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Norbert Blüm zur Wahl des CDU-Vorsitzes
"Meine Leitkultur ist eine europäische"

Es sei nichts Unanständiges, wenn sich Spitzenpolitiker für einen Kandidaten vor der Wahl zum CDU-Vorsitz positionierten, sagte der ehemalige CDU-Landesvorsitzende in NRW, Norbert Blüm, im Dlf. Er sprach sich für Annegret Kramp-Karrenbauer aus. An Friedrich Merz kritisierte er dessen Auffassung einer nationalen Leitkultur.

Norbert Blüm im Gespräch mit Silvia Engels |
    Norbert Blüm (CDU), ehemaliger Bundesarbeitsminister
    "Es gibt wie in allen Landesverbänden Merz-Anhänger und AKK-Anhänger", sagte Nobert Blüm (CDU) im Dlf. (imago / STAR-MEDIA)
    Silvia Engels: Am Telefon ist Norbert Blüm, langjähriger Arbeitsminister im Kabinett Helmut Kohl. Von 1987 bis 1999 war er aber auch CDU-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Herr Blüm!
    Norbert Blüm: Ich grüße Sie! – Guten Tag, Frau Engels!
    Engels: Ist es gut, dass sich jetzt doch so viele CDU-Spitzenpolitiker wie Wolfgang Schäuble oder Peter Altmaier in der Kandidatenfrage so klar positionieren?
    Blüm: Ja, das finde ich richtig. Was heißt Spitzenpolitiker? Jedes Mitglied hat ein Recht, seine Position klar zu machen, und mir sind Leute, die mit offenem Visier kämpfen, lieber wie Strippenzieher. Mein Vorwurf an Schäuble war lange Zeit, dass er offenbar hinter den Kulissen da herumgefuhrwerkt hat, Strippen gezogen hat. Also der Schäuble hat ein Recht, offen seine Meinung zu sagen. Ich nehme mir das Recht auch. Jedermann!
    Engels: Ist es aber nicht doch eine Beeinflussung der Delegierten in Hamburg, wenn Spitzenpolitiker, die ja oft auch landespolitisch viel Gewicht haben, sich so stark einbringen?
    Blüm: Nein. Das wäre ein autoritäres Verständnis, als hätten die Spitzenpolitiker so ein Privileg der Meinungsbildung. Die sind einer unter vielen und auch ein Spitzenpolitiker hat nur eine Stimme. Das finde ich sogar seine Pflicht, an der Diskussion teilzunehmen, klar zu sagen, wen er will. Warum diese Herumeierei? Das ist doch nichts Unanständiges, wenn man für einen Kandidaten ist. Ich bin für AKK und das sage ich laut und deutlich.
    "Zu dem System Merkel gehört auch Schäuble"
    Engels: Da kommen wir gleich noch drauf. – Eben haben Sie schon Wolfgang Schäuble angesprochen und haben es verteidigt, dass er sich nun klar positioniert. Viele Beobachter sagen aber auch: Wie er sich positioniert hat, das sei schon heftig gewesen. Die haben das als Angriff auf Bundeskanzlerin Merkel und ihren Kurs der Mitte gelesen. Sie auch?
    Blüm: Ich fand, nicht dass er jetzt für Merz ist, ist ein Angriff. Aber es gibt schon so einen raunenden Schäuble. Was ich nicht sehr geschätzt habe, so Formulierungen: Jedes menschliche System hat ein Ende. Das war eine verschlüsselte Ankündigung an das Ende von Merkel. Das war so hinten herum formuliert – habe ich nicht gern. Und was heißt übrigens jedes menschliche System? Zu dem System Merkel gehört auch Schäuble. Da gehören alle zu. Ich habe nicht gehört, dass auf einem Parteitag große Aufstände gegen die Frau Merkel stattgefunden haben. Alles was sie gemacht hat, hat Mehrheiten – im Präsidium, im Parteitag. Die sollen jetzt nicht so machen, als hätten sie mit der merkelschen Politik nichts zu tun.
    "Wollen wir vorwärts nach Europa, oder wollen wir zurück in den Nationalismus"
    Engels: Wolfgang Schäuble hat in diesem Interview mit der "FAZ" nicht gesagt, dass Merz der beste Parteichef wäre. Er hat sogar gesagt, Merz sei die beste Wahl für Deutschland. Ist das ein Fingerzeig, dass Merz auch nach dem Kanzleramt greifen sollte?
    Blüm: Ja, wahrscheinlich schon. Aber ich bin ganz anderer Meinung. Ich glaube, dass die Schlachten gar nicht geschlagen werden – ich will nicht so militärisch reden -, die Entscheidungen gar nicht nur so auf der Ebene Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik, Finanzpolitik, wo der Merz ein ganz großer ist. Die werden geschlagen, das ist die Entscheidung, die diese Generation treffen muss: Wollen wir vorwärts nach Europa, oder wollen wir zurück in den Nationalismus. Und da gibt für mich die Frau Kramp-Karrenbauer klare Antworten. Die merzsche Leitkultur in allen Ehren – meine Leitkultur ist eine europäische. Alle, die zu dieser Kultur beigetragen haben aus Deutschland, waren keine Nationalisten, weder der Goethe – der war in Italien -, der Heine war sowohl in Paris wie hier, der Shakespeare gehört auch zu uns, der Schiller hat Dramen geschrieben, Maria Stuart und Don Carlos, die gar nichts mit Deutschland zu tun haben. Leitkultur als ein enger nationaler Begriff halte ich für verstaubt und im Museum.
    Engels: Friedrich Merz halten Sie für nicht so gut geeignet, lese ich daraus, gerade was auch die europapolitische Linie angeht.
    Blüm: Er ist ein Europäer. Ich würde ihn auch nicht als Nationalist bezeichnen. Aber diese Verengung auf eine nationale Leitkultur, die passt mir nicht. Übrigens der alte Adenauer hat nie so gedacht. Der alte Adenauer hat immer europäisch gedacht.
    "Alle großen Fragen können national nicht mehr gelöst werden"
    Engels: Das heißt aber, Sie erwarten schon, sollte es einen Parteichef Merz geben, eine deutliche Kursverschiebung der CDU, mehr hin zu nationalen Themen?
    Blüm: Ich höre dauernd, dass wir das Problem hätten, die AfD zu integrieren. Da höre ich immer so im Hinterkopf, wir müssen ihr hinterherlaufen oder wir müssten da Leute zurückholen, indem wir ein bisschen uns der AfD anpassen. Meine Lösung, die ich vorschlage, ist harte Konfrontation, und zwar nicht mit Tricks, Geschäftsordnungstricks. Harte argumentative Auseinandersetzung: Wollt ihr zurück in den alten Nationalstaat? Wollt ihr wieder Grenzen haben? Wollt ihr wieder euch zurückziehen in den nationalen Schrebergarten? Welches der großen Probleme dieser Erde kann national gelöst werden? Weder die Klimafrage, noch die Finanzfragen, noch der Terrorismus. Alle großen Fragen können national nicht mehr gelöst werden.
    Engels: Herr Blüm, Sie haben eben deutlich gesagt, dass von dem CDU-Parteitag und der Vorsitzenden-Wahl schon eine Art Weichenstellung für die CDU für die Zukunft ausgeht. Was passiert am Tag danach? Ist die Gefahr nicht groß, dass sich die Lagerbildung in der CDU auch über den Wahltag hinaus verschärft?
    Blüm: Nein. Es wird einer gewählt, und die Politik der CDU wird ja nicht nur vom Vorsitzenden bestimmt. Es gibt hoffentlich auch eine Diskussion: Wer auch immer gewählt wird, es wird eine argumentative Auseinandersetzung zu führen sein. Das wünsche ich jeder Partei, dass sie nicht einfach einschläft und alte Kamellen wiederholt, wir wollen ein neues Grundsatzprogramm in der CDU. Da wird man noch mal nachfragen müssen, was die CDU ist. Was bedeutet beispielsweise das C in unserem Parteinamen. Da empfehle ich ein vertieftes Nachdenken. Herr Merz hat gesagt, wir müssen unseren Markenkern wieder deutlicher machen. Der Markenkern einer C-Partei heißt Barmherzigkeit, und das ist auch ein Hinweis, wie wir die Flüchtlingsfragen behandeln müssen. - Wenn eine C-Partei nicht barmherzig ist, dann weiß ich nicht, warum sie das C hat. Dann kann ich auch zur FDP gehen.
    "Ich bin ein guter Demokrat. Wer gewinnt, hat gewonnen"
    Engels: Können Sie sich angesichts dieser klaren Positionierung von sich vorstellen, gut mit einem CDU-Parteivorsitzenden Merz auszukommen?
    Blüm: Ich bin ein guter Demokrat. Wer gewinnt, hat gewonnen. Aber das heißt ja nicht, dass ich dann stramm stehe. Dann werde ich weiter für meine Positionen kämpfen. Aber es ist richtig: Wir sind in einer Demokratie. Dazu gehört nicht nur gewinnen. Das ist angenehmer. Dazu gehört auch verlieren. Ich habe in beidem Übung.
    Engels: Nehmen wir an, dass die Lager innerhalb der CDU sich nicht ganz so schnell einig werden, nach der Wahl jetzt an einem Strang zu ziehen. Wer kann denn dann noch als neutrale Figur auftreten, nachdem Wolfgang Schäuble diese Rolle ja offenbar nicht mehr hat?
    Blüm: Ach, von so neutralen Figuren - - Soll das so ein Überfall sein? – Ich habe keine Sehnsucht nach neutralen Figuren. Ich habe keine Sehnsucht nach Übervätern. Ich brauche keine Autorität. Das ist eine Frage, in der wir Argumente austauschen, und da hoffe ich, dass die Seite gewinnt, die die stärkeren Argumente hat. Darum bemühe ich jedenfalls mich, die stärkeren zu haben. Aber das ist dann eine Frage der Auseinandersetzung. Ich finde, eine Partei muss solche Diskussionen führen. Die kann nicht einfach so daherwursteln. Die muss auch immer fragen, was sind wir, was wollen wir eigentlich, warum bin ich in der CDU. Ich muss einem jungen Mann, einer jungen Frau sagen können, warum sie in die CDU geht.
    "Es gibt wie in allen Landesverbänden Merz-Anhänger und AKK-Anhänger"
    Engels: Der nordrhein-westfälische Landesverband, den Sie ja gut kennen, stellt mit Abstand die meisten Delegierten in Hamburg. Wie erleben Sie da Ihre Parteifreunde? Gibt es da eine klare Tendenz?
    Blüm: Soweit ich das sehe, gibt es wie in allen Landesverbänden Merz-Anhänger und AKK-Anhänger. Ich glaube, dass auch viele noch gar nicht festgelegt sind, dass der Parteitag noch auch Meinungen neu bildet und dass es auch sehr auf das ankommt, was die Kandidaten dem Parteitag als ihr Programm vorstellen.
    Engels: Und Jens Spahn hat in seinem eigenen Landesverband keinen großen Rückhalt?
    Blüm: Ach, der hat auch Anhänger. Ich gehöre nicht dazu, aber ich muss mit Respekt sagen, dass er standhaft seine Kandidatur aufrecht erhalten hat, obwohl sie wenig aussichtsreich ist. Dafür meinen Respekt. Es gibt so Leute, die würden dann sofort im Wald verschwinden, wenn die Aussichten nicht groß sind. Dass er da stehen bleibt, also kandidiert, dafür mein Respekt.
    Engels: Norbert Blüm war das, ehemaliger CDU-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen und natürlich bekannt immer noch als langjähriger Arbeitsminister im Kabinett Helmut Kohl. Vielen Dank für das Gespräch.
    Blüm: Ich bedanke mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.