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Nominierungsparteitag der US-Demokraten
"Biden, Harris - ein sehr gutes Aufgebot"

Joe Biden mache im Moment seine Sache sehr gut, sagte John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland, im Dlf. Sein Problem sei, dass die Wähler vor allem gegen Trump seien und nicht für ihn – auch deshalb sei die Wahl von Kamala Harris als Running Mate so wichtig.

John Kornblum im Gespräch mit Dirk Müller |
John Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Deutschland
John Kornblum findet, das Joe Biden seine Sache im Moment sehr gut mache (dpa / picture-alliance / Karlheinz Schindler)
Auf dem Parteitag der US-Demokraten wurde Joe Biden nominiert. Auch Bernie Sanders, einst sein erbitterter Gegner im Vor-Wahlkampf, rief zu seiner Unterstützung auf, natürlich auch seine Running Mate Kamala Harris und Bill Clinton und Barack Obama.
John Kornblum war viele Jahre lang amerikanischer Botschafter in Deutschland. Im Dlf beschreibt er auch, warum er findet, dass Europa sich stärker für das transatlantische Bündnis mit den USA stark machen sollte.

Dirk Müller: Herr Kornblum, ist Joe Biden auf einmal besser geworden?
John Kornblum: Nein, er ist genau das, was er immer will. Ich glaube, Sie haben meine Bewertung etwas falsch verstanden. Ich habe damals nur gesagt, dass ich gegen ihn gestimmt habe in der Vorwahl, weil ich glaubte, er hatte keine Chance. Aber er hat sich wiedergefunden und hat jetzt die Nominierung durchgekriegt. Ich finde, er macht da eine sehr gute Sache im Moment.
Müller: Sie haben damals gegen ihn gestimmt, weil er nicht der beste Kandidat war.
"Das Land steht vor einer sehr schwierigen Probe"
Kornblum: Nein. Ich hatte das Gefühl, dass sein Wahlkampf irgendwie in den Sand gelaufen war, deshalb habe ich für Bürgermeister Bloomberg gestimmt – aber ich lag falsch, das muss ich sagen, ich lag falsch.
Müller: Warum haben Sie sich geirrt, was hat er nun geschafft, was er damals nicht geschafft hat?
Kornblum: Was er getan hat, ist, dass er in kleineren Bundesstaaten – ich stimme im Bundesstaat Michigan ab, einer der größten, über zehn Millionen Einwohner –, aber er hat in den kleineren Bundesstaaten sehr viel Zuspruch gewonnen, das hat ihm dann geholfen, auch in den größeren Bundesstaaten zu punkten. Und jetzt ist er ohne Frage, Sie haben das auch gesagt, der Kandidat, auch die Parteilinken haben sich jetzt mindestens bis zum Wahltag mit ihm versöhnt. Aber ich glaube, der Hauptpunkt ist, dass die Aufgabe, die bevorsteht, wenn er Präsident wird, wirklich gewaltig sein wird. Nicht nur, dass er die demokratische Partei vereinigen muss, sondern natürlich: Die Republikaner werden äußerst, äußerst verbittert sein und werden nicht bereit sein, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das Land steht vor einer sehr schwierigen Probe.
"Biden hat eine ganz lange Geschichte als Kandidat"
Müller: Reden wir noch mal über Joe Biden. Wir haben da viele Kommentare, auch viel Kritik gehört und gelesen. Er gilt als fahrig, als unkonzentriert, der häufig auch den Faden verliert, der keinen klaren politischen Kompass zumindest formuliert hat. Ist das alles nicht mehr zutreffend?
Kornblum: Na ja, Biden hat eine ganz lange Geschichte als Kandidat. Er hat es zum ersten Mal versucht 1980, also vor 40 Jahren. Und er hatte ein bisschen den Ruf, unkonzentriert zu sein, ein bisschen desorganisiert zu sein. In letzter Zeit hat er sich aber richtig zusammengerauft und er macht jetzt eine sehr gute Figur. Und interessanterweise, seitdem er die Kamala Harris als Vizepräsidentschaftskandidatin nominiert hat, scheint er noch mehr Selbstbewusstsein zu haben und noch schärfer und direkter zu reden. Ich glaube, man soll die Mannschaft sehen, Biden, Harris, und da sieht man, dass man doch ein sehr gutes Aufgebot hat.
Kamala Harris: Eigenschaften, die eigentlich nur "Superhelden" haben
Beim Parteitag der US-Demokraten wird Kamala Harris die wichtigste Rede ihres Lebens halten. Es ist die Gelegenheit für die frühere Staatsanwältin und Justizministerin Kaliforniens, sich den Wählerinnen und Wählern richtig vorzustellen. Sie könnte als erste Vizepräsidentin ins Weiße Haus einziehen.
Müller: Wir waren bei Kamala Harris jetzt stehengeblieben, vor wenigen Tagen nominiert als Running Mate, also als Kandidatin für den Posten der Vizepräsidentin im Weißen Haus. Das ist durchweg goutiert worden von vielen. Warum hat Joe Biden so lange gebraucht, um sich dann für Kamala Harris zu entscheiden?
Kornblum: Er wollte natürlich sehr vorsichtig sein, er wollte auch allen Kandidaten die Gelegenheit geben, sich vorzustellen. Aber meine persönliche Meinung ist, dass er das mit Absicht gemacht hat, um auch sich für die Presse, für die Öffentlichkeit interessant zu machen. Das Problem, das Biden oder alle Kandidaten momentan haben, da man nicht reisen kann, da man nicht vor großen Versammlungen reden kann, ist, wie hält man das Interesse warm für seine Kandidatur. Ich glaube, er hat die Wahl der Partnerin in diesem Fall ein bisschen rausgezögert, um sich für die Presse interessant zu machen.
Müller: Jetzt haben wir schon über die Kritik und die Zweifel an Joe Biden geredet. Jetzt stehen alle Demokraten hinter ihrem Kandidaten, das ist ja immer so nach dem Nominierungsparteitag, das gehört sich so, in Anführungszeichen, ja auch für Parteimitglieder, Sie sind ja auch engagierter Demokrat.
Kornblum: Nein, bin ich eigentlich nicht. Als Diplomat war es mir sehr wichtig, dass ich parteilos war. Und ich versuche immer noch, parteilos zu sein.
Müller: Aber Sie haben das ja immer offen bekannt.
Kornblum: Im Moment bin ich natürlich stark gegen Trump, das ist keine Frage.
"Er muss doch ein bisschen Engagement für sich selbst bringen"
Müller: Ist das das entscheidende Motiv? Trump muss, egal, wer kommt?
Kornblum: Das ist das Problem für Biden im Moment: Wenn man die Umfragen anschaut, er hat sehr gute Werte ohne Frage, aber wenn man den Wähler fragt, sind Sie für Biden oder gegen Trump, dann sagt eine ziemlich große Mehrheit, nein, wir sind gegen Trump. Biden hat das Problem, er muss doch ein bisschen Engagement für sich selbst bringen, deshalb ist Frau Harris wichtig. Sie ist neu, sie ist frisch, sie ist sehr außergewöhnlich. Sie ist halb Afroamerikanerin und halb Inderin, aus Indien. Und sie ist wirklich neu und frisch, und ich glaube, das wird seine Kandidatur auch ein bisschen auffrischen. Aber das ist im Endeffekt sein Problem, er muss noch ein bisschen Begeisterung für sich entwickeln, das hat er noch nicht machen können.
Müller: Das sagen Sie jetzt analytisch, also mit Blick auf die Entwicklung, dass er nach wie vor dieses Problem hat, oder empfinden Sie das auch so?
US-Wahl 2020
Alle Beiträge zur Präsidentschaftswahl in den USA (dpa/Daniel Bockwoldt)
Kornblum: Nein, ich finde auch, er könnte ein bisschen mehr Begeisterung wecken, aber ich bin eher analytisch hier. Man sieht das in den Umfragen, die man natürlich jetzt alle 20 Minuten im Fernsehen hier sieht. Und das ist eine seiner Schwächen, dass die Menschen, die ihn unterstützen, sind eher gegen Trump als für Biden.
Müller: Wir haben gestern auch versucht, aktuelle Umfragen noch mal im Netz zu finden, da ist uns aufgefallen, dass es doch wieder auch einen Trend zugunsten zu Donald Trump gibt. Wir hatten ja mal zehn, zwölf Prozentpunkte als Differenz, das ist ja schon ein Pfund gewesen, aber es geht offenbar wieder enger zusammen, das heißt, die Diskrepanz zwischen den beiden in den Umfragewerten nähert sich wieder an. Ist dem so?
Kornblum: Das kommt darauf an, welche Umfrage man schaut. Es gibt einige Umfragen, die das sagen, es gibt andere, die das nicht sagen. Ich würde sagen, im Moment sind die Umfragen nicht so wichtig, weil das wirklich zu früh ist. Wichtig ist, wie Trump sich verhält. Und die andere, wenn Sie wollen, wichtige Entwicklung in letzter Zeit ist, dass Trump sich klar unter Druck fühlt, er verhält sich ein bisschen desorganisiert, redet wirklich unklar über die Ziele, auch über die Politik. Man kann sehen, dass er selber Bedenken hat, dass er selber Angst hat, dass er verlieren könnte.
Corona: "USA eines der schlechtesten Beispiele"
Müller: Wenn Joe Biden nicht so stark ist, wie sich das viele erhoffen, Sie haben das gerade beschrieben, ist es dann so, dass Donald Trump sich im Grunde nur selbst schlagen kann?
Kornblum: Ja, würde ich meinen. Die interessante Frage ist, wie würde Trump jetzt stehen, wenn es das Coronavirus nicht gegeben hätte. Und ganz ohne Frage würde er viel stärker dastehen und würde er vielleicht sogar eine gute Chance haben, zu gewinnen. Das Problem ist, dass seine Reaktion, seine Politik dem Virus gegenüber ist ja so schwach und zerstreut gewesen, dass die USA wirklich peinlich alleine stehen als eines der schlechtesten Beispiele bei der Behandlung des Problems. Und das, glaube ich, ist für ihn der Knackpunkt. Und das sieht er, aber er scheint irgendwie nicht in der Lage zu sein, das zu korrigieren.
Schalter im Büro des New York State Department of Labor|
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Müller: Es ist die ausschließliche Verantwortung des Präsidenten gewesen?
Kornblum: Ist es nicht gewesen, das ist ja genau der Punkt. Das ist ja sehr kompliziert, aber er hat allen den Eindruck gegeben, dass er Schuld hat. Er fing an zum Beispiel zuerst zu sagen, das Virus sei überhaupt kein Problem, es sei nur eine etwas stärkere Grippe. Dann hat er gesagt, okay, es ist vielleicht mehr als eine Grippe, aber es ist nachgewiesen, wenn das warme Wetter kommt, dann wird es verschwinden. Nein, es ist nicht verschwunden. Dann hat er gesagt, das sind Kinder, die sind total immun, das ist kein Problem für die Kinder – das ist jetzt auch nicht der Fall. Das heißt, er hat keine rote Linie gefunden, er hat keine Leitlinie für seine Politik gefunden. Und nicht nur bei den Demokraten, sondern auch bei den Republikanern gibt es das Gefühl, dass er das irgendwie nicht gemeistert hat.
"Joe Biden hat viele Freunde überall in Europa"
Müller: Reden wir noch einmal zum Schluss über Joe Biden. Er ist heute vor wenigen Stunden offiziell nominiert worden in den Vereinigten Staaten. Aus Sicht des Westens, aus Sicht Europas, aus Sicht Deutschland: Das angespannte Verhältnis zwischen Europa und den USA, ist das für Sie ausgemachte Sache, dass das wieder besser wird, wenn Joe Biden das Amt übernehmen würde?
Kornblum: Ja, das wird auf jeden Fall besser werden. Biden ist ohnehin, er war 20 Jahre lang Außenpolitiker im Senat, er hat viele Freunde überall in Europa und er hält sehr viel von Europa. Er hält sehr viel auch, wenn Sie wollen, von der wertbezogenen, organisierten Außenpolitik, wie wir das alle kennen. Das Problem ist, dass die Welt sich natürlich sehr schnell geändert hat. Und dass die Ziele und auch die Methoden, die man, sagen wir, auch vor sechs Jahren benutzt hat, als Biden Vizepräsident war, sind nicht mehr so akkurat und man muss ein neues Fundament für die Außenpolitik finden. Das gibt es im Moment nicht, und ich plädiere immer bei meinen europäischen Freunden, das ist jetzt die Chance, wo Europa auch bei Amerika vorstellig sein könnte und sagen: Hier sind die Prinzipien, die, wie wir meinen, für eine gemeinsame Außenpolitik gut sein würden. Aber stattdessen redet man jetzt, viel zu viele sagen, die Amerikaner haben uns im Stich gelassen, dann sollen wir eben nach China oder so schauen. Ich würde sagen, wir wurden, wir jetzt, Atlantiker wie ich, haben das Gefühl, dass wir im Stich gelassen worden sind. Wir brauchen richtig starke Partner, die auch für Trump oder Biden klarstellen, dass diese atlantische Welt sehr wichtig ist. Das wird die neue Aufgabe für Europa sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.