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Nooke: Gysi war Teil der Verschleierung

Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, hat den Fraktionschef der Linkspartei, Gregor Gysi, wegen dessen mutmaßlicher Stasi-Vergangenheit kritisiert. Nooke sagte, Gysi habe sich auf der Seite der Diktatur befunden und sich auch nie für eine Öffnung eingesetzt. Insgesamt agiere die Führung der Linkspartei unglaubwürdig bei der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit, bemängelte der ehemalige DDR-Bürgerrechtler.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Wie glaubwürdig ist eine Partei mit einer Führungsfigur, deren Vergangenheit nicht hinreichend aufgeklärt ist? Darüber wird seit dem Wochenende mit Blick auf die Stasi-Verbindungen von Gregor Gysi erneut diskutiert und darüber hat auch der Bundestag gestern in einer aktuellen Stunde gesprochen. Am Telefon sind wir jetzt verbunden mit Günter Nooke, ehemals DDR-Bürgerrechtler, heute CDU-Politiker und Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Ich grüße Sie Herr Nooke!

    Günter Nooke: Schönen guten Morgen Frau Klein!

    Klein: Florian Havemann, der Sohn des Regime-Kritikers Robert Havemann, sagt, ob Gysi IM war kann er nicht beurteilen. Er kann aber sagen, dass der im Sinne des Vaters gehandelt hat. Die Vorwürfe gegen Gysi jetzt seien politisch begründet und im Erstarken der Linken zu suchen. Herr Nooke, haben die Parteien ein Vehikel gefunden, um die Linke jetzt zu diskreditieren?

    Nooke: Wenn das so wäre, wäre das nicht gut und auch auf jeden Fall unzureichend, denn das muss man schon auseinanderhalten, die Erfolge der Linkspartei und die politische Auseinandersetzung mit dem, was sie dort populistisch behauptet, was nicht funktioniert - das gehört ins Parlament, in eine ganz normale politische Debatte - und die Glaubwürdigkeit ihrer Führungsfiguren. Ich glaube, dass es also nicht darum geht, diese Debatte miteinander zu vermischen, wie Gysi das ja gestern im Parlament hat versucht hat zu tun, sondern klar auseinanderzuhalten: Wo geht es um die Stasi-Vergangenheit von Gregor Gysi und wo geht es um politische Positionen der Linkspartei, die wie immer auch die Personen sind dann glaubwürdig oder nicht glaubwürdig vertreten werden.

    Klein: Die Vorwürfe sind ja teilweise überhaupt nicht neu. Weshalb ist es nach Ihrer Einschätzung nicht möglich, die Wahrheit zu ergründen?

    Nooke: Es ist natürlich nicht ganz einfach, in einem Rechtsstaat, vor allem in einem solch ausgefeilten und guten funktionierenden Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland eine Diktatur wie die der SED-Diktatur in der DDR aufzuarbeiten. Wir können mit den juristischen Mitteln, die wir heute haben, die ja doch im Zweifel immer für den Angeklagten sind, bei einem politischen System, das ja darauf angelegt war, das eigene Recht so zu manipulieren, dass man hinterher nicht angreifbar ist beziehungsweise überhaupt nicht schriftlich nachvollziehbar Dinge zu dokumentieren sind, vielleicht wirklich nicht alles so wasserfest vor Gericht machen wie man das gerne möchte. Das ändert aber nichts daran, dass auch Indizien eindeutig sein können, dass die Aktenlage eindeutig sein kann und dass es natürlich auch in den politischen Zusammenhängen eindeutige Aussagen gibt. Und hier muss man ganz klar sagen ist Gysi natürlich jemand, der Teil der Verschleierung ist, Teil derjenigen, die immer wieder mit Lügen so lange in der Öffentlichkeit präsent sind, bis es nicht mehr anders geht, und natürlich für mich auch völlig unglaubwürdig.

    Klein: Aber wenn es tatsächlich Lügen sind, wie Sie und andere sagen, weshalb ist es eigentlich so schwierig, die zu entkräften?

    Nooke: Ich glaube, dass zum Beispiel die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen sich eindeutig geäußert hat. Das ist auch ihre Pflicht zu sagen, die Aktenlage ist eindeutig, für mich ist Gysi hier in dem, was dokumentiert ist, der inoffizielle Mitarbeiter, der das weitergegeben hat. Die Frage ist ja auch: Müssen wir überhaupt die DDR-Geschichte vor Gerichten heute aufarbeiten, oder wäre es nicht für die politische Kultur viel zuträglicher, wenn wir die offene, ehrliche politische Debatte führen? Ich finde, dass es nicht in Ordnung ist, dass wir im Grunde erwarten, dass Richter die politische Auseinandersetzung nach ganz klar vorgegebenen Regeln in einem Rechtsstaat führen, sondern dass wir schon die Möglichkeit haben und Menschen mit Akten konfrontieren und dazu auch Stellung genommen wird. Nun haben wir allerdings in den letzten 18 Jahren immer wieder erlebt - ich war ja zum Beispiel in Brandenburg im Untersuchungsausschuss für den damaligen Ministerpräsidenten und späteren Bundesminister Manfred Stolpe -, schon Anfang der 90er Jahre erlebt, wie alles abgestritten wurde so lange es irgendwie ging, bis die Fakten eben nicht mehr zu leugnen waren. An diesem Teil hat sich natürlich auch immer das Personal der Linkspartei - Herr Bisky war damals Ausschussvorsitzender - beteiligt und ich finde, dass das viel zu wenig in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, wie unglaubwürdig eigentlich diese Partei mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte in einem System Verantwortung trägt.

    Klein: Wenn Sie sagen, es gibt Defizite in der politischen Aufarbeitung, die nicht nur vor den Gerichten stattfinden könne, was und wo genau vermissen Sie etwas?

    Nooke: Ich glaube, dass es zum Beispiel schon nicht sein kann, dass Herr Gysi sagt "ich war so souverän und konnte mit dem Zentralkomitee reden". Wenn man die Diktatur ernst nimmt, dann war er entweder, wenn er mit dem Zentralkomitee und dem Politbüro redete, also dem Führungsgremium in der DDR, verantwortlich für die ganze Diktatur und damit für jeden, der in der Staatssicherheit arbeitete, ob inoffiziell oder nicht offiziell, oder er lügt einfach, weil natürlich in solch einer Diktatur jeder ein Rädchen war, der seine Rolle zu spielen hatte. Der eine hatte etwas mehr Freiraum und konnte etwas freier reden, weil er so dem System mehr genutzt hat, es auf diese Art und Weise mehr stabilisiert hat, während andere eben wirklich nur zu funktionieren hatten. Und dass solch ein Mensch wie Gysi nun nicht ein ganz nur dumm funktionierendes Rädchen im Getriebe war, sondern da auch eigene Dinge machen konnte, gerade auch wenn er zum Beispiel der Rechtsanwaltskammer in Berlin vorstand, das ist natürlich völlig klar. Aber er war im Grunde dann doch jemand, der sich auf Seiten der Diktatur befand und nicht für eine Öffnung dieser Diktatur gekämpft hat. Ich kenne keine Akten dazu, die vor 1989 das belegen werden. Von daher ist Gysi für mich seit 18 Jahren unglaubwürdig.

    Klein: Herr Nooke, muss man begünstigend eventuell einräumen, dass bestimmte Tätigkeiten auch im Interesse der Mandanten, auch im Interesse von Oppositionellen ohne Stasi-Kontakte nicht möglich, nicht denkbar gewesen sind in den Bedingungen, die wir damals hatten, was man im Nachhinein dann so oder so interpretieren kann?

    Nooke: Ich habe zum Beispiel nie bestritten, dass man Stasi-Beamte in seinem Dienstzimmer empfangen musste. Wenn die plötzlich vor der Tür standen, konnte man nicht sagen, sie dürfen nicht rein kommen. Das galt zum Beispiel auch für einen Konsistorialpräsidenten in der Kirche oder für Rechtsanwälte oder andere Personen. Die Frage ist immer: Hat man sich in konspirativen Wohnungen getroffen? Hat man konspirativ verdeckt mit denen zusammengearbeitet, so dass im Grunde durch die Geheimhaltung man die Seiten gewechselt hat? Denn da wo es um konspirative Zusammenarbeit geht, gibt es nur noch die eine Seite, nämlich die der Diktatur, die den Gesamtüberblick hat. Wenn man die Kontakte zur Staatssicherheit haben musste und sie transparent gemacht hat, waren sie natürlich kein Problem, allerdings auch nicht vermeidbar. Man kann natürlich genauso umgekehrt auch fragen: Ist es so viel besser, wenn man Dinge, die einem vertraulich gesagt werden, direkt dem Zentralkomitee der Partei oder den Politbüromitgliedern anträgt? Das ist wahrscheinlich auch nicht im Interesse der Mandanten oder zumindest sagen wir mal nicht von allen, mit denen man geredet hat, dass man private und andere Dinge dort ausplaudert, denn man muss immer sehen: Die Informationen flossen nur an einer einzigen Stelle, dem MfS oder am Ende auch dem Politbüro zusammen und da konnten die politischen Zersetzungsstrategien gemacht werden, die dann diese Menschen kaputt gespielt haben. Und jetzt dort auf Mitleid zu setzen und selbst zu sagen, ich werde hier kaputt gespielt, das ist überhaupt nicht fair. Man erwartet von Gregor Gysi und allen, die inoffiziell mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, einfach nur, dass sie ehrlich zu ihrer Geschichte stehen.

    Klein: Manche fordern jetzt den Rücktritt von Gregor Gysi, Herr Nooke. Oskar Lafontaine seinerseits fordert den Rücktritt von Marianne Birthler. Muss die Kanzlerin wie Lafontaine fordert die Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde zurückziehen?

    Nooke: Keineswegs! Sie hat ja geradezu die Aufgabe, diese Akten öffentlich zu machen und wenn dort Anfragen bestehen das so darzustellen, wie es halt aussieht. Wenn die Aktenlage eindeutig ist, dann kann sie auch nicht sagen, ich finde aber Gregor Gysi ist ein netter Mensch. Frau Birthler ist da nun wirklich überhaupt kein Vorwurf zu machen. Man könnte sogar die Frage stellen: Warum kommen die Akten jetzt erst raus? Sind die nicht schon länger bekannt? Das weiß ich nicht genau, was noch dahinter steht. Ich finde man sollte sich einfach bewusst machen, dass Gregor Gysi einfach in dieser Republik eine Rolle spielt. Wenn Sie sehen, dass er auch 22mal bei Sabine Christiansen war und dass er schon in den Debatten um Manfred Stolpe auch immer wieder in Talkshows Anfang der 90er Jahre gesessen hat, dann haben natürlich hier die Täter oder die Mittäter des Systems SED-Diktatur in der DDR eine Breite der öffentlichen Darstellung gehabt, dass man sich manchmal auch nicht wundern muss, dass einiges im Bewusstsein der Bevölkerung gerade auch in Westdeutschland durcheinander kommt, wenn die Opfergeschichten natürlich nicht so interessant sind, auch vielleicht nicht so eloquent vorgetragen werden und sie einen winzigen Bruchteil nur der Zeit in den Medien zur Verfügung haben im Vergleich zu der Zeit, wo sich Täter darstellen können.

    Klein: Aber mehr Sendezeit für Opfer des SED-Regimes, das ist vermutlich so wie Sie sich das wünschen nicht durchsetzbar oder?

    Nooke: Das ist ja in einer Gesellschaft eine freie Entscheidung der Medien. Ich glaube, dass auch in der Bevölkerung durchaus ein Interesse besteht zu verstehen, wie eine Diktatur in Deutschland nach 1945 funktioniert hat. Auch Opfergeschichten können durchaus uns interessieren und sie sind natürlich für die Demokratiebildung, für die Menschenrechtsbildung in der Gesellschaft sehr viel wichtiger. Denn wenn plötzlich dargestellt wird, man musste mit der Diktatur zusammenarbeiten, man musste mitlaufen, es gab gar keine andere Möglichkeit, was ist denn das anderes als letztlich das Gutreden einer Diktatur. Wenn es darum geht, Grundrechte und Menschenrechte im Bewusstsein der Menschen, aber dann auch im Verhalten der Menschen zu verankern, dann kann es doch nur darum gehen, dass man zeigt, wie man sich auch einer Diktatur gegenüber anders verhalten konnte, nicht mitlaufen musste, vielleicht auch nicht in jedem Falle gleich eingesperrt wurde, sondern die Freiräume die man hatte genutzt hat, aber wie, wenn man dann eben die Systemfrage, die Machtfrage in der DDR gestellt hat, das System erbarmungslos zuschlug und die Leute eingesperrt hat. Einige wichtige wollte man los werden; die hat man in den Westen abgeschoben. All das kann ja dazu beitragen, auch die Freiheit und die Demokratie, die wir heute genießen, auch den Rechtsstaat, den Gysi hier durchaus zurecht für sich in Anspruch nimmt, wertschätzen zu lernen und aufs Neue zu verstehen, wie wichtig uns das ist und wie viel wert es auch ist, gegenüber anderen Staaten in der Welt zum Beispiel zu verteidigen.

    Klein: Herzlichen Dank! - Das war Günter Nooke, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, heute CDU-Politiker und Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Nooke!