Archiv


Noch kein Grund zur Beruhigung

Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Studienanfänger um 2,4 Prozent gestiegen. Zugleich gebe es aber 20 Prozent mehr Schulabsolventen, betont Achim Meyer auf der Heide, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes. Der Berg der Studierwilligen, die vor den verschlossenen Hochschulen stehen, sei weiterhin wesentlich größer als das, was durch den leichten Anstieg aufgefangen werde.

Achim Meyer auf der Heide im Gespräch mit Elif Senel |
    Elif Senel: Großes Schulterklopfen gab es letzte Woche, als bekannt gegeben wurde, dass die Zahl der Studienanfänger so hoch wie nie zuvor sei. Heute wird es wieder wahrscheinlich freudige Gesichter geben, denn auch die Zahl der Abiturienten ist gestiegen. 2,3 Prozent mehr Schüler haben in 2008 die Hochschul- oder Fachhochschulreife erlangt. Aber wie sind diese Zahlen jetzt zu bewerten. Darüber spreche ich jetzt mit Achim Meyer auf der Heide, dem Generalsekretär des Deutschen Studentenwerkes. Guten Tag, Herr Meyer auf der Heide!

    Achim Meyer auf der Heide: Guten Tag, Frau Senel!

    Senel: 2,3 Prozent mehr Abiturienten, 2,4 Prozent mehr Studienanfänger - Bundesbildungsministerin Annette Schavan ist sehr zufrieden. Sind Sie es auch?

    Meyer auf der Heide: Na gut, zum einen muss man sagen: Das Ziel, 40 Prozent eines Altersjahrgangs für ein Studium zu gewinnen, ist zwar noch nicht erreicht, man nähert sich dem an. Allerdings ist es etwas einseitig, nur die 2008er Zahlen zugrunde zu legen, denn wir haben ja seit 2003 völlig andere Entwicklungen. Die Zahl der Studienanfänger insgesamt ist in dem Zeitraum um 2,4 Prozent gestiegen, und die Zahl der Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung um 20 Prozent, das ist das Zehnfache. Und insofern gibt es natürlich eine Menge von Hochschulzugangsberechtigten, die überhaupt kein Studium aufgenommen haben in den Jahren.

    Senel: Das heißt, Sie sagen, zwischen 2003 und 2008 gab es jetzt insgesamt 20 Prozent mehr Abiturienten.

    Meyer auf der Heide: Ja.

    Senel: Und die sind alle noch nicht an den Universitäten zu finden?

    Meyer auf der Heide: Nein, man muss sich den Zeitverlauf ansehen. Zwischen 2003 und 2008 gab es eine Kurve, die bei den Studienanfängern nach unten ging und bei den Schulabsolventen ist sie stetig gestiegen. Und ein Teil ist in das duale Ausbildungssystem gegangen, und viele Studierwillige haben vor verschlossenen Türen gestanden, was ja auch dieses Chaos zurzeit bei der Zulassung oder bei der Verteilung der Zulassung dokumentiert.

    Senel: Aber wenn jetzt die Zahl der Studienanfänger auch gestiegen ist, dann ist das doch erst mal ein positiver Trend?

    Meyer auf der Heide: Das ist ein positiver Trend insofern, als wir seit 2007 wieder steigende Studienanfängerzahlen haben, das ist völlig richtig. Aber nun kann man das nicht immer eins zu eins abbilden, weil es gibt ja zeitliche Verzögerungen, bis Schulabsolventen dann in ein Studium eintreten. Das ist bedingt durch Zivildienst und Bundeswehrzeiten, andere Faktoren, freiwilliges soziales Jahr oder ein ökologisches Jahr. Das heißt, der Berg der Studierwilligen, die vor den verschlossenen Hochschulen stehen, der ist wesentlich größer als das, was jetzt aufgefangen wird durch den leichten Anstieg.

    Senel: Warum haben die keinen Zugang zu den Hochschulen?

    Meyer auf der Heide: Nun, man muss schon sehen, dass es dafür unterschiedliche Faktoren gibt. Zum einen haben durch die Einführung der neuen Studiengänge die Hochschulen doch ihre Kapazitäten relativ verringert, weil die neuen Studiengänge einfach lehrintensiver sind und insofern natürlich auch die Kapazitäten da runtergefahren sind. Und zum anderen gibt es einen zweiten Grund, das war eben auch die Einführung von Studiengebühren in vielen Ländern, wo wir immer auch gesagt haben, wenn Erfolgsmeldungen aus den einzelnen Ländern mit Studiengebühren kamen, haben wir gesagt und ich denke auch, zu Recht darauf hingewiesen, dass der Teil der potenziellen Studierenden wesentlich höher ist als das, was tatsächlich an den Hochschulen landet. Und Studiengebühren schrecken auch ab. Wir wissen das aus einer Untersuchung zwischen 6000 und 18.000 Studierenden im letzten Jahr oder Studierwilligen, die gesagt haben, wegen der Studiengebühren nehmen wir kein Studium auf.

    Senel: Aber jetzt ist die Zahl der Studienanfänger tatsächlich gestiegen. Ist vielleicht die Angst oder der Schrecken der Studiengebühren vielleicht geringer geworden? Hat man sich ein bisschen dran gewöhnt vielleicht?

    Meyer auf der Heide: Nein, deshalb sage ich, man kann das nicht so einseitig interpretieren. Also wenn man sagt, 2,4 Prozent Zuwachs bei den Studienanfängern, dann muss man natürlich auch sehen, dass die sich aus einer ganz anderen Altersgruppe, nämlich der 19- bis 24-Jährigen rekrutieren. Bei uns ist ja nicht das Eintrittsalter ins Studium überwiegend 19. Ich würde auch nur sagen, dass das Durchschnittsalter der Studierenden 24,2 ist. Das heißt also, viele fangen zeitversetzt an, gehen erst mal alternative Qualifizierungswege ein, nämlich eine Ausbildung im dualen System oder machen andere Sachen. Und der Rest ist in den Relationen, die ich genannt habe: 20 Prozent mehr Schulabsolventen, nur 2,4 Prozent mehr Studierende - das heißt also, dass doch eine erhebliche Differenz woanders geblieben ist.

    Senel: Wie würden Sie abschätzen, wird es sich in der Zukunft dann entwickeln?

    Meyer auf der Heide: Zum einen sollen ja die Kapazitäten erhöht werden, also da ist auch Handlung geboten. Am Montag gibt es ja in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz eine erneute Diskussion über den Hochschulpakt II. Die Länder und die Bundesregierung haben damals beim Bildungsgipfel sich darauf verständigt, bis 2015 zusätzliche 275.000 Studienplätze für Studienanfänger zu schaffen. Hier ist aus unserer Sicht dringend eine Einigung erforderlich, um genau auch dem Teil, der bisher nicht reinrutschte, auch die Türen zu öffnen durch Erweiterung der Kapazitäten. Zum Zweiten können wir die Länder immer nur wieder auffordern, auch Stipendien bereitzustellen für diejenigen Studierenden, die eben bisher wegen Studiengebühren und unzureichender Finanzierung abgeschreckt wurden.