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Nolde vor Nolde

Mit der Ausstellung 'Emil Nolde im Dialog’ startet die Städtische Galerie Karlsruhe am kommenden Samstag ihr bislang aufwändigstes Projekt. Es wird Noldes Frühwerk ausgebreitet – fünfzig Gemälde und etwa hundert Aquarelle, Zeichnungen und Druckgrafiken aus den Jahren 1905 bis 1913 -, durchsetzt von Werken zeitgenössischer und früherer Künstler, mit denen er sich in dieser spannenden Phase der künstlerischen Selbstfindung auseinandergesetzt hat. So begegnen noch zwanzig sorgsam ausgesuchte Gemälde und fünfzig Grafiken internationaler Provenienz von van Gogh, James Ensor, Edvard Munch, Paul Klee und den Malern der Berliner Künstlergruppe 'Brücke’, der Nolde 1906/07 selbst angehörte.

12.10.2002
    Warum Nolde in Karlsruhe? Zum einen gibt es einen biografischen Bezug: der aus Nordschleswig gebürtige Bauernsohn und gelernte Holzbildhauer arbeitete hier 1888/89 in einer Möbelfabrik und besuchte, zunächst abends, die badische Kunstgewerbeschule, und obwohl er sich ein Leben als freier Künstler vorerst noch nicht leisten konnte, hat er damals die Weichen dafür gestellt. Zum anderen fügt sich Noldes Schaffen in ein Schwerpunktthema der Städtischen Galerie, die sich seit den späten achtziger Jahren in ihrem Ausstellungsprogramm immer wieder der "Natur" widmet, - nicht nur als Landschaft sondern auch unter ökologischem Aspekt und im Sinne der inneren Natur des Menschen. Hier kann Nolde zweifellos als authentischer Vertreter jener Künstler gelten, die zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ein verändertes Menschenbild gültig formulierten: weg vom primär Abbildhaften hin zu einer psychologisierenden Interpretation.

    Ursula Merkel, die Projektleiterin der Städtischen Galerie Karlsruhe, beschreibt, wie Noldes Weg der künstlerischen Selbstfindung über mehrere Stationen in der Ausstellungskonzeption nachvollzogen ist:

    Er setzt sich mit der zeitgenössischen Kunst auseinander, mit der französischen Avantgarde und beschäftigt sich auch intensivst mit der älteren Kunst. Wir haben 14 Dialogpartner ausgewählt, und es ist ein großer Schwerpunkt auf die mit Nolde zeitgenössischen Künstler gelegt worden; also von Munch sind zahlreiche Arbeiten hier zu sehen, dann von allen seinen Brücke-Kollegen, auch von unbekannteren Künstlern, schwedischen Künstlern, von denen er inspiriert worden ist und dann eben auch der Blick zurück: also er hat sich ja beeinflussen lassen etwa von Radierungen Goyas, und so versuchen wir diesen Dialog für den Besucher anschaulich und nachvollziehbar zu machen.

    Ist das gelungen? Eindeutig ja. Die Wechselbezüge erhellen nicht nur das künstlerische Spektrum der Zeit, legen Inspirationsquellen frei und lassen Einflüsse aufscheinen; sie ermöglichen auch faszinierende Vergleiche zwischen den Künstlern als Suchenden und erleichtern die abwägende Wertung. Nolde erscheint nicht nur als der Nehmende, sondern lässt auch am Beginn seiner Entwicklung schon durchaus ein eigenes Profil, besondere Qualitäten und Neigungen erkennen, die ihn, der später keine 'Schule’ im eigentlichen Sinne begründete, doch bald auch zum Gebenden werden lassen. Die Schau ist thematisch strukturiert und führt in zwölf Abteilungen Werkbeispiele vor: Zu Grotesken und Phantasien – hier finden sich u.a. Blätter aus den 'Caprichos’ und den 'Proverbios’ des bewunderten Goya, die – wie auch Böcklins Gemälde eines 'Kentaur’ – ungleich dämonischer wirken als Noldes gutmütige 'Bergriesen’ beim Dämmerschoppen oder seine liebenswert skurrilen Monster; ferner eine Auswahl von Bildnissen und Menschenbildern, die als diametrale Bezugspunkte den Dresdener Spätimpressionisten Gotthardt Kuehl und den eher Geistesverwandten Munch mit seiner holzschnitthaften Charakterisierungsweise einschließen. Hier begegnen auch Noldes oft reproduzierte, höchst expressive 'Kerzentänzerinnen'. Dann Landschaften von 1909/10, in denen er wie der befreundete Christian Rohlfs mit einer grob pointillistischen Maltechnik experimentiert oder die Leinwand mit dickem Pinselstrich regelrecht zustreicht, - Gottlob ein zeitbedingtes Intermezzo, eine offenbar vorbereitende Entwicklungsstufe, die er bei seinen Blumen- und Gartenbildern weit hinter sich gelassen hat. Mit den wogenden Blüten und Dolden, die ja als Kalendermotive populär wurden, überragt er die leblosen Rabatten und Beete seiner Kollegen bei weitem.

    Die Dame mit dem ausladenden schwarz-blauen Hut auf dem Ausstellungsplakat schließlich, könnte fast von Ernst Ludwig Kirchner stammen. Es handelt sich um einen Bildausschnitt aus Noldes berühmtem Gemälde 'Am Weintisch' von 1911, das in der Abteilung Berlin-Bilder zu sehen ist. Nolde verbrachte seit 1905 die Winter in der Metropole, deren fiebriges Nachtleben ihm Ausdruck großstädtischer Dekadenz und menschlicher Entwurzelung war, ihm aber einen schöpferisch anregenden Gegenpol zur ländlichen Abgeschiedenheit auf der Insel Alsen bot, wo er seit 1903 mit seiner Frau Ada wohnte. Seine Abendgesellschaften und Theaterszenen haben trotz ihrer intensiven, kontrastreichen Farbigkeit etwas melancholisch Stilllebenhaftes, und selbst den Tänzerinnen fehlt Kirchners Verve des Strichs, die man an einigen grandiosen Zeichnungen daneben bewundern kann.

    Ganz bei sich ist Nolde dann aber in den stürmischen 'Herbstmeeren’, denen er fast reliefartig mit ungestümem Pinsel die Form gibt, und bei seinen aquarellierten religiösen Motiven, die ihn ein Leben lang begleiten werden und für die allein er eine herausragende Stellung in der Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts einnimmt.

    Damit erübrigt sich die bange Frage, ob denn das Frühwerk des Norddeutschen überhaupt trage. In Karlsruhe ist nicht nur der spannende Auftakt zum Oeuvre eines der ganz großen deutschen Künstler zu sehen, der keiner Flankierung durch Künstlerkollegen bedurft hätte, der aber durch diese Gesellschaft den fulminanten Auftakt der modernen deutschen Kunst überhaupt zeigt, zu deren Entwicklung Emil Nolde wesentlich beigetragen hat.

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