Dieser Ökonomismus kommt im neoliberalen Gewande daher. Er bezeichnet ein Prinzip und ein Politikverständnis, mittels derer es (wie Robert McChesney in seiner Einleitung formuliert) "einer relativ kleinen Gruppe von Kapitaleignern gelingt, zum Zwecke persönlicher Profitmaximierung möglichst weite Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu kontrollieren."
In den USA, wo privates Unternehmertum und Marktideologie immer schon zu den Merkmalen der Politik gehörten, lässt sich der Vormarsch dieses Denkens zumal nach dem Zweiten Weltkrieg, so Chomsky, genau verfolgen; dabei ist bemerkenswert, wie leicht es den Interessen des großen Geldes gelang, die Idee des ökonomischen Individualismus für ihre Zwecke einzuspannen. Jahrelange, von "Big Business" finanzierte Werbekampagnen verliehen dieser systematischen Transformation auch in den Augen des gemeinen Amerikaners eine "fast sakrale Aura"; die damit verbundenen Forderungen an die Nation bedurften "kaum noch der Verteidigung". Inzwischen lässt sich in "God's own country" mit neoliberalen Formeln alles Mögliche begründen: Steuererleichterungen für Wohlhabende, Reduzierung des Umweltschutzes, Zerschlagung staatlicher Wohlfahrtsprogramme. Und auch dies ist unbestreitbar: Jede Aktivität, die sich gegen die gesellschaftliche Vorherrschaft der Konzerne richtet, ist "automatisch verdächtig, weil sie die Mechanismen des freien Marktes, der einzig vernünftigen, fairen und demokratischen Instanz für die Verteilung von Gütern und Dienstleistungen, gefährden könnte."
Was für die USA selber gilt, gilt inzwischen fast überall in der Welt, die negativen Folgen der neoliberalen Revolution rücken mehr und mehr ins Bewusstsein: die Zunahme sozialer und wirtschaftlicher Ungleichheit, die rapide Verschlechterung der globalen Umweltbedingungen, der krasse Gegensatz zwischen Einflussnahme der wenigen und Einflusslosigkeit der großen Mehrheit der Menschen.
Vor dieser Entwicklung hatte schon einer der amerikanischen Verfassungsväter, James Madison, gewarnt; nun treibt sie Chomsky um. Denn sie trifft, sie zerstört das demokratische Selbstverständnis, wie es sich seit der Aufklärung herausgebildet hat. Was einer bestimmten ökonomischen Logik entspricht, so sein Argument, wendet sich zwangsläufig gegen demokratische Selbstbestimmung und Kontrolle von unten. In einer Welt, in der nur noch Kapital- und Konzerninteressen zählen, die sich auf einen "Konsens ohne Zustimmung" stützen, steht die Zukunft der Demokratie selbst auf dem Spiel. Jedenfalls einer Demokratie, die "diesen Namen verdient" - und sich nicht auf die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch gewählte Mitglieder einer politischen Elite oder Klasse reduziert. Schon jetzt belegen repräsentative Umfragen in vielen Ländern, auch den USA, dass immer mehr Menschen immer weniger davon überzeugt sind, dass ihre jeweilige Regierung die "Interessen des Volkes" vertritt; weitaus verbreiteter ist die Annahme, ja die Gewissheit, dass nur die Anliegen der Mächtigen, d.h. der Wirtschaft und des Kapitals, zählen; dass die Wirtschaft - Großunternehmen, Multis und Banken - de facto zuviel Macht ausübt und dass sie zu wenig zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen beiträgt.
Chomskys Warnungen vor den Gefahren einer Aushöhlung der Demokratie im Zeitalter der Globalisierung können angesichts solcher empirischen Befunde gar nicht ernst genug genommen werden. Sein neues Buch müsste Pflichtlektüre gerade auch für Politiker sein, die die Zeichen an der Wand bislang nicht sehen wollen.
Martin Geiling besprach "Profit over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung" von Noam Chomsky. Erschienen ist der 159 Seiten starke Band im Europa Verlag. Er kostet 24,50 Mark. Zum Thema "Kritik der politischen Ökonomie" noch ein weiterer Buchtip an dieser Stelle. Die französische Autorin Viviane Forrester hat ihrem erfolgreichen Buch "Der Terror der Ökonomie" nun ein weiteres folgen lassen: "Die Diktatur des Profits". Sie versucht darin zu zeigen, wie das bloße Streben nach Profit die Arbeitsgesellschaft zerstört, wie reale Wertschöpfung zugunsten von purer Bereicherung immer mehr in den Hintergrund tritt. Ihr neues Buch ist im Hanser Verlag erschienen, hat 210 Seiten und kostet 35 Mark.