese Abwägung findet in den USA praktisch nicht statt, das ist der Dissens.
Handlungsbedarf beim Safe-Harbor-Abkommen
Barenberg: Sie plädieren dafür, im Gespräch zu bleiben. Andere plädieren dafür, jetzt eine härtere Gangart einzulegen, beispielsweise Elmar Brok, CDU-Vorsitzender im Auswärtigen Ausschuss im Europaparlament, oder Hans-Peter Uhl von der CSU. Sie sagen zum Beispiel, man müsse dieses Safe-Harbor-Abkommen aufkündigen, das den Datenaustausch zwischen Unternehmen in Europa und den USA regelt. Wäre das ein sinnvoller Schritt?
Röttgen: Es ist in Wahrheit kein Abkommen, sondern es ist eine Entscheidung auf der Grundlage von Gesprächen und Verhandlungen mit den USA. Hier gibt es auch nach meiner Einschätzung offensichtlichen Handlungsbedarf. Das ist eine Entscheidung ja der Europäischen Kommission, keine nationale Entscheidung, und hier gibt es Defizite. Die müssen wir sehen. Da sind auch, glaube ich, die Sicherheits- und Freiheitsinteressen unserer Bürger und unserer Unternehmen in Europa nicht hinreichend berücksichtigt worden, und darum ist das jetzt nicht härtere Gangart, sondern hier müssen wir einfach zu Korrekturen kommen, um den in unserer Hand liegenden und möglichen Datenschutz im internationalen Verhältnis zu verbessern. Wir sollten schlicht handeln und nicht drohen oder sonst was, sondern an der Stelle können wir handeln.
Barenberg: Zum Beispiel diese Vereinbarung, diese Praxis aussetzen. Das Europaparlament ist ja zu dem Ergebnis gekommen nach, ich glaube, 15 Anhörungen, dass ein adäquater Schutz von EU-Bürgern nicht garantiert ist. Das kann ja nicht so weiterlaufen, oder?
Röttgen: Darum müssen wir es verbessern, genau. Aber da liegt auch viel mehr Handlungsmöglichkeit bei uns, bei der Kommission. Ich will nicht zu technisch werden. Dass amerikanische Unternehmen sich selber als sicher erklären und darum Zugriff haben, das ist wirklich ein bisschen blauäugig und dabei kann es nicht bleiben und das müssen wir verbessern.
Barenberg: Welche roten Linien dürfen die USA in Zukunft nicht überschreiten, während wir im Gespräch bleiben?
Röttgen: Na ja, das mit den roten Linien ist so eine Sache. Da haben wir ja die Erfahrung gemacht. Wenn man sie aufzeigt und sagt, Konsequenzen, dann muss man die Konsequenz auch ziehen. Wir haben im Moment ja die Situation, dass eine rote Linie überschritten wird. Einfach mal so sich zuerst alle Daten zu besorgen, schrankenlos, das ist nach unserem Verständnis eindeutig die rote Linie überschritten. Aber wir müssen sehen, dass wir das ändern, nicht nur durch Reden und Drohgebärden, die oftmals auch ein bisschen eine innerstaatlich taktische, politische, parteipolitische Dimension haben, sondern wir müssen im Ergebnis etwas ändern zum Schutz unserer Bürger und darauf müssen wir insistieren mit Selbstbewusstsein und Klarheit, nichts beschönigen. Das müssen wir tun.
Barenberg: Zum Schluss, Herr Röttgen, noch die Frage nach dem, was heute in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen ist, dass nämlich auch in Europa es schwierig ist, sich beispielsweise mit Großbritannien auf ein gemeinsames Verständnis von Privatsphäre und Abhören zu einigen. Ist das frustrierend?
Röttgen: Man muss immer respektieren die Sicht auch anderer. Ich glaube, dass wir insgesamt in der Europäischen Union einen breiten Konsens haben, einen, ich würde fast sagen, zivilisatorischen Konsens darüber, dass Freiheit und Sicherheit in einem Spannungsverhältnis stehen und es keine Einseitigkeiten geben darf. Aber es gibt international jetzt ja auch bekanntlich das "Five Eyes"-Abkommen, also eine Gruppe von Staaten, da gehören USA und Großbritannien dazu, die auch eine besondere Geheimdienst-Verbindung haben, und insofern ist das auch ein innereuropäisches Thema, das wir diskutieren müssen, und wir müssen am Ende zu einer europäischen Position kommen. Da ist die Mehrheit eindeutig. Und wir müssen auch mit unseren britischen Freunden darüber reden, denn das, worüber wir uns bei den USA aufregen - das muss man auch mal sagen -, das ist ja nicht nur amerikanische Geheimdienstaktivität, sondern das gibt es auch innerhalb von Europa und das gibt es nebenbei auch von anderen Staaten, die wir überhaupt noch gar nicht hier in der Diskussion aufgenommen haben.
Barenberg: Norbert Röttgen, der neue Vorsitzende im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
Röttgen: Ich danke Ihnen sehr.
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