Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) hatte bekanntgegeben, dass er auch bei einer länger andauernden Corona-Pandemie ausreichend Spielraum im Haushalt sehe, um Betroffene zu unterstützen. Auch der SPD-Co-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans hat sich im Dlf für weitere Kredite unter anderem für Corona-Hilfen ausgesprochen. Dabei nannte er vor allem die Bereiche Infrastruktur und Bildung.
Scholz geht in seinem Etatentwurf für 2021 von einer Neuverschuldung in Höhe von rund 96 Milliarden Euro aus. Für dieses Jahr hat das Parlament bereits bis zu 218 Milliarden Euro bewilligt.
Stefan Heinlein: Corona – es hätte schlimmer kommen können für die deutsche Wirtschaft. Teilen Sie diese Einschätzung der Wirtschaftsweisen und der Steuerschätzer?
Norbert Walter-Borjans: Ja, es ist eine wirklich gute Nachricht in einer schwierigen Zeit. Es ist ja immer noch so, dass die Wirtschaft am Ende, auch nachdem sie jetzt nicht so stark schrumpft und anschließend dann aber auch nicht ganz so stark wächst, immer noch kleiner ist hinterher als zwei Jahre zuvor. Aber es zeigt erst mal, dass der Einbruch nicht so tief ist, und zweitens, dass die Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat und die Olaf Scholz auf den Weg gebracht hat, ihr Ziel erreichen. Und ich glaube, da kann man erst mal ganz zufrieden sein.
"Wir hatten am Anfang dieser Pandemie überhaupt keine Blaupause"
Heinlein: Es ist selbstverständlich, dass Sie Ihren Parteifreund Olaf Scholz loben. Aber waren seine Befürchtungen vor einem Konjunktureinbruch, vor einer möglichen Rezession – so hieß es ja damals - übertrieben? War das Panikmache?
Walter-Borjans: Nee, überhaupt nicht. Wir hatten ja am Anfang dieser Pandemie überhaupt keine Blaupause. Wir konnten ja nicht auf etwas zurückgreifen, was man alle paar Jahre mal so macht. Insofern sind natürlich am Anfang auch Maßnahmen ergriffen worden, von denen wir heute, ein halbes Jahr später sagen würden, das würden wir differenzierter machen.
Aber jetzt zu sehen, dass vor allen Dingen das Konjunkturpaket – und deswegen erwähne ich auch ganz ausdrücklich Olaf Scholz -, dass dieses Konjunkturpaket mit den unterschiedlichen Komponenten, nämlich die Nachfrage zu stützen, mit der Kurzarbeit vor allen Dingen auch Arbeitsplätze zu erhalten, die Unternehmen zu entlasten, indem wir Abschreibungsbedingungen verändert haben und Verluste mit Gewinnen haben ausgleichen lassen, dass das Dinge sind, die den Zug am Rollen gehalten haben. Das zeigt sich jetzt erst, das konnte man vorher so nicht wissen, und das ist natürlich ein gutes Zeichen, dass die Maßnahmen ganz überwiegend genau da gewirkt haben, wo sie wirken sollten.
Heinlein: Sie haben gesagt, manche Dinge hätte man differenzierter machen können. Welche Fehler wurden denn gemacht?
Walter-Borjans: Ich würde wirklich ungern von Fehlern sprechen. Wenn man wirklich, und zwar innerhalb einer Koalition und auch zusammen mit der demokratischen Opposition – das muss man auch ausdrücklich erwähnen – so beherzt, so schnell gemeinsam gehandelt hat - dafür beneiden uns andere Länder -, dann sieht man ein halbes Jahr später natürlich, dass wir zum Beispiel sehr pauschal in der ersten Phase reagiert haben. Heute – Sie sehen das jetzt an diesem Teil-Lockdown – können wir differenzierter vorgehen. Dann zieht man natürlich seine Lehren aus diesen Erfahrungen. Aber ich glaube, von Fehlern würde ich wirklich nicht sprechen. Wir haben das im Vergleich zu anderen Staaten in Europa und in der Welt gut bewältigt und es ist trotzdem auch für uns eine große Krise und eine schwere Herausforderung.
Konjunkturpaket und Hilfsprogram: "Auf keinen Fall war das zu groß dimensioniert"
Heinlein: War es vielleicht auch ein Fehler, auch wenn Sie dieses Wort nicht in den Mund nehmen wollen, die auf Pump finanzierten Milliarden Konjunktur- und Hilfsprogramme so groß zu dimensionieren? Waren sie vielleicht ein paar Nummern zu groß? Die Schulden, das wissen wir alle, müssen ja irgendwann von unseren Kindern und Enkeln zurückgezahlt werden.
Walter-Borjans: Das würde ich ausdrücklich nicht als Fehler ansehen. Im Gegenteil! Das ist genau die richtige Vorgehensweise. Wenn Sie tröpfchenweise versucht hätten, hinter dem, was zu tun ist, hinterherzufinanzieren, dann hätte die Stimmungslage völlig anders ausgesehen. Die Gewissheit für Viele, dass wir alles tun, um diese schwierige Lage abzufedern – man wird sie in ganz vielen Bereichen ja nicht beheben können und wenn es im Durchschnitt jetzt gut läuft heißt das ja immer, es gibt sogar Gewinner in der Krise und es gibt diejenigen, die immer noch um ihre Existenz fürchten -, dann kann ich nur sagen, auf keinen Fall war das zu groß dimensioniert.
Was die Belastung der Zukunft angeht, dann muss man ja immer sagen, es geht ja darum, schaffen wir heute Voraussetzungen und Werte, die auch die Zukunft der nächsten Generation sichern. Und dann ist es auch erlaubt, ein Stück Belastung mit in diese nächste Generation zu schieben. Das ist wie jeder, der sich eine Wohnung kauft, oder ein Unternehmer, der sich eine Maschine kauft. Natürlich darf der eine Investition auch mit einem Kredit finanzieren, wenn sie ihm anschließend einen Gewinn bringt.
Hätten wir jetzt einfach die Dinge sich selbst überlassen, dann, glaube ich, können wir alle sagen, dass wir der nächsten Generation sicher ganz klar keinen Gefallen getan hätten.
Investitionen in die Zukunft durch Kredite
Heinlein: Es ist auffällig, dass Ihr Parteifreund, Bundesfinanzminister Scholz, ja weiter offenbar die Spendierhosen an hat. Er hat heute Morgen in einem Interview angekündigt, dass er bei einer Fortdauer der Pandemie noch einmal in die Tasche greifen will. Der Staat habe noch genügend Spielraum für weitere Hilfen. Warum, Herr Walter-Borjans, ist der einstige Sparfuchs Olaf Scholz auf einmal so großzügig?
Walter-Borjans: Weil sich die Verhältnisse geändert haben. Wenn die Steuern sprudeln, wenn die Wirtschaft gut läuft, dann muss ich nicht auf Kredite zurückgreifen. Das ist in jedem Privathaushalt auch so. Aber wenn es dann stockt und ich würde dann auf wichtige Investitionen für die Zukunft verzichten, nur weil ich mir eine Regel auferlege, ich darf keinen Kredit aufnehmen, dann würde ich einen großen Fehler machen, und nicht anders handelt Olaf Scholz jetzt. Ich gehöre auch nicht zu denen, die sagen, man sollte Kredite aufnehmen, wenn man sie gar nicht braucht, aber wir sind jetzt in einer Situation, dass wir aufpassen müssen, dass wir nicht aus einer Krise von ein oder zwei Jahren die Krise einer ganzen Generation machen, weil wir die richtigen Infrastruktur-Investitionen jetzt nicht tätigen, weil wir nicht in Bildung investieren. Das muss ja gerade jetzt besonders aufrechterhalten werden und zugleich müssen wir den Einbruch, den wir gerade erleben in der Konjunktur, ausgleichen. Das ist eine Sondersituation. Ich glaube, das kann jeder nachvollziehen, dass die erlaubt, dass man dann sagt, das muss ich jetzt mit einem Kredit überbrücken, und den müssen wir anschließend (und zwar auch gestreckt) abtragen, weil wenn wir das mit einer Vollbremsung nach der Krise machen würden, dann würde vieles wieder einbrechen, und das wäre auch für die Stimmungslage in der Wirtschaft, die ja nun auch eine entscheidende Größe ist, fatal.
Heinlein: Herr Walter-Borjans, Hotels und Gaststätten, das wissen wir alle, zahlen ja aktuell bitter die Zeche für die Pandemie-Bekämpfung. Muss auch hier Olaf Scholz noch einmal großzügig sein und noch einmal in die Tasche greifen?
Walter-Borjans: Das haben wir ja gerade gemacht, indem wir …
Heinlein: Für einen Monat! – Für den November.
Walter-Borjans: Ja, ja, weil es aber ja auch für einen Monat zunächst mal einen Teil-Lockdown oder einen Teil-Shutdown, wie es richtiger heißen würde, gibt, weil man wird ja nicht eingesperrt, sondern es wird etwas geschlossen, weil wir den jetzt für einen Monat haben. Deswegen legen wir ja auch Wert darauf zu sagen, der ist jetzt als eine Zwischenbremsung gedacht. Wir wollen deswegen auch alles dafür tun, im Dezember das normale Leben wieder aufleben zu lassen. Es hängt immer ein Stück davon ab, wie die Entwicklung sich vollzieht.
"Es geht jetzt darum, diesen schnell anwachsenden Verlauf zu unterbrechen"
Heinlein: Rechnen Sie damit, dass im Dezember wieder alles offen hat, Hotels, Gaststätten, Kneipen?
Walter-Borjans: Das ist jedenfalls das erklärte Ziel. Dass man kein falsches Versprechen abgeben darf, wenn die Infektionszahlen in die Höhe schnellen würden, oder wenn die Maßnahmen nicht gewirkt hätten, das gehört zur Ehrlichkeit dazu. Aber es geht jetzt darum, diesen schnell anwachsenden Verlauf zu unterbrechen, weil uns das Luft verschafft, aber nicht ohne Impfstoff und ohne die entsprechenden medizinischen Möglichkeiten ist das keine Garantie dafür, dass man anschließend alles wieder so hat wie vorher.
Heinlein: Aber wenn im Dezember die Kneipen weiter dicht haben, dann sollte Olaf Scholz noch einmal in die Kasse greifen?
Walter-Borjans: Wir haben jetzt in die Kasse gegriffen und wenn man dieselben Auflagen wieder weiterführen würde, dann müssen wir natürlich dafür auch einspringen, und genau das hat er ja gesagt. Dafür hat Deutschland auch die Luft. Wir haben eine riesen Anstrengung zu bewältigen. Aber wenn wir uns ein bisschen umgucken in Europa, dann wissen wir, wie gut wir im Augenblick stehen. Wir sollten aber nicht vergessen, dass wir das nicht alleine schaffen. Wenn wir nicht insgesamt Hand in Hand mit den anderen Mitgliedsstaaten insbesondere in der Europäischen Union diese Krise überwinden, dann fehlen uns ganz wichtige Märkte, dann fehlen uns Zulieferer und es fehlt auch ein Gefühl für den Zusammenhalt in Europa.
Mehrwertsteuersenkung: "Wir reden jetzt über einen Konjunkturimpuls"
Heinlein: Blicken wir nicht auf Europa; blicken wir auf das eigene Land. Olaf Scholz will ja kategorisch die Senkung der Mehrwertsteuer nicht verlängern über das Jahresende hinaus. Das trifft – das wissen wir alle – ja eher die kleinen Einkommen. Wie ist das mit Ihrem und dem sozialdemokratischen Gewissen von Olaf Scholz zu vereinbaren?
Walter-Borjans: Das ist ein bisschen komplizierter als es klingt. Erst mal: Die Senkung auf ein Jahr oder bis zum Jahresende befristet ist ja deswegen so beschlossen worden, damit auch jetzt der Kaufimpuls angeregt wird, damit man weiß, wenn ich davon Gebrauch machen will, dann muss ich mich jetzt ins Geschäft begeben und etwas kaufen. Das war ja das Ziel der Konjunkturförderung.
Jeder weiß aber: Es stimmt, insgesamt trifft die Mehrwertsteuer kleine Einkommen stärker. Aber diesen Kaufimpuls, den kann sich natürlich am ehesten jemand leisten, der was auf der Kante hat. Es wird jetzt sicher nicht der kleine Einkommensbezieher sich ein neues Auto kaufen, das er vielleicht erst in zwei oder drei Jahren gebraucht hätte. Das macht vielleicht eher jemand, der ein höheres Einkommen hat. Das gilt genauso für andere werthaltige Güter im Haushalt oder in anderen Dingen.
Insofern ist das jetzt von dieser Verteilungsfrage, die uns Sozialdemokraten sehr bewegt, zurecht, finde ich, und uns alle bewegt, abzukoppeln. Wir reden jetzt über einen Konjunkturimpuls, der über die Mehrwertsteuer anders läuft als die Mehrwertsteuer normalerweise wirkt.
Heinlein: Ich mache es mal ganz einfach. Der arbeitslose Musiker wird ab Januar merken, dass Brot und Butter wieder teurer werden.
Walter-Borjans: Ja. Wir reden davon, dass das zwei Prozent bei Brot und Butter sind, und das ist sicher auch nicht der Teil gewesen, der die Konjunktur angesteuert hat. Aber es war einer zum Beispiel, auf den wir Sozialdemokraten ganz besonderen Wert gelegt haben. Ich erinnere mal daran: Der Koalitionspartner wollte zunächst nur die 19 Prozent senken, aber die kleine Mehrwertsteuer für die Dinge des alltäglichen Bedarfs nicht. Darauf haben wir Wert gelegt. Jetzt ist das eine Maßnahme, die ist gemeinsam vereinbart, erst mal bis Ende des Jahres geltend, und es ist auch richtig so. Man sollte jetzt nicht in Aussicht stellen, was danach passiert, weil das würde sofort eine Zurückhaltung auslösen, die wir ja jetzt nicht gebrauchen können in dieser Konjunkturlage.
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