Nora Bossong hat den Wahlabend in Paris erlebt und zeigt sich nicht nur erschreckt über das Ergebnis der Europawahlen in Frankreich, sondern auch in Italien: Dort habe die Hälfte der Wähler in einem "weit rechten Radius" gewählt. Das habe ihr noch einmal "den Boden unter den Füßen weggezogen". Dagegen sei Frankreich im "Verhältnis zu verkraften" gewesen. Für viele Wählerinnen und Wähler vor allem in Deutschland war das Klima ein wichtiges Thema. Auch für Bossong eine "drängende Frage", und das durchaus schon seit Längerem. Auch sie habe in ihrer Jugend versucht, sich für Greenpeace zu engagieren. Und als sie damit noch nicht einmal ihren Vater überzeugen konnte, habe sie damit aufgegeben. Sie glaube, dass "diese Erzählung jetzt endlich das Gehör bekommt, (die) sie verdient hat". Obwohl ihr Blick auf den europäischen Kontinent bekannterweise durchaus pessimistisch sei, stimme sie das Engagement der jungen Leute optimistisch, die es geschafft hätten, mit ihrem Anliegen für das Klima "gesehen" und "gehört zu werden". Ein vergleichbares Engagement habe in Europa lange gefehlt - sowohl in ihrer Generation, als auch in der 1970er-Jahre-Generation, die in einem "sehr bequemen Wohlfühl-Wohlstand aufgewachsen" seien.
Nachdenken über ein Europa der Regionen
Auf die Frage, ob man in Europa auf eine Erzählung stoße, die auf Angst basiere, sagte Bossong: "Wenn man Angst zu grell macht und zu laut macht, ist sie ein populistisches Instrument, mit denen man Leute ganz gut lenken kann." Vielmehr solle man mit Begriffen wie "Verantwortungsgefühl" arbeiten, vielleicht auch von "Beunruhigung" sprechen. Angst sei wie das von den Grünen nach den Wahlen zitierte Kaninchen, das sie nicht sein wollen: Das Kaninchen, das vor der Schlange erstarrt. Während es bei Hans Magnus Enzensberger bei seinem stöhnenden Ausruf "Ach Europa!" vor allem um die Frage gegangen sei, wie der Kontinent zusammenwachse, könnten wir heute zwar immer noch über ein "Europa der Regionen" nachdenken, allerdings "sehen wir mit dem Erstarken der Lega Nord, dass genau diese Regionen und der Regionalismus durchaus auch in eine "abgrenzende und nicht vereinigende Richtung kippen" könnten. Man könne häufiger beobachten, wie "bestimmte linke Gedanken von Rechten übernommen" würden von Rechten, Rechtsextremen "für ihre eigenen, nicht vereinigenden Ideen". In diesem Sinne habe das Europa der Regionen gerade sehr viel Erfolg, allerdings keinen, der Bossong besonders behage. Insgesamt fehle der europäischen Kulturpolitik der "Blick auf ganz Europa": Buch- und Lesermarkt seien nur wenig miteinander über die Länder hinweg verbunden.