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Norbert Walter: Euro-Angst ist "erstaunlich"

Norbert Walter erstaunt angesichts der Euro-Untergangsszenarien, "wie man sich in Europa so auf Kleinigkeiten verbeißen kann" - warnt aber dennoch vor einer selbstverschuldeten langfristigen Schieflage Deutschlands.

Norbert Walter im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Der Libyen-Krieg und die Konsequenzen aus dem Atomkraft-Desaster in Japan, das sind bereits zwei Megathemen, die die europäischen Regierungschefs heute und morgen in Brüssel beschäftigen werden. Noch heftiger aber wird über ein anderes Thema gerungen werden: die Zukunft der europäischen Währung. Denn dass die alles andere als gesichert ist, hat sich gestern Abend erneut bewiesen: Portugal stürzt in die Krise. Der Kampf gegen diese Euro-Krise, Thema der Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel heute im Bundestag. Erst wurde die irische Regierung abgewählt wegen ihres ungeschickten Agierens während der Finanzkrise, nun trifft es den Portugiesen Socrates und damit die nächste europäische Regierung, die über die Schuldenkrise stürzt. Gestern Abend stellte der Sozialist sein umstrittenes Sparprogramm zur Abstimmung und erklärte nach der Niederlage seinen Rücktritt, so wie er es zuvor angekündigt hatte.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den ehemaligen Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Schönen guten Tag!

    Norbert Walter: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Walter, das portugiesische Parlament lehnt das Sparprogramm der sozialistischen Regierung ab. Ist damit aus Ihrer Sicht klar, dass das Land bei den europäischen Partnern um Finanzhilfen anklopfen wird?

    Walter: Dass das Land das tun will, glaube ich immer noch nicht. Das hat sich ja auch in den Berichten, die wir gerade gehört haben, manifestiert. Aber es könnte durchaus sein, da eine Reihe von Anleihen fällig sind und Zinsen zu zahlen sind, es könnte in Engpässe kommen, die am Ende dann natürlich es unweigerlich in den Rettungsschirm treiben. Aber dass das mit fliegenden Fahnen geschehen würde, das kann man ausschließen.

    Heckmann: Und diese Hilfen, die sollte man dann auch gewähren im Fall der Fälle?

    Walter: Ja, die sollte man gewähren, denn wenn wir erst mal ungeordnete Verhältnisse an den Kapitalmärkten auslösen würden, würde das eintreten, was gerade eben auch debattiert wurde. Dann würde es eben zu chaotischen Risikoaufschlägen für Portugal kommen, und damit würden die zukünftigen Optionen für dieses Land dramatisch, dramatisch eingeschränkt.

    Heckmann: Aber muss man Hilfen nicht abhängig machen von etwa einem Sparpaket, das ja gestern Abend gescheitert ist?

    Walter: Ja. Das wird auch so sein und dies wird eine schwierige Herausforderung werden. Ich vermute, dass es am Ende bei der nächsten Wahl auch zu einer Koalitionsregierung kommt und dass deshalb manche Vorstellungen von linken Oppositionellen, die sich jetzt eingebracht haben, am Ende in der Tat nicht nur nicht erfüllt werden, sondern dass dieser Schuss nach hinten losgehen könnte. Ich befürchte, Portugal hat den teureren Weg gewählt durch die Regierungskrise, die jetzt eingetreten ist.

    Heckmann: Herr Walter, allein die Existenz des milliardenschweren Rettungsschirms sollte den Euro stabilisieren. Dieser Versuch ist gescheitert. Kann man das so sagen?

    Walter: Nein! Ich beobachte, dass in einer sehr, sehr schwierigen Situation der Euro sich im Verlaufe der letzten zwei, drei Monate von einer leichten Schwäche wiederum zu einer ausgeprägten Stärke entwickelt hat. Der Euro ist bei über 1,40. Es ist offenkundig so, dass die internationalen Märkte sich vom Euro nicht abwenden. Die Debatte, die wir gerade in Deutschland zur Perspektive des Euro führen, ist eine merkwürdig kontrastierende mit den Einschätzungen von internationalen Investoren, die offenkundig im Verlaufe der letzten Wochen eher nicht mehr so skeptisch gegenüber Europa und dem Euro sind.

    Heckmann: Und bei diesem stabilen Euro dürfte es bleiben, trotz der Krise in Portugal?

    Walter: Ja. Es gibt ja noch größere Probleme als das Problem von Portugal oder Griechenland. Das Schuldenproblem der Amerikaner ist um Dimensionen größer, und es ist offenkundig, dass ein Land, das tief verschuldet ist, jetzt durch eine Naturkatastrophe und eine Nuklearkatastrophe herausgefordert ist. Wie man sich in Europa so auf Kleinigkeiten verbeißen kann, ist für mich immer wieder erstaunlich. Das wäre so, als ob Deutschland glaubte, dem Untergang geweiht zu sein, weil das Saarland und Bremen keine seriöse Finanzpolitik macht.

    Heckmann: In Brüssel sitzen heute die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union zusammen. Da geht es um die Aufstockung des bisherigen Euro-Rettungsschirms und um die Etablierung eines neuen Systems, nämlich des sogenannten Euro-Stabilisierungsmechanismus, 700 Milliarden Euro schwer. Ist dieser Mechanismus so alternativlos, wie es immer heißt?

    Walter: Ja. Die Alternative hat sich ja schon im Verlauf der letzten Zeit, was die Größenordnung anlangt, was die Modalitäten anlangt, was die Laufzeit anlangt, permanent verändert, und ich vermute, dass das, was wir derzeit debattieren, auch noch nicht das Ende der Fahnenstange ist. Was ich allerdings hoffe ist, dass, was auch immer dieser Fonds tut, die Konditionalität der Hilfe, auch in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds, erhalten bleibt, damit aus dieser schwierigen Situation wir nicht herauskommen nur mit größeren Zahlungen für diejenigen, die ein Problem haben, sondern eben auch mit Schritten derjenigen, die das Problem verursacht haben, dass das nicht wiederholt wird. Wenn wir aber dann auch diejenigen, die richtige Schritte eingeleitet haben, nicht loben für diese Schritte, wie beispielsweise das, was in Griechenland geschehen ist, wenn wir das nicht herausheben, dass dort die politische Kultur offenkundig ausgereicht hat, solche Programme zu unterstützen, wenn wir auch nicht beobachten, dass Länder, die noch vom Kapitalmarkt nicht abgemahnt sind, aber dennoch auf Probleme zugehen, Dinge selbst lösen, wie beispielsweise Italien, dann machen wir uns dort natürlich das Leben auch schwer. Wir sollten also den Italienern auch mal Danke sagen, dass sie die richtige Politik im Verlauf der letzten Zeit auf den Weg gebracht haben. Dieser Finanzminister Tremonti hat Leistungen vollbracht, die respektabel sind.

    Heckmann: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die hat heute im Bundestag gesagt, es werde weder regelmäßige, noch dauerhafte Transferleistungen geben, keine Vergemeinschaftung von Schulden in Europa. Kann man sich aus Ihrer Sicht darauf verlassen, oder ist das eine Beruhigungspille?

    Walter: Das ist möglicherweise eine Formulierung, die ich so nicht unterschreiben würde, aber ich würde natürlich unterschreiben, dass Deutschland nicht dauerhaft Zahlmeister sein kann und nicht sein wird, weil Deutschland im Bezug auf seine Demographie in ebenso dramatisch negativer Lage ist wie beispielsweise Spanien oder Italien auch.

    Heckmann: Aber Sie befürchten, dass es so weit kommen könnte?

    Walter: Ich befürchte, dass die Deutschen noch eine Weile Zahlmeister sein können. Ich wäre froh, wir könnten ewig Zahlmeister bleiben, aber die Wahrscheinlichkeit dafür ist gering. Die Deutschen haben über ihre Verhältnisse gelebt, sie haben keine Kinder, die Kinder, die sie haben, haben sie nicht gut ausgebildet. Wir werden zum Kostgänger der Franzosen und der Engländer und der Skandinavier in zehn Jahren, und ich bin verblüfft, wie die deutsche Debatte völlig einseitig auf die Leistungen, die wir jetzt erbringen, fokussiert und nicht auf die Perspektiven, die uns in Europa als alterndem Land bald blühen werden.

    Heckmann: Das heißt, wir zeigen hier zu Unrecht mit dem Finger auf andere Länder?

    Walter: Ja. Wir sollten, wenn wir das Jahr 2020 in den Blick nehmen, erkennen, dass wir mindestens ebenso Schieflage haben wie die Länder Portugal oder Griechenland jetzt.

    Heckmann: Im Deutschlandfunk war das live Norbert Walter, ehemals Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Herr Walter, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Walter: Gerne geschehen.