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Noel Gallaghers "High Flying Birds" vs. Liam Gallaghers "Beady Eye"

Mit mehr als 50 Millionen verkaufter Alben war die britische Band Oasis in den 90ern ganz oben. Die Brüder Noel und Liam Gallagher sorgten aber mit ihren Dauerfehden für Schlagzeilen: Oasis wurde aufgelöst. Anfang 2011 meldete sich Liam mit "Beady Eye" zurück. Und seit gestern ist Noels Soloalbum auf dem Markt.

Von Adalbert Siniawski |
    Dass Noel Gallagher und sein jüngerer Bruder Liam auf ewig gemeinsam Musik machen würden, daran glaubte wirklich niemand. Doch das Aus für die größte Band der Welt kam dann doch unerwartet: Ende August 2009, wenige Minuten vor einem Auftritt in Paris, bewirft Liam seinen Bruder mit einer Pflaume, greift dann zu einer Gitarre und geht auf Noel los – dieser zertrümmert die Gitarre und sagt kurzerhand: "Es reicht, ich bin raus!" Seit ihrer Kindheit in einem Arbeiterviertel von Manchester haben die beiden Brüder verbal und körperlich miteinander gekämpft, doch Mitte 2009 hat sich zu viel angestaut: Streit um Werbeaktionen für Liams Modelabel "Pretty Green", die Absage eines Festival-Auftritts, wiederholte Drohungen, das Handtuch zu werfen. Die Tournee wird gestrichen und die 18 Jahre lange Ära der Band Oasis für beendet erklärt.

    "Das ist eine Schande, denn sie könnten losgehen und Beady Eye machen. Und ich könnte auch mein Ding machen. Und dann, in zwei Jahren, könnten wir uns treffen, zusammenraufen und wieder Oasis sein. Aber das hat sich erledigt, das wird nie passieren."

    Während sich Noel nach der Trennung erst einmal zurückzieht, schmiedet sein Bruder mit den restlichen Oasis-Kollegen schnell die Nachfolge-Band "Beady Eye". Schon Anfang 2011 erscheint ihr Debut-Album "Different Gear, Still Speeding". Songs wie "The Morning Son", The Roller" und "Millionaire" stammen noch von Demo-Aufnahmen aus Oasis-Zeiten. Doch Liam wird nun gänzlich Retro- Rock-'n'-Roller. Der Schriftzug von "Beady Eye" – zu Deutsch: Knopfauge – und auch die Fotos der Band erinnern stark an "The Kinks" und die Beatles-Platte "Rubber Soul". Und auch in seinen Liedern bläst Liam zum großen Revival der "Beatles and Stones":

    Hier ein mitreißendes Schlagzeug, dort ein halliger Gesang im Stil von John Lennon, dazu ein paar antiquierte Zitate aus der Zeit der Studenten-Revolte: Liam sammelt förmlich alle Elemente der Rockmusik der 60er und 70er, fügt ein bisschen Oasis-Sound hinzu, setzt alles scheinbar beliebig zusammen, um sie für die Nachwelt zu konservieren. Doch wie bei Konservengerichten auch ist das Resultat doch ziemlich fad. Was hält sein Bruder Noel von dem Debut von Beady Eye?

    "Um ehrlich zu sein: Ich habe sie noch nicht gehört. Ich habe sie nur mal im Fernsehen gesehen. Gen und Chris sind immer noch meine Freunde, weißt du? Ich hoffe, die stellen etwas Großes auf die Beine. Aber es wäre falsch von mir, ein Album zu kommentieren, dass ich nicht gehört habe."

    Noel lässt sich ein halbes Jahr länger Zeit mit seinem Comeback. In geschickter Salami-Taktik kündigt er ein Soloalbum plus Tournee an: "Noel Ghallager's High Flying Birds", das ist neben Noel Gallagher nur ein loses Kollektiv – keine feste Band. Bei Oasis hatte er seine Vormachtstellung als alleiniger Songschreiber mit der Zeit verloren – auf diesem Album hat er wieder die Oberhand.

    "Ich kann eine Idee im Studio entwickeln und in zehn Minuten ausprobieren, ob sie funktioniert oder nicht. Ich spiele Bass, ich spiele alle Gitarrenparts, ich spiele ein bisschen Keyboard. Es geht einfach schneller. Und was den Gesang betrifft, muss ich keinem erklären, wie der Song klingen soll. Den größten Streit, den wir hatten, war, als ich Liam sagte: 'Okay, ich will, dass Du so singst!' Und er hat immer gesagt, nur um ein Arschloch zu sein: 'Ach, ich werde es aber so singen.!"

    Während Liam nun auf der Retro-Welle surft, hat Noel ein melancholisch-leichtes Rock-Pop-Album hingelegt.

    Dabei ist er stets als der gute alte Noel wiederzuerkennen – vor allem in den Songtexten. Wie immer dreht sich alles um die essenziellen Themen Liebe, Verlust und Hoffnung; alles unterlegt mit einem Hauch
    Melancholie.

    Wie gewohnt kupfert Noel auch von seinen musikalischen Vorbildern ab. "The Kinks" und "The Smiths” scheinen immer wieder durch.

    Die Arrangements überraschen dann doch: Aus dem Nichts tauchen jazzige Blechbläser auf und versetzen den Hörer nach New Orleans. Generell hat Noel die druckvollen Gitarren aus der Oasis-Ära gegen Streicher und Chöre eingetauscht. Daraus sind aber keine neuen Klangmauern entstanden, sondern harmonische Pop-Melodien. Und "What a Life!" klingt sogar nach Mainstreamradio-tauglicher Disco-Musik; ein bisschen wie "Dance with somebody" von Mando Diao.

    Anders als sein jüngerer Bruder hat Noel Gallagher den Oasis-Sound wiederbelebt und weiterentwickelt. Und im kommenden Jahr steht wohl ein weiterer Umbruch bevor: Dann kommt sein zweites Album auf den Markt, eine Koproduktion mit dem britischen Elektro-Duo Amorphous Androgynous. Die Songs sind längst eingespielt. Noel macht als Solokünstler eifrig weiter Musik, sagt aber, er vermisse Oasis. Doch an eine Wiedervereinigung der Band glaubt er vorerst nicht.

    "Liam hat gesagt, dass das nie passieren wird. Ich hab dazu nichts hinzuzufügen. Er hat gesagt, bei dem Gedanken daran müsste er kotzen. Also lassen wir das."

    Tipp der Corso-Redaktion: Beady Eye sind auf Tour, morgen in Kopenhagen und am Dienstag in Amsterdam. Noel Gallagher and The High Flying Bird geben ihr Deutschlandkonzert am 4. Dezember.