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Norbert Röttgen (CDU)
"Merkels Türkei-Reise ist absolut geboten"

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen, hat Kritik der Opposition an der für Donnerstag geplanten Türkei-Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel zurückgewiesen. Man müsse miteinander reden, sagte der CDU-Politiker im DLF - auch, um Einfluss zu nehmen.

Norbert Röttgen im Gespräch mit Christiane Kaess |
    Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (CDU), aufgenommen am 19.01.2017 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema "Der unberechenbare Präsident - stellt Trump die Welt auf den Kopf ?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
    Norbert Röttgen, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag (CDU) (picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler)
    Aus Sicht der Kritiker sei es in den vergangenen anderthalb Jahren immer ungünstig gewesen, die Türkei zu besuchen, sagte Röttgen. Man müsse sich aber fragen, in welche Länder deutsche Regierungsvertreter dann noch reisen könnten, erklärte der CDU-Politiker beispielsweise mit Blick auf Russland. Damit wechselseitige Interessen zur Sprache kämen, müsse man miteinander reden. Probleme und Meinungsverschiedenheiten könnten in einem solchen Gespräch zum Ausdruck gebracht werden.
    Röttgen räumte ein, dass Merkels Besuch in einem schwierigen Umfeld stattfinde. Es gebe viele Differenzen, diese würden auch sichtbar werden: "Die Differenz liegt in der inneren Entwicklung der Türkei. Die vom Parlament beschlossene Verfassungsänderung bedeutet die Abschaffung von demokratischer Rechtsstaatlichkeit." Wenn diese in dem geplanten Referendum bestätigt würde, dann wäre das der politische Abschied von Europa, meinte Röttgen. Das sei weder im Interesse der Türkei noch im Interesse Europas. Die Türkei brauche die Beziehungen zu Europa auch aus wirtschaftlichen Gründen, da die Ratingagenturen das Land auf Ramschniveau heruntergestuft hätten.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Festnahmen von Oppositionspolitikern und Regierungskritikern sind in der Türkei im Moment an der Tagesordnung. Seit dem Putschversuch im Juli letzten Jahres regiert Präsident Erdogan sein Land immer autokratischer. EU-Beitrittsverhandlungen sind in weite Ferne gerückt, aber Europa ist in einem wesentlichen Punkt von Ankara abhängig: Durch das Flüchtlingsabkommen mit der EU, das Flüchtlingsbewegungen in Richtung Europa eindämmen soll. Viele glauben, Europa habe sich damit erpressbar gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel reist morgen in die Türkei und schon im Vorfeld des Besuches gibt es heftig Kritik daran. - Darüber sprechen möchte ich mit Norbert Röttgen von der CDU. Er ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und jetzt am Telefon. Guten Morgen!
    Norbert Röttgen: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Röttgen, kommt dieser Besuch von Angela Merkel zur Unzeit, denn die Türkei steht immerhin kurz vor einer Volksabstimmung über ein Präsidialsystem, das Präsident Erdogan noch mehr Macht einräumen wird?
    Röttgen: Ich glaube, auffällig ist, dass aus der Sicht der Kritiker in den letzten anderthalb Jahren immer ein ungünstiger Zeitpunkt war, und Sie haben ja auch schon dargestellt jetzt im Vorbericht, wie schwierig die Lage ist, wie bedeutsam es ist. Und darum muss man miteinander sprechen. Wir wollen ja unsere Interessen vertreten. Wir wollen Einfluss nehmen, und wie soll man das eigentlich anders machen als durch Gespräche. Darum ist es absolut richtig und geboten, dass die Bundeskanzlerin in die Türkei reist.
    Kaess: Jetzt gibt es eine ganz konkrete Interpretation dieses Besuches von Seiten der Kritiker. Die türkische Öffentlichkeit nimmt solche Besuche wahr als internationale Bestätigung für die Politik von Präsident Erdogan. Das sagen die Kritiker im Moment.
    Röttgen: Das hängt ja ganz entscheidend vom Verlauf dieses Besuches ab und die Probleme und Meinungsverschiedenheiten werden natürlich auch zum Ausdruck kommen. Im Übrigen: Wenn das so wäre, dann weiß ich nicht, in welche Länder deutsche Regierungsvertreter, Regierungsmitglieder überhaupt noch reisen könnten. Könnten wir dann irgendwie noch mal nach Russland zu Präsident Putin reisen oder zu wem auch immer? Ich halte das für ein schlicht unsinniges Argument in unseren Zeiten. Man muss miteinander reden und bei diesen Gesprächen kommen die Differenzen, aber auch die wechselseitigen Interessen zur Sprache. So geht Diplomatie.
    "Die Differenz liegt vor allen Dingen in der inneren Entwicklung der Türkei"
    Kaess: Wenn Sie den Verlauf dieses Besuches ansprechen, Herr Röttgen, ist ja die Frage, inwieweit kann Angela Merkel das überhaupt beeinflussen. Denn Erdogan wird ja wahrscheinlich schon allein aus innenpolitischen Gründen versuchen, die Differenzen zur EU klarzumachen.
    Röttgen: Ja, die Differenzen werden nach meiner Erwartung auch sichtbar werden. Wie könnte das anders sein. Und wie will man anders als durch Gespräche denn Einfluss nehmen.
    Kaess: Um welche Differenzen, denken Sie, wird es dann vor allem gehen?
    Röttgen: Die Differenz liegt vor allen Dingen in der inneren Entwicklung der Türkei. Das was jetzt der im Parlament beschlossene Inhalt der Verfassungsänderung ist, bedeutet die Abschaffung von demokratischer Rechtsstaatlichkeit in der Türkei. Und wenn das auch im Referendum durch das Volk so bestätigt würde, dann wäre das der politische Abschied von Europa. Das ist nicht im Interesse der Türkei, das ist nicht im Interesse Europas. Im Gegenteil! Europa und die Türkei haben wechselseitige Interessen und das muss zum Ausdruck kommen, dass es die gibt und wodurch sie auch gefährdet würden.
    Kaess: Wird Angela Merkel diese Defizite genauso konkret ansprechen, wie Sie das jetzt gerade getan haben?
    Röttgen: Der Besuch kommt ja erst noch. Es ist ein Besuch in einem schwierigen Umfeld. Dann werden wir uns das anschauen und dann kann man es auch kommentieren.
    Kaess: Der Bundesvorsitzende der türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, der sagt heute in mehreren Zeitungen, wegen des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei habe Angela Merkel Angst, so wörtlich, vor Erdogan, deutliche Worte zu finden.
    Röttgen: Ja, das sind unsinnige Unterstellungen, die jeder Grundlage entbehren.
    Kaess: Ist das Flüchtlingsabkommen kein Druckmittel für die Türkei?
    Röttgen: Der Kern, der oft übersehen wird, manchmal wissentlich, manchmal aber auch einfach falsch gesehen wird, ist, dass es ein wechselseitiges Interesse gibt. So zu tun, als hätte die Türkei nicht ein elementares, ich würde fast sagen existenzielles Interesse daran, ein Verhältnis zu Europa zu erhalten, heißt, die Interessenlage der Türkei grundlegend fehlzuinterpretieren. Die Türkei ist vor allen Dingen wirtschaftlich, aber nicht nur wirtschaftlich auf Europa angewiesen, und darum ist es im beiderseitigen Interesse, gemeinsame Probleme auch zu lösen. Und ich glaube, mit diesem Ansatz sollten wir auch herangehen.
    "Die Türkei braucht die Beziehung unbedingt zu Europa"
    Kaess: Dennoch, Herr Röttgen, wissen Sie genauso gut wie ich, dass die Türkei in den vergangenen Monaten sehr oft gedroht hat, dieses Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen. Glauben Sie dieser Drohung eigentlich noch?
    Röttgen: Ich finde es ja auffällig, wie lange wir die Drohung hören, wie sie auch immer journalistisch wirkt, in der Türkei selber, aber auch in Europa. Aber die Realität ist, dass das, was verabredet worden ist, eingehalten wird und funktioniert. Es muss weiterentwickelt werden, aber das, was verabredet wurde, funktioniert und läuft und das ist die Wirklichkeit jenseits aller Drohkulisse und Drohrhetorik.
    Kaess: Ganz konkret: Sie glauben der Drohung nicht mehr?
    Röttgen: Drohungen muss man als solche werten. Aber man muss vor allen Dingen bewerten, wie die realen wirklichen Interessenlagen sind, und da ist vor allen Dingen hilfreich ein Blick auf die wirtschaftliche Situation in der Türkei. Die Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit des Landes inzwischen auf Ramschniveau eingestuft. Die Währung verfällt, das Wachstum ist eingebrochen. Das heißt, die Türkei befindet sich in einer ganz, ganz kritischen wirtschaftlichen Lage und braucht die Beziehung unbedingt zu Europa.
    Kaess: Jetzt gibt es ein weiteres Druckmittel für die Türkei: Türkische NATO-Soldaten, die in Deutschland Asyl beantragt haben nach dem Putschversuch in der Türkei. Ankara will die Auslieferung. Sollten diese Soldaten in Deutschland Asyl bekommen?
    Röttgen: Das ist kein Druckmittel und die Frage kann ich nicht beantworten, weil der Asylanspruch ein rechtlicher Anspruch ist, der ein rechtliches Verfahren mit der Prüfung des Tatbestandes der politischen Verfolgung einhergeht. Darum sind dafür zuerst Behörden und dann Gerichte zuständig. Es ist ein rein rechtliches Verfahren, das keinen politischen Ermessensspielraum lässt.
    Kaess: Dann stelle ich die Frage anders herum. Glauben Sie, dass diese Soldaten bei einer Auslieferung in die Türkei sicher wären und ihre Rechte garantiert wären?
    Röttgen: Das ist ja genau die Grundfrage: Sind sie verfolgt oder sind sie nicht verfolgt. Und es macht keinen Sinn, dass diejenigen wie ich zum Beispiel, die den Sachverhalt nicht kennen, darüber sich eine Meinung bilden, sondern das ist eine rechtliche Frage, weil das Grundrecht auf Asyl in unserer Rechtsordnung, in unserer Verfassungsordnung grundgelegt ist, und darum müssen die zuständigen Behörden, am Ende Gerichte darüber entscheiden. Und man kann nicht ohne Kenntnis jeden Sachverhaltes den Sachverhalt rechtlich beantworten.
    Kaess: Aber Sie werden wahrscheinlich eine Einschätzung dazu haben nach allem, was wir aus der Türkei in der letzten Zeit wissen.
    Röttgen: Ja. Aber noch mal: Ich finde, dass man mit diesen Asylfragen einfach seriös umgehen muss. Es gibt ja Kollegen von mir, die können Rechtsfälle durch Zeitungslektüre beantworten. Ich kann das nicht, sondern jeder Fall muss geprüft werden. Jeder Fall kann auch anders sein. Es ist ein rechtliches Verfahren und darauf kann sich jeder verlassen, im Inland und im Ausland, und auch übrigens die Türkei, dass wir nach unserer Rechtsordnung diese Fälle bearbeiten.
    Kaess: Herr Röttgen, NATO-Soldaten, die in einem NATO-Partnerland Asyl beantragen, zeigt das die Spaltung innerhalb des Bündnisses?
    "Vielleicht war von Anfang an viel mehr versprochen als realistisch war"
    Röttgen: Es zeigt die innere Situation und Lage der Türkei, von der ich ja eben gesagt habe, dass sie in einem Referendum sich zuspitzt, dass die Abschaffung des Rechtsstaates, rechtsstaatlicher Garantien, Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Justiz, auch die Eigenständigkeit der Legislative, dann in der Verfassung abgeschafft werden sollen. Und das, was jetzt herrscht, der Ausnahmezustand, die Verhaftungen, die Einschränkungen der Justiz und so weiter, das ist eine innere Lage, die nicht mehr Ansprüchen der demokratischen Rechtsstaatlichkeit heute genügt. Und daraus ergeben sich auch Verfolgungssituationen, die wir ja kennen, und das zeigt, dass ein NATO-Mitgliedsland diese innere Spaltung hat. Das zeigt, dass der gegenwärtige Staatspräsident einen autoritären Machtanspruch verfolgt, und das ist natürlich eine Spannung auch innerhalb der NATO, weil ich nach wie vor die NATO als eine Wertegemeinschaft verstehe.
    Kaess: Und das Ganze, was Sie jetzt geschildert haben, passiert innerhalb eines Militärbündnisses.
    Röttgen: Ja.
    Kaess: Es gibt diese Vermutung oder das Gerücht, dass Erdogan einen Austritt aus der NATO will. Ist das für Sie glaubhaft?
    Röttgen: Ich kenne das Gerücht nicht. Ich glaube, dass es viele Gerüchte gibt, die sich klären, wenn man darauf schaut, und analysiert, was die nüchterne Interessenlage der Türkei, aber auch Erdogans ist. Ich würde einen solchen Austritt für das Gegenteil von der Interessenlage der Türkei halten.
    Kaess: Herr Röttgen, dass sich die Türkei von der EU und eventuell auch von der NATO abwendet, wieviel Schuld hat daran auch Ihre Partei, als sie der Beitrittsperspektive zur EU die Grundlage entzogen hat?
    Röttgen: Ich glaube, dass das im Gegenteil keinen Beitrag geleistet hat. Ich glaube, dass im Gegenteil ein Beitrag auch geleistet worden ist zu dem, was wir jetzt haben.
    Kaess: Ein autoritäres Regime.
    Röttgen: Nein, von europäischer Seite oder deutscher Seite, dass unrealistische Erwartungen in der Türkei geschaffen worden sind.
    Kaess: Warum waren diese Erwartungen unrealistisch? Es gab eine Beitrittsperspektive.
    Röttgen: Ja aber genau diese Beitrittsperspektive - wenn man mit türkischen Politikern oder auch Vertretern der Gesellschaft spricht, dann sagen die, ihr wart nicht ehrlich zu uns. Ihr habt uns gewissermaßen die Beitrittsperspektive ins Schaufenster gestellt, aber ihr wart nicht ehrlich mit uns darüber, dass es auch realistisch ist, in absehbarer Zeit das zu erfüllen.
    Kaess: Das würden wahrscheinlich Leute, die damals daran beteiligt waren, anders darstellen.
    Röttgen: Die Skepsis, die die Union an dieser Stelle seit langem und von Anfang an artikuliert hat, die sehe ich jetzt bestätigt. Wir sehen jetzt, dass Demokratie und Rechtsstaat bedroht, ja eingeschränkt sind und noch mehr gefährdet sind in der Türkei, und darum war vielleicht von Anfang an viel mehr versprochen als realistisch war, und das hat den Eindruck von Unehrlichkeit und dann auch Enttäuschung erzeugt. Ich glaube, an der Stelle sollte man mehr suchen, wo die Fehler in der Vergangenheit lagen.
    Kaess: Die Meinung von Norbert Röttgen von der CDU, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Röttgen: Ich danke Ihnen, Frau Kaess.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.