Als der Fahnenträger Kim Jong Hyon die nordkoreanische Delegation ins Stadion führte, wurde der Jubel während der Eröffnungsfeier noch einmal lauter. Auch Politiker, Funktionäre und Ehrengäste standen auf und applaudierten. Seit Wochen hatte Andrew Parsons, der neue Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, auf diesen Moment hingewirkt, obwohl beide koreanische Teams letztlich getrennt einliefen.
"Wir können die Wirklichkeit nur verändern, wenn wir die Wahrnehmung der Menschen beeinflussen. Ich denke, dass die Teilnahme Nordkoreas ein starker Beleg ist für die Frieden stiftende Kraft des Sports. Ich hoffe, dass die Welt das wahrnehmen wird."
Lage von Behinderten in Nordkorea kritisch
Im Kontrast zu den "sportlichen Helden von Pjöngjang" stehen Aussagen von geflohenen Nordkoreanern und Berichte von NGOs. So gelten behinderte Menschen in Nordkorea als "Beleidigung für das Regime". Sie würden ausgeschlossen, sterilisiert und sogar in abgelegenen Gebirgslagern gefoltert werden. Säuglinge mit einer Behinderung blieben "verschwunden". Auch von medizinischen Experimenten ist die Rede. Sven Schwersensky, Büroleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Seoul, war mehrfach in Pjöngjang unterwegs.
"Ich kann mich eigentlich nicht so richtig erinnern, dass ich dort Rollstuhlfahrer gesehen hätte oder auch im Straßenbild mir Menschen mit Behinderung besonders aufgefallen wären."
"Die Führung will internationale Anerkennung"
2017 durfte erstmals eine UN-Delegation die Lage im Land erforschen. Die Sonderberichterstatterin Catalina Devandas-Aguilar besuchte auch ein Tischtennisturnier, an dem behinderte und nichtbehinderte Spieler teilnahmen. Sie kann aber nicht ausschließen, dass es sich dabei um eine Alibiveranstaltung handelte. Während ihres sechstägigen Aufenthaltes habe sie keinen einzigen Rollstuhlfahrer gesehen. Die Begegnung mit geistig behinderten Menschen wurde ihr verwehrt. Doch in den südkoreanischen Medien ist davon aktuell wenig zu erfahren. Die politische Annäherung zwischen Nord und Süd überstrahlt alles.
"Der Sport war eigentlich, insbesondere die Olympischen Spiele, waren für den südkoreanischen Präsidenten das Vehikel, mit dem er mit Nordkorea ins Gespräch kommen konnte. Indem er ihnen angeboten hat, an diesen Spielen teilzunehmen. Das ist internationale Anerkennung. Das ist etwas, was Nordkorea und die nordkoreanische Führung unbedingt haben möchte."
Nordkoreanischer Behindertensportverband sehr aktiv
Bis 2012 ignorierte Nordkorea die paralympische Bewegung komplett. Durch Wildcards des Internationalen Paralympischen Komitees konnten 2012 ein Schwimmer und 2016 zwei Leichtathleten an den Sommerspielen teilnehmen. Das IPC hätte auch für Pyeongchang mehr als die nun zwei Sonderberechtigungen ausgegeben, doch dazu kam es nach langen Verhandlungen nicht. Stefan Samse, Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Seoul, beschreibt die Paralympics dennoch als wichtige Bühne:
"Es gibt beispielsweise den nordkoreanischen Behindertensportverband. Der ist durchaus aktiv und vor Ort im Land anerkannt. Aber die Aktivitäten gehen deutlich darüber hinaus. Es gibt zwei Büros in der Volksrepublik China, eins in Shenyang und eins in Peking. Sodass darüber für internationale Sportereignisse die Möglichkeiten geschaffen worden sind."
Austausch zwischen deutschem und nordkoreanischem Verband
Was das bedeutet, hat Friedhelm Julius Beucher in der Mensa des Paralympischen Dorfes gemerkt. Am Frühstückstisch tauschte der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes Visitenkarten mit nordkoreanischen Vertretern aus. Beucher hatte ihre Athleten schon Anfang des Jahres beim Weltcup in Oberried im Schwarzwald kennengelernt. In einem Gasthof machten sie gemeinsame Fotos. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Beucher möchte den Austausch fortsetzen und hat die Nordkoreaner ins Deutsche Haus von Pyeongchang eingeladen. Dass sie der Einladung folgen werden, ist unwahrscheinlich. Stefan Samse sieht trotzdem eine Basis:
"Es gab den deutsch-deutschen Sportkalender, über den es in einigen Jahren, in den Siebziger- und Achtzigerjahren bis zu Hunderte von Sport-Begegnungen von Menschen aus Ost und West gab. Von Sportlern, aber eben darüber dann auch von Sportfunktionären, Politikern und eben darüber auch die Zivilgesellschaft ermöglicht wurde. Und ähnliches im anderen Zusammenhang kann ich mir auch vorstellen für die koreanische Halbinsel."