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"Nora, Hedda und ihre Schwestern" am Staatstheater Karlsruhe
Ibsens Frauen im Ehekäfig

Ein Führungsteam aus Frauen, nur Regisseurinnen in dieser Spielzeit. Und nun hat sich die neue Schauspielchefin am Staatstheater Karlsruhe, Anna Bergmann, den Frauen in Henrik Ibsens Stücken gewidmet. Hedda, Nora und Ellida stecken in Ehekrisen - doch seit dem 19. Jahrhundert hat sich viel verändert.

Von Cornelie Ueding |
    Anna Gesa-Raija Lappe & Ensemble in Henrik Ibsens "Nora, Hedda und ihre Schwestern" in einer Bearbeitung von Ulrike Syha am Staatstheater Karlsruhe.
    Anna Gesa-Raija Lappe und Ensemble in Henrik Ibsens "Nora, Hedda und ihre Schwestern" am Staatstheater Karlsruhe (Badisches Staatstheater Karlsruhe / Sebastian Pircher)
    Nichts gegen die Idee, die Einzelschicksale dreier Ehefrauen des 19. Jahrhunderts als Serien-Viten ins 20. Jahrhundert weiterzudenken. Das kann aber nur funktionieren, wenn man die Zeitbedingtheit der Ehefrage mitreflektiert und sich nicht damit begnügt, sie durch drastische Simplifizierung zu "aktualisieren" beziehungsweise durch Synchronleiden zu vervielfachen.
    Das Bemühen aller Beteiligten, etwas Besonderes auf die Bühne zu stellen, ist spürbar. Aber Ulrike Syha musste, wie sie im Programmheft-Interview erklärt, für dieses Projekt "den Stoff komprimieren, manchmal gar skelettieren" - und so sind in ihren Ibsen-Adaptionen aus psychologischen Schattierungen grobe Holzschnitte geworden, aus subtiler Ambivalenz plattes Bekenntnis. Die Lektion des Abends: Bearbeitungen tradierter Theatertexte sind ein ebenso legitimes wie gefährliches Unterfangen. Die Regisseurin Anna Bergmanns lässt die Figuren wechselweise Amok laufen, bebend zusammenbrechen, aufeinander eindreschen oder sich anbrüllen. Und addiert Dialogfragmente und Szenenschnipsel:
    "Wer war der Mann." - "Ein gewisser Christian Krokstad." - "Er war's also tatsächlich. Wie er sich verändert hat." - "Ja, er war wohl unglücklich verheiratet." - "Aber es heißt auch, er betreibe so mancherlei Art Geschäfte." - "Na, lass uns nicht von Geschäften reden."
    Nach gut drei Stunden zu erkennen, dass jeder Ehe ein Vertrag zugrunde liegt, dass Ökonomisches keine geringe Rolle spielt, im Krisenfall der Scheidung womöglich sogar ein gesellschaftlicher Skandal droht, ist - Pardon - nicht nur einfach zu wenig. Es taugt 2018 auch nicht mehr als Erkenntnis. So weit war man mit Alice Schwarzer bereits in den 70ern.
    Drei ineinander gewobene Geschichten
    Zugegeben, die Schauspieler leisten singend, tänzelnd, gestikulierend, bald auf lasziv, bald auf naiv machend Beachtliches. Und der anmutige Synchron-, Simultan- und Seriencharakter der drei Ehekrisenstücke, die breitflächige, die Bühne auffächernde Choreographie erzeugt bisweilen aparte Effekte. Man kann gleichsam drei ineinander gewobene Geschichten zugleich verfolgen und erhält die Chance, bei aller Verschiedenheit der Einzelfälle die Parallelmomente mitzuerleben.
    Das Bühnenbild von Henrik Ibsens "Nora, Hedda und ihre Schwestern" in einer Bearbeitung von Ulrike Syha am Staatstheater Karlsruhe.
    Das Bühnenbild von "Nora, Hedda und ihre Schwestern" in Karlsruhe (Badisches Staatstheater Karlsruhe / Felix Gruenschloss)
    Das Personal aus drei Stücken turnt in diesem Labyrinth auf zwei Ebenen, was zu interessanten Begegnungen und jeder Menge neuer unerwarteter Konstellationen führt: Ein paar Schritte nach rechts - und schon schlidert Nora ins Revier der Hedda Gabler. Ein paar Stufen nach oben - und die Frau vom Meer strandet im Kinderzimmer von Noras Nachwuchs. Mitten in diesem rasenden Reigen und mal hier mal dort: Das süße "Eichhörnchen" Nora im wippenden Petticoat, die demonstrativ ebenso dominante wie desinteressierte Hedda; und undurchschaubar, mysteriös herumgeisternd Ellida, halb Meerjungfrau, halb blasierte Kindfrau, die ein Eheleben lang einer heimlichen Amoure hinterherträumt.
    Am Ende hilft nur die Knarre
    Alle drei agieren in den miteinander vernetzen Modulen der Ehekiste und werden vom Schicksal und vom Zufall so wild durcheinandergeschüttelt, dass kein Stein der bis dahin gesichert geglaubten Existenz auf dem anderen bleibt. Am Ende baut sich ein solches Gemenge aus Demütigungen, Frustrationen, Auf- und Ausbrüchen auf, dass nur mehr die Knarre helfen kann, mit der Hedda fast das ganze Spiel über mehr oder weniger motiviert herumfuchtelt: Hedda erschießt sich und sinkt blutüberströmt in den Pool. Und selbst die sanfte Nora schießt nun mehrfach auf den Gatten, der verhindert hat, dass sie je ihr eigenes Leben führen konnte. Nur dass der emanzipatorische Rettungsschuss nicht gerade das erhoffte "Sterben in Schönheit" ist.
    Das Fazit der dreifachen "Nora" 2018: Es hat sich eine ganze Menge getan seit Ibsens Zeiten - vor allem was die Männer betrifft, die eigentlich nur mehr als wimmernde Grobiane in Turnhöschen, als eitle Billigmachos oder verquälte Pseudoromantiker auf der Bühne herumgeistern. Im Gegensatz zu ihren Frauen, die sie je nach Gemütslage kalt lächelnd oder bluttriefend förmlich an sich abgleiten lassen. Die Worte klappern, sie sind verbraucht. Nur im Singen wird eine neue Stimme erprobt, bisweilen schräg, melancholisch, kraftvoll.
    Schade, dass durch dieses Arsenal vergröbernder Techniken kein Interesse an den Einzelschicksalen aufkommen kann und - so ist zu fürchten - aufkommen soll. Aus Serienwesen werden keine Individuen. Und aus drei Stücken auf einmal - wird nicht mal eines.