Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier werden für ihre Forschungen im Bereich der Elektronendynamik mit dem Physik-Nobelpreis 2023 ausgezeichnet. Das teilte die Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm mit. Ihre Arbeit zur Attosekundenphysik hätten der Menschheit neue Instrumente zur Erforschung der Welt der Elektronen in Atomen und Molekülen geliefert. Die Arbeit der drei habe „die Tür zu extrem kleinen Zeiteinheiten geöffnet“.
Was ist Attosekunden-Physik?
Die menschliche Wahrnehmung ist nicht dafür gemacht, extrem kleine oder extrem große Dinge zu erfassen. Das gilt für den Raum, aber auch für die Zeit. Ereignisse, die sehr schnell passieren, scheinen für uns deshalb ineinander überzufließen - so wie die einzelnen Bilder in Filmen oder in einem Daumenkino.
Elektronen verändern sich innerhalb von Attosekunden. Das ist das Milliardstel einer Milliardstelsekunde.* Anders gesagt: Innerhalb einer Sekunde vergehen so viele Attosekunden, wie Sekunden vergangen sind, seit das Universum entstanden ist. So kurze Ereignisse lassen sich nur mit speziellen Technologien untersuchen.
Pierre Agostini, Ferenc Krausz und Anne L’Huillier haben in ihren Arbeiten Methoden entwickelt, um extrem kurze Lichtimpulse zu erzeugen, die im Attosekunden-Bereich liegen. Anhand dieser "Schnappschüsse" aus dem Atom können Forscher die Bewegung von Elektronen in festen Materialien untersuchen.
Das kann helfen, grundlegende Prozesse in der Materie zu verstehen und neue Technologien zu entwickeln. Zum Beispiel auf dem Gebiet der Elektronik. Attosekunden-Impulse könnten aber auch verwendet werden, um verschiedene Moleküle zu identifizieren, etwa in der medizinischen Diagnostik.
Wer sind die Preisträger?
Anne L’Huillier gilt als absolute Pionierin auf dem Gebiet der Laser-Physik. Ihre preiswürdige Entdeckung machte sie schon Ende der 1980er-Jahre. Sie leitete Infrarotlaserlicht durch ein Edelgas und konnte dabei zeigen, dass das Licht ähnlich wie einzelne Klänge in der Musik Obertöne erzeugte. Durch das Zerlegen von Licht in sehr hohe Obertöne kann aus sichtbaren Laserstrahlen unsichtbares Röntgenlicht gemacht werden.
Seit 1997 ist die gebürtige Französin Professorin für Atomphysik an der Universität im südschwedischen Lund. Der Anruf aus Stockholm kam ihr erst mal ungelegen: Sie war mitten in einer Vorlesung und konnte erst in der Pause ans Telefon gehen. Die letzte halbe Stunde ihrer Vorlesung sei danach "etwas schwierig" gewesen, erzählte sie im Telefon-Interview während der Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Preisträger in Stockholm.
Pierre Agostini war der Erste, dem es gelang, eine Reihe von aufeinanderfolgenden Lichtimpulsen zu erzeugen, bei denen jeder Impuls nur 250 Attosekunden dauerte. Sein entscheidendes Experiment veröffentlichte der gebürtige Franzose im Jahr 2001, kurz bevor er Professor an der Ohio-State University in den USA wurde. Dort lebt der inzwischen emeritierte Forscher noch heute.
Etwa zeitgleich mit Agostini schaffte es Ferenc Krausz in einem anderen Experiment einzelne, extrem kurze Lichtimpulse zu isolieren. Dafür bekam er nicht nur den Nobelpreis, sondern auch einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. So kurz die Ereignisse sind, die Ferenc Krausz in seiner Forschung beobachtet, so lange kann ein einzelnes Experiment dauern, erzählt der Forscher in einer Dlf-Reportage vom Jahr 2010.
Die Nachricht über den Preis erhielt der Direktor am Max Planck Institut für Quantenoptik in Garching nicht an einem ruhigen Einheits-Feiertag auf dem Sofa, sondern am Schreibtisch. Dort war er gerade dabei, letzte Vorbereitung für den Tag der offenen Tür des Institutes zu treffen. Das erzählt er im Interview mit dem Dlf. Eigentlich wollte er am Nachmittag interessierten Laien die Forschung seiner Gruppe genauer erklären. Stattdessen gab es eine spontane Pressekonferenz.
Wie viele Frauen haben bisher einen Nobelpreis erhalten?
Der Nobelpreis gilt international als eine der wichtigsten wissenschaftlichen Auszeichnungen. Die Laureaten werden immer in der ersten Oktoberwoche bekannt gegeben. Die eigentliche Preisverleihung findet am 10. Dezember statt, dem Todestag des Stifters, Alfred Nobel.
Unter den bisher 957 ausgezeichneten Forschenden sind nur 63 Frauen. Darunter auch die Gewinnerin des diesjährigen Nobelpreises für Medizin oder Physiologie, Katalin Karikó und die frisch gebackene Physik-Nobelpreisträgerin Anne L’Huillier. Die sagte im Interview nach der Bekanntgabe der diesjährigen Preisträger: "Das ist der prestigeträchtigste Preis und ich bin so froh darüber. Es ist unglaublich. Nicht so viele Frauen erhalten diesen Preis. Es ist etwas ganz, ganz Besonderes."
Zwar haben in den letzten 20 Jahren doppelt so viele Frauen den Preis gewonnen wie in den 80 Jahren davor. An der Tatsache, dass Männer deutlich häufiger als Frauen ausgezeichnet werden, hat das wenig geändert.
*In einer früheren Fassung des Textes stand eine falsche Zeitangabe. Wir haben die Angabe korrigiert.