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Nochmals im Treppenhaus

Die Salzburger Festspiele wurden mit einer fünf Jahre alten Wiederaufnahme bestritten: mit "Le nozze di Figaro" von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart in der Inszenierung von Claus Guth. Gluths Treppenhaus von damals blieb, das Personal wechselte.

Von Frieder Reininghaus |
    Das Salzburger Politik- und Kulturmanagement, dieses Netzwerk im Herzen des kleinen österreichischen Bundeslandes, ist heuer gut im Auswechseln. Jean Ziegler, der hochmoralisierende Schweizer Globalisierungskritiker, wurde (wie auch an dieser Stelle bereits ausgiebig berichtet) als Eröffnungsredner der Festspiele ein- und wieder ausgeladen. Die Landeshauptfrau ließ an seiner Stelle den nordostdeutschen Pastor Gauck als grauen Ersatzmann auflaufen. Der outete sich als Feind kritischer Theorie, dankte zuerst der holden Kunst für ihre schönen Stunden und dann ganz ausführlich für die den Osteuropäern vor zwei Jahrzehnten geschenkte Freiheit. Aber deren Risiken und Nebenwirkungen sind halt in den letzten zwanzig Jahren auf eine Weise weitergegangen, die der gute Mensch aus Rostock nicht denken kann oder will.

    Aufs Denken aber zielt das Motto, das Markus Hinterhäuser als interimistisch leitender Impresario dem Festival angedeihen ließ: "Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken". Dieser Appell ist älteren Datums und stammt vom roten Mandarin Luigi Nono aus den Jahren, in denen dieser Neue Musik und eine kommunistische Weltordnung durchsetzen wollte (das erste erweis sich als leichter und wurde ein Erfolgsrezept). Der Anspruch allerdings, ständig aufwecken zu wollen und zu dürfen, kollidiert mit dem legitimen Ruhebedürfnis der reichen Völker, dessen wohlhabende Schichten ja ohnedies schon hell- bis überwach erscheinen. So hängt auch Hinterhäusers gutgemeinter Lehrsatz etwas in der Luft und es ist nicht absehbar, ob er Bodenhaftung gewinnt.

    Ausgewechselt wurden neben den Sängern auch Orchester und Dirigent bei der Wiederaufnahme "Figaro"-Produktion von 2006: Statt den Wiener Philharmonikern nimmt sich das Orchestra of the Age of Enlightenment der luziden Mozart-Partitur an und statt Nikolaus Harnoncourt steht Robin Ticciati am Dirigentenpult. Der sorgt für hinreichend Dynamik und verschiebt die Balance des historisch orientierten Klangs zugunsten der Bläser. Die Geigen entwickeln aparte Schärfe. Doch bleibt beim Sängerensemble manches matter als bei der so glänzend besetzten Premiere vor fünf Jahren. Da entwickelte die in kurze Hosen gesteckte Christine Schäfer den erotischen Schmelz der Cherubino-Arien mit atemberaubender Virtuosität. Ildebrando D’Arcangelo gestaltete die Titelpartie so, dass die schillernde Herkunft des Figaro ebenso wie seine Irritation als künftiger Ehemann bestens zur Geltung kam, aber auch ein robustes Durchsetzungsvermögen. Bo Skovhus gab einen machtbewussten und nur bedingt sympathieerregenden, bürgerlich domestizierten Grafen Almaviva. Jetzt wirkt Simon Keenlyside wie ein mittlerer Angestellter. Genia Kühlmeier als seine Gattin profiliert sich mit blitzsauberem und bestens geführtem Sopran. Marlis Petersen ist als Domestiken-Braut Susanna insgesamt sehr viel überzeugender als Anna Netrebko – Erwin Schrott an ihrer Seite eher nobel, nicht eben der Inbegriff eines geldgierigen Friseurs (er agiert eher wie ein Diplomat). Alles in allem sorgte das Team für eine mehr als respektable musikalische Leistung, also durchaus für das, was als "festspielwürdig" gehandelt wird.

    Die zuständige Dramaturgin des Regisseurs Claus Guth hat dessen neutralisierende Übertragung des Werks in ein Treppenhaus des mittleren 20. Jahrhunderts im Programmbuch flankiert – unter der Parole "Utopie der Unschuld". Die Vor- und Nachdenkerin des Projekts, ein Produkt deutscher Musikwissenschaft, verwechselt in ihrer Abhandlung über "Le nozze di Figaro" als "Welttheater menschlicher Leidenschaft" hartnäckig das, was Lorenzo da Ponte bereitstellte, mit dem Anteil des Komponisten: "Mozart schuf einen Kosmos", schrieb sie, "einen Kosmos, in dem die herrschenden Gesetze einer vom Menschen bestimmten, in Hierarchien erstarrten Welt neues Leben erfuhren". Der Beitrag des Tonsetzers in einem Gemeinschaftsprodukt zur verzögerten Hochzeit eines Friseurs als Belebung der "herrschenden Gesetze" des Ancien Régime zu feiern, erscheint als Volte, die sowohl für die fatale Unbildung wie für die musikbornierte Ranküne der Urheberin signifikant ist: unfreiwillig wird offenbart, worum es dem Projekt ging – offensichtlich um Belebung der "herrschenden Gesetze", Dass produktive wie nachschaffende Kunst auch anders können, sollte eigentlich nicht eigens betont werden müssen.