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Nobelpreis Chemie 2010: Palladium-Katalysatoren hoch drei

Den diesjährigen Chemie-Nobelpreis teilen sich der US-Amerikaner Richard F. Heck und die beiden Japaner Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki. Die drei Wissenschaftler erhielten die Auszeichnung für die Entwicklung neuer effizienter Wege, um Kohlenstoffatome zu verbinden.

    Monika Seynche: Richard F. Heck, Ei-ichi Negishi und Akira Suzuki bekommen den Preis für "Palladium-katalysierte Kreuzkupplung in der organischen Synthese". Volker Mrasek, was ist das?

    Volker Mrasek: Ja, das ist einer dieser gewohnten Zungenbrecher, den uns das Nobelpreiskomitee zu dieser Jahreszeit immer liefert, und unter denen man sich normalerweise nichts vorstellen kann. Das Wichtigste in diesem Wortungetüm ist das Wort "katalysiert". Es geht hier also um die Forschung an Katalysatoren, die ausgezeichnet wird, übrigens nicht zum ersten Mal. Warum ist das so? Weil unsere Industriechemie,wie wir sie heute kennen, ohne Katalysatoren nicht denkbar wäre. Die meisten chemischen Reaktionen und Stoffsynthesen würden gar nicht ablaufen, wenn man nicht Methoden hätte, um die Prozesse zu beschleunigen oder um sie überhaupt in Gang zu bringen. Das Werkzeug dazu sind in aller Regel Katalysatoren. Die drei heute gekürten Wissenschaftler haben schon vor langer Zeit, in den späten 60ern, den 70er-Jahren mit ihrer Forschung den Weg geebnet für eine ganz neue Klasse dieser Katalysatoren, die das Edelmetall Palladium enthalten und mit denen man, was vorher zum Teil gar nicht möglich war oder nur sehr schwer, vor allem große und komplexe Kohlenstoffverbindungen herstellen kann. Ja, mit denen man sogar komplizierte Naturstoffe nachbauen kann. Das ist etwas, was inzwischen auch geschieht. Es gibt Medikamente, Pflanzenschutzmittel, die heute auf diesem Weg hergestellt werden. Und wie groß die Bedeutung dieser Forschungsarbeiten ist, sieht man auch daran, dass diese Katalysereaktionen sie Namen ihrer Entwickler tragen, also die Namen der frisch gekrönten Chemienobelpreisträger. Es gibt eine Heck-Reaktion, es gibt eine Suzuki-Kupplung und eine Negishi-Kupplung.

    Praktische Anwendung von Palladium-Katalysatoren


    Seynche: Die Kohlenstoffatome müssen fest miteinander verbunden werden, um neue Moleküle und Substanzen aufzubauen. Was macht man denn mit solchen Stoffen?

    Mrasek: Also ich finde das tollste Beispiel lieferte das Nobelkomitee in Stockholm selbst in der Begründung der Preisvergabe. Ende der 80er-Jahre haben Taucher in der Karibik einen Meeresschwamm aus 30 Meter Tiefe an die Oberfläche geholt. Das Spannende an diesem Wesen ist: Es hat keine Augen, es hat keinen Mund, es hat keine Knochen, es hat eigentlich nichts, vor allen Dingen sitzt es nur da rum und kann auch nicht vor Feinden fliehen. Das muss es auch nicht, denn dieser Meeresschwamm ist voll von Giftstoffen. Die machen diesen Organismus ungenießbar für potenzielle Fressfeinde. Das macht diesen Organismus so spannend. Forscher wollten wissen: Was sind das für Stoffe und können wir die nicht vielleicht nutzen? Das ist bestimmt was sehr Spannendes. Und man hat herausgefunden: Dieser Schwamm enthält eine Substanz, die sich Discodermolid nennt. Die hat man sich genauer angeschaut. Man hat festgestellt: Sie hat eine Krebs-hemmende Wirkung wie Taxol, wie ein Medikament, was man schon kennt, das gewonnen wird aus Pflanzen, und diesen Stoff kann man mittlerweile nachbilden. Warum? Weil man diese Katalysatoren hat. Das heißt, es ist möglich, solch einen Stoff wie dieses Discodermolid mit potenzieller Anwendung in der Krebstherapie in ausreichend großen Mengen herzustellen, und es laufen tatsächlich mittlerweile klinische Tests mit dieser Substanz, weil es diese Entwicklung und diese Forschung der heute gekürten Wissenschaftler gibt.

    Seynche: Das heißt, man muss nicht mehr die Schwämme ernten dafür?

    Mrasek: Man muss nicht mehr die Schwämme ernten, das ist genau das Problem. Es kommt ja vor, Stichwort Apotheke der Natur, also Pharmazeuten, Pharmakologen haben die Ambition und glauben, dass man Naturstoffe finden wird, die man in der Medizin noch anwenden können wird. Nur das Problem ist dann immer: Kann man die einfach so ernten? Wenn man sie synthetisch herstellen kann, und das in ausreichender Menge, dann werden diese Substanzen erst interessant.

    [...]

    Seynche: Gibt es außerhalb der Medizin auch noch Anwendungen?

    Mrasek: Es gibt welche, es gibt zum Beispiel im Bereich der Pflanzenschutzmittel Anwendungen, und auch in sehr großem Maßstab. Es gibt eine Substanz, die praktisch jeder Landwirt kennt, die mithilfe dieser Katalysatoren hergestellt wird [...] mit einem Marktvolumen von über zwei Milliarden Euro. Das ist ein Pilzbekämpfungsmittel, das wird eingesetzt bei Obst, in Gemüse, im Weinbau, bei Zierpflanzen, auch nicht denkbar ohne diese Art der Reaktion. Ein anderes Beispiel: Elektronik. Es gibt Verbindungen, die nennt der Chemiker Biarylverbindungen. Das müssen wir jetzt nicht im Detail wissen, was das ist, aber die werden zum Beispiel in LCD-Displays benutzt und eingesetzt, also in Flachbildschirmen, Computerflachbildschirmen, Fernsehflachbildschirmen. Die Firma Merck in Darmstadt ist da ein Hersteller. Wiederum ein Anwendungsfeld, das heute schon da ist.