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Nord- und Südkorea
Am Rand des Niemandslands

25 Jahre nach dem Mauerfall in Deutschland ist Korea eines der wenigen Länder, durch das eine Grenze verläuft - ein vier Kilometer breites herrenloses Gebiet. Diese "Demilitarisierte Zone" ist stark bewacht - mit dem Effekt einer fast unberührten Natur. Ein skurriler Besuch am Rande des Niemandslands.

Von Bodo Hartwig |
    Eine Schmalspurbahn dreht ihre Runde auf dem weiträumigen Gelände des Imjin-gak Friedensparks, etwa 50 Kilometer nordwestlich von Seoul. Gemächlich schnauft sie voran im Schatten hoher Bäume, eine Gruppe Kindergartenkinder sitzt in den Waggons und winkt ausgelassen mit ein paar südkoreanischen Fähnchen. "Dae Han Min guk", rufen sie. Das heißt "Republik Korea". Die Fahrt geht weiter, vorbei an einigen Panzern und Flugzeugen - betagtes Kriegsgerät aus dem Koreakrieg. Frisch lackiert steht es dort auf einer Fläche neben Parkbänken und Blumenbeeten.
    100 Meter nordwärts, am Ufer des Imjin Flusses endet der Park jäh an einem hohen Stacheldrahtzaun. In den Maschen des Zauns wehen unzählige farbige Spruchbänder mit Wünschen und Gebeten für die Wiedervereinigung in Frieden, oder einfach nur für ein baldiges Wiedersehen mit Verwandten im Norden. Rund zehn Millionen Koreaner wurden allein durch die Wirren des Koreakriegs aus ihren Familien gerissen. 1983, gut 30 Jahre danach, erlangte ein Schlager Berühmtheit als Begleitmusik für die wohl längste Fernsehsendung der Rundfunkgeschichte: Ganze 138 Tage dauerte die landesweite Ausstrahlung von Familiengesuchen, bei der immerhin mehr als 10.000 Fälle gelöst werden konnten. Ein klingender Gedenkstein erinnert mit dem Lied an den medialen Verzweiflungsakt, der damals eine ganze Nation aufwühlte.
    Frau Lee Kae-Jeon, eine 82-jährige Rentnerin aus Seoul, sammelt Unterschriften. Die Regierung müsse mehr für eine schnelle Wiedervereinigung des Volkes tun, fordert sie. Seit sieben Jahren schon kommt sie mit ihrer Liste hier her zum Imjingak Park. Und das täglich.
    "Eine solche Geschichte hat wohl kein anderes Land der Welt"
    "Wir sind nun schon seit 69 Jahren eine geteilte Nation. Diese Trennung haben wir nicht zu verantworten. Sie ist uns doch von außen aufgezwungen worden, nach 1945. Mit dem Ergebnis, dass Nord- und Südkorea sich seither feindlich gegenüberstehen, und viele Familien darunter leiden müssen. Das kann man doch nicht länger so hinnehmen! Wenn über 90-jährige Mütter oder Väter nicht wissen, ob sie ihre inzwischen fast 70-jährigen Kinder jemals wiedersehen, und es auch sonst keinerlei Kontakt gibt - nicht einmal Briefe darf man sich schreiben – womit haben wir das nur verdient? Eine solche Geschichte hat wohl kein anderes Land der Welt."
    Frau Lees Heimat liegt in Südkorea. Verwandte im Norden hat sie keine, sie handele allein aus tiefem Unrechtsbewusstsein heraus und, wie sie sagt, "in der vielleicht naiven Hoffnung, dass dieser kleine Beitrag etwas an der Situation ändern möge".
    "342.000 Leute haben schon unterschrieben. Das Ziel sind zehn Millionen. Aber wenn die Regierung vorher das Land schnell wiedervereinigt, höre ich schon morgen damit auf."
    Die Blicke der alten Frau schweifen über den Stacheldrahtzaun hinweg in die weite Flussebene hinein, als ein bunt bemalter Zug die "Brücke der Freiheit" überquert, über den Imjin in Richtung Norden.
    Seit neustem bietet die staatliche koreanische Eisenbahngesellschaft touristische Fahrten mit Sonderzügen ins Grenzgebiet an. Die einst viel befahrene Bahnstrecke von Seoul über Kaesong nach Pjöngjang endet allerdings kurz hinter der Brücke an einem nagelneuen, von Soldaten bewachten "Geisterbahnhof" nebst Gleisanschluss nach Nordkorea.
    "Ähnliche Grenzanlagen hatten wir in Deutschland auch"
    "Also, da besteht eigentlich noch ein Übergang zwischen Nord und Süd, und es ist einfach nur nicht gewollt, dass er genutzt wird." Daniela Leitzbach kennt sich aus mit teilenden Grenzen, zumindest mit dem, was davon übrig geblieben ist. "In Anbetracht der deutschen Geschichte finde ich es extrem beeindruckend, zu sehen, dass wir diese Situation überwunden haben, und unser Volk schon verbunden ist."
    Die junge Biologin engagiert sich beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland im Projektbüro "Grünes Band". Ihre Erfahrungen sind in Korea zunehmend gefragt. Der erste Besuch an der Demilitarisierten Zone, der DMZ, wirkt auf sie wie eine Reise in die Vergangenheit.
    "Es ist eine massiv militärisch gesicherte Grenze, solche ähnlichen Grenzanlagen hatten wir in Deutschland auch. Und es ist ja auch nicht eine Zaunreihe, das sind dann gleich mehrere hintereinander und Beobachtungsposten und Soldaten unterwegs auch, die man da bei der Arbeit sieht, da merkt man einfach, wie angespannt die Situation noch ist."
    Und während Menschen mit der gleichen Sprache noch aufeinander zielen, gedeiht zwischen ihnen, entlang der Waffenstillstandslinie von 1953 ein Landstrich, der zum Refugium für Tausende zum Teil vom Aussterben bedrohter Lebewesen wird.
    "Man sieht, wie sich Pflanzen und Tiere ausbreiten können und die Gebiete nutzen. Man sieht auf der Nordseite leider auch viel Holzeinschlag, wo es dringend notwendig wäre, da etwas zu unternehmen, was aber natürlich so nicht möglich ist."
    Einige Umweltschützer pflanzen immer wieder Bäume nahe der Grenze. Und auch die südkoreanische Regierung hat das geschichtsträchtige Naturreservoir auf der Agenda. 2013 verkündete sie erstmals Absichten zur Errichtung eines grenzüberschreitenden "Weltfriedensparks" im Bereich der DMZ.
    Einzigartiges Auenökosystem Imjin nahe der DMZ
    Einzigartiges Auenökosystem Imjin nahe der DMZ (Deutschlandradio / Bodo Hartwig)
    "Ich hoffe natürlich, dass es für die innerkoreanische Grenze eine ähnliche Chance gibt wie für das Grüne Band in Deutschland. Das Potenzial ist auf jeden Fall da. Und es muss nicht unbedingt ein "Friedenspark" sein, es könnte auch ein Unesco-Welterbe werden. Aber bis es soweit ist, ist es einfach noch ein weiter, weiter Weg. Und da müssten sich eben die Staaten auch erst mal auf politischer Ebene annähern."
    Viel Wasser wird wohl den Imjin noch hinabfließen müssen, bevor dieser Grenzfluss wieder im Zentrum eines vereinten Koreas liegt. Wie kein anderer Fluss in Korea symbolisiert der Imjin die Tragik und den Schmerz der Teilung. Von Nord nach Süd fließend durchquert er - 70 Kilometer stromaufwärts von der "Brücke der Freiheit" entfernt - bei Yeoncheon die Demarkationslinie.
    Naturfotograf Lee Seok-Woo, Mitte 50, blaue Windjacke, zeigt den Standort auf der Landkarte. Unterhalb des Hügels, auf dem er gerade steht, macht der Imjin einen weiten S-förmigen Bogen. Im Dunst der Ferne sind einige Berge Nordkoreas zu erkennen.
    "Kaesong liegt von hier aus südwestlich. Das haben wir schon hinter uns gelassen."
    Dann war hier früher Nordkorea?
    "Ja, Nordkorea."
    Lee Seok-Woo wuchs hier im Landkreis Yeoncheon auf. Der 38. Breitengrad, den die Siegermächte nach dem zweiten Weltkrieg spontan als Demarkationslinie festlegten, verläuft weiter südlich. Bis zum Koreakrieg war die Gegend sowjetisch kontrolliert.
    "Die Heimat meiner Mutter war Kaesong gewesen, das gehörte damals zum Süden. Nach dem Einmarsch des Nordens und dem Zurückdrängen durch den Süden und seiner Alliierten ging es noch öfters hin und her, sodass am Schluss Teile des Westens, wie Kaesong, an den Norden verloren gingen, wir dagegen von den östlichen Gebieten mehr hatten. Manche sagen auch: 'Schade, wären unsere Soldaten noch ein bisschen weiter gegangen, würde das schöne Keum-Gang-Gebirge am Ostmeer jetzt zu uns gehören.'"
    Wenige Kilometer nach dem Grenzübertritt präsentiert sich der Imjin in leicht verwilderter, üppiger Auenlandschaft, durchzogen von kleinen Nebenarmen und Rinnsalen. Dieser Abschnitt des Imjins sei schon im Mittelalter strategisch von Bedeutung gewesen, sagt Lee Seok-woo, während er die Uferböschung hinabsteigt.
    "Weil das Wasser an der Furt nicht so tief ist, konnten die Soldaten hier gut mit ihren Pferden hindurchmarschieren."
    Heute leben in der Flussaue seltene Vögel und Insekten, Fischotter und zeitweilig sogar Adler und Kraniche. Besonders die Zugvögel haben es dem Hobby-Ornithologen angetan. Seit Jahren schon beobachtet er, wie ganze Kranichfamilien aus Sibirien hier am Imjin überwintern.
    "Ich bewundere den Spürsinn dieser frei lebenden Tiere. Sie wissen einfach ganz genau, wo der beste Platz für sie ist."
    In der Furt mit seinen Stromschnellen, so der Naturbeobachter, gefriert das Wasser auch bei minus 20 Grad nicht. So finden die Vögel hier den ganzen Winter über zuverlässig Futter, und kommen wieder.
    "Auf der kleinen Insel hier vorne haben schon mal an die 200 Kraniche übernachtet. Ich hatte in der Nähe mein Tarnzelt aufgebaut, um sie zu filmen. Was für ein herrlicher Anblick das war, sie dort im Dunst der Morgensonne stehen zu sehen, 1,40 Meter groß wie sie sind. Und dann erst das Geräusch, wenn sie sich allesamt zur großen Airshow am Himmel erheben, das ist einfach überwältigend!"
    Und während die Kraniche nach Belieben über die Grenzanlagen hinweg fliegen, bleibt die DMZ für die Menschen ein unüberwindbares Hindernis. Wer sich ihr an den zugelassenen Stellen nähern möchte, muss zunächst seinen Ausweis abgeben. Am Checkpoint zur "Civilian Control Zone" ist Fotograf Lee Seok-woo bereits ein bekanntes Gesicht.
    Fotografieren an der DMZ ist allerdings streng reglementiert. Für seine Kranichmotive benötigt er hier im Winter eine Sondergenehmigung. Die Auffahrt zur "Taepung"-Beobachtungsplattform begleitet sicherheitshalber ein südkoreanischer Soldat. In voller Montur steigt er mit ins Auto. Die Schranke öffnet sich. Der diensthabende Wachmann grüßt knapp mit der Hand am Helm. Serpentinenartig führt die Straße durch dichten Mischwald nach oben. Die Pufferzone zur DMZ ist kaum besiedelt. Hier und da warnen rote, dreieckige Schilder vor Landminen. Nicht selten kreuzen Tiere plötzlich die Fahrbahn.
    Blick durchs Fernrohr in den Norden: Kahle Hügel, versteppte Flächen
    Auf 264 Metern Höhe dann ein würfelförmiges Holzgebäude. Darauf wehen die Flaggen der UNO und Südkoreas. Doppelter Stacheldrahtzaun zieht seitlich entlang der Hügelkämme seine Schneisen. Bis zur Demarkationslinie, unten am Fluss, sind es nur 800 Meter. So nah kommt man Nordkorea sonst nirgends.
    "Ich stelle schon mal das Fernrohr auf. Wer nicht gleich durchschaut, könnte es später bereuen."
    Beobachtungsposten am Imjin
    Angespannte Situation: Beobachtungsposten am Imjin (Deutschlandradio / Bodo Hartwig)
    Auch schon mit bloßem Auge deutlich zu erkennen: Die nordkoreanischen Hügel sind weitgehend kahl, die Flächen wirken versteppt. Ein Soldat berichtet, wie Bäume und Büsche dort von Zeit zu Zeit niedergebrannt würden. Er selbst habe ein solches Feuer schon erlebt, dabei seien sogar Landminen explodiert. Die Beobachtungsplattform musste damals aus Sicherheitsgründen für Besucher geschlossen werden.
    Lee Seok-Woo, der inzwischen sein Fernrohr ausgerichtet hat, wird von einer Besucherin angesprochen. Sie möchte wissen, wo genau Nordkorea anfängt.
    "Sie sehen doch den Fluss?!"
    "Ja."
    "Der Fluss ist die Trennlinie im Niemandsland. Und dahinter beginnt Nordkorea."
    Er schaut erneut durchs Fernrohr und entdeckt eine Menschenansammlung.
    "Oh, da drüben, vor der Fabrik, ... die sehen aus wie Soldaten in schwarzer Uniform. - Nordkoreaner."
    "Schauen Sie mal. - Sehen Sie die Menschen?"
    "Ich sehe nur ein Auto, ... oh, doch, ich sehe sie."
    "Was sehen Sie?"
    "Ich sehe die Leute. Viele! Was machen die da nur? Da drüben sind noch mehr."
    "Woran denken Sie, wenn Sie die Leute sehen? -
    "Würden Sie sie gerne mal treffen?"
    "Aber natürlich, gerne! - Einfach mal rüber gehen und miteinander reden."
    "Aber wie könnte das gehen?"
    "Wir müssen uns endlich wiedervereinigen."