"Das Bargeld wird immer wertvoller und den Leuten auch immer wichtiger. Je mehr die anderen Lebensbereiche digitalisiert werden. Das ist ein Refugium um Privatsphäre zu bewahren, das es sonst dann kaum noch gibt."
Norbert Häring will dieses Refugium unbedingt bewahren und setzt sich deswegen seit Jahren für den Erhalt des Bargelds ein. Der Handelsblatt-Redakteur will sogar vor Gericht erwirken, seinen Rundfunkbeitrag in bar bezahlen zu dürfen. Unsere Wirtschaft verändert sich radikal und rasant durch die Digitalisierung, bei der Daten und Zahlungsströme eine zentrale Rolle spielen. Deswegen hat der Volkswirt Häring - ein ausgewiesener Kenner des Finanzgeschehens - nach nur zwei Jahren erneut ein Buch über Bargeld und die Gefahr der Abschaffung geschrieben.
"Was ich damals noch nicht so gesehen hatte ist, welch große Rolle dabei das Silicon Valley spielt, also die großen Fast-Monopolisten wie Google und Facebook und Amazon vor allem und mit ihnen zusammen auch die US-Regierung."
Natürlich wollten Kreditkartenbetreiber wie Visa oder Mastercard, dass möglichst viele Transaktionen über Kreditkarten geschehen - damit verdienen sie Geld. Massives Interesse an den Zahlungsdaten haben aber auch Konzerne wie Google oder Amazon, die sich durch Werbung finanzieren. Je mehr sie über ihre Kunden wissen, desto gezielter lässt sich individuelle Werbung platzieren. Interesse an einer bargeldlosen Gesellschaft haben aber auch Staaten, etwa um Kriminalität, Schwarzarbeit oder Terror besser bekämpfen zu können.
Bargeld als Ausdruck persönlicher Freiheit
Nur Insidern dürfte jedoch bislang bekannt gewesen sein, wie Staaten und Konzerne gemeinsame Sache machen, um die Nutzung von Bargeld immer überflüssiger zu machen. Heute zahlten Bürger bei jeder zweiten Gelegenheit in bar, was - so Häring - ein vollständiges "digitales Abbild" ihrer monetären Aktivitäten verhindere. Häring macht dem Leser eindrücklich klar: Bargeld zu nutzen ist keine antiquierte Gewohnheit, sondern eine elementare Voraussetzung für den Erhalt persönlicher und gesellschaftlicher Freiheit. Ins Bild passt für ihn das Verbot der 500 und 1000-Rupien-Scheine in Indien vor zwei Jahren, womit auf einen Schlag 85 Prozent des Bargeldes wertlos waren.
"Es gibt ja Dutzende von Entwicklungsländern, die sich inzwischen schon verpflichtet haben mit Zuckerbrot und Peitsche, sehr viel Peitsche, das Bargeld abzuschaffen."
Früher hätten Konzernchefs offen die Abschaffung des Bargelds gefordert. Heute nutzten sie vor allem den Begriff der finanziellen Inklusion. Dabei denke man - so Häring - unwillkürlich an behinderte Kinder, die in den Klassenverband ihrer nichtbehinderten Altersgenossen aufgenommen werden. Und wer hat schon etwas dagegen, dass alle Menschen Zugang zu Finanzdienstleistungen erhalten?
Die Nutznießer des bargeldlosen Zahlungsverkehrs
Der Autor zeigt umfassend, welche Allianzen und Initiativen Wirtschaftsunternehmen, aber auch Teile der Politik gebildet haben, um das Bargeld zurückzudrängen. Eine wichtige Rolle spiele etwa die Besser-als-Bargeld-Allianz, beteiligt seien die US-Regierung über die Entwicklungshilfebehörde US-Aid, die Bill & Melinda Gates Stiftung, Mastercard oder die Citibank. Häring schreibt:
"Seit sie die Ausweitung des eigenen Geschäfts als unabdingbar für die Bekämpfung von Armut und Unterentwicklung definiert haben, können Mastercard und Visa offen eine vermeintlich wohlmeinende Verschwörung zur globalen Beseitigung des Bargelds vorantreiben. Auch wenn man tunlichst keine Pressekonferenzen abhält und bestrebt ist, die Sache in Spezialistenkreisen zu halten, ist echte Geheimhaltung nicht nötig. Wenn die Mitglieder der Allianz eigennütziger Motive verdächtigt werden, müssen sie ihre Geschäftsinteressen nicht einmal leugnen. Denn dieses Geschäftsinteresse deckt sich angeblich vollständig mit dem noblen Ziel der globalen Armutsbekämpfung."
Dabei sind die Ergebnisse der finanziellen Inklusion oft fragwürdig. Häring entzaubert in seinem Buch beispielsweise das mobile Zahlungssystem M-Pesa in Kenia, über das es viele Jubelberichte gab. Tatsächlich funktioniert es bestechend einfach, per Textnachricht auf dem Handy. Deshalb nutzen es viele Kenianer. Aber es ist teuer: Wer Bargeld abhebt, berichtet der Autor, zahlt bis zu 20 Prozent Gebühren. Wer Geld an Nichtkunden überweist, zahlt sogar bis zu 44 Prozent. Der Betreiber - eine Tochter des britischen Vodafone-Konzerns - mache hohe Gewinne. Datenschutz gebe es in Kenia kaum. Die Betreiber könnten mit den Daten praktisch machen, was sie wollen. Und der Staat - so Häring - habe sich sogar per Gesetz Zugang zu jeglicher Kommunikation ermöglicht.
Die Strategie der "Bargeldfeinde"
Fragwürdig findet der Autor auch die Rolle des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen, UNHCR. Seine Aufgabe ist die Nothilfe für Menschen in Krisengebieten. Mittlerweile sei das UNHCR aber auch am Projekt einer bargeldlosen Welt beteiligt:
"In den Lagern gibt es von UNHCR und Hilfsorganisationen keine Rationen mehr, sondern Geld, mit dem die Flüchtlinge in Läden vor Ort einkaufen können. Nachdem die Flüchtlinge biometrisch registriert sind, können sie nur noch einkaufen, indem sie sich durch einen Blick in die Kamera an der Kasse ausweisen."
Nun würden Daten von Flüchtlingen, einschließlich wann und wo sie einkauften, für immer im Internet gespeichert. Häring zitiert in seinem Buch die Hilfsorganisation Oxfam, wonach 2017 bereits vier Millionen Flüchtlinge in 43 Ländern biometrisch erfasst wurden. Jedem müsse klar sein, dass die Entwicklungsländer nur den Anfang darstellten.
"Das sind natürlich nur die Versuchskaninchen und die, woran das geübt wird. Letztlich soll das bei uns allen geschafft werden. Das bedeutet ins System bringen, wie das der PayPal-Chef Dan Schulman mal gesagt hat über finanzielle Inklusion."
Der Autor hat ein überzeugendes Buch geschrieben - mit vielen interessanten und auch überraschenden Einblicken. Norbert Häring präsentiert eine Menge neuer Fakten; komplizierte Zusammenhänge formuliert er verständlich. Er will Menschen aufklären. Denn seiner Meinung nach haben bei einer Auseinandersetzung mit offenem Visier die Bargeldfeinde - zumindest in Europa - schlechte Karten.
Norbert Häring: "Schönes neues Geld. PayPal, WeChat, Amazon Go. Uns droht eine totalitäre Weltwährung",
Campus Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro.
Campus Verlag, 256 Seiten, 19,95 Euro.