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Norditalien
Die Idealstädte der Renaissance

Die Lombardei und die Emilia-Romagna zählen zu den wichtigsten Regionen der von Italien ausgehenden Kunstepoche der Renaissance. Die drei Städte Ferrara, Mantua und Sabbioneta gehören aus diesem Grund zum UNESCO-Welterbe.

Von Katrin Kühne |
    Straßenszene in Mantua, Italien
    Straßenszene in Mantua, Italien (picture-alliance / dpa / Markus C. Hurek)
    Federico Pellegrini in der südlich des Flusses Po gelegenen UNESCO-Stadt Ferrara ist Besitzer der ältesten Osteria der Welt. Der Endvierziger, schwarze Schürze, schwarzes Piratentuch um den Kopf, ist begeisterter Önologe mit Sinn für historische Weinsorten, wie der Fortana. Den brachte vermutlich schon Renata di Francia in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts mit, quasi als Mitgift aus ihrer französischen Heimat, als sie den Duca Ercole II. d'Este, heiratet.
    Die Este waren vom 13. bis 16. Jahrhundert die Stadtfürsten von Ferrara und Mitbegründer einer sich in Italien damals neu entwickelnden Form der Kunst: die Renaissance, oder italienisch: Rinascimento.
    Die Este zogen berühmte Künstler an ihren Hof. Wie zum Beispiel den Dichter Ludovico Ariosto. Und den zog es schon 1435 in die Osteria, die heute von Federico Pellegrini geleitet wird:
    "Unsere Enoteca hieß ursprünglich Osteria del Chiuchiolino. Das war der Spitzname des Wirts und kommt von ciuc, betrunken, na, eigentlich blau wie ein Veilchen! In den Dokumenten aus dem 15. Jahrhundert, die mein Vater entdeckte, steht, dass der Wirt eine besondere Steuer zahlte, um den Wein nicht wie damals üblich, tagliato, also gemischt mit Wasser, sondern pur ausschenken zu dürfen."
    Von der schmalen Gasse mit der Enoteca sind es nur ein paar Schritte ins historische Zentrum der Stadt. Gegenüber vom Dom ein Zinnen-bekränzter, scheinbar mittelalterlicher Palazzo. Dessen Fassade aber ist Fazit einer radikalen Re-Gotisierung in den 1920er-Jahren, so Kunstwissenschaftlerin Roberta Montanari:
    "Das ist jetzt Rathaus, aber dieses Gebäude ist bekannt als Palazzo Communale und man sieht einen Bogen und an den Seiten des Bogens sieht man zwei Statuen. Diese stellen der Marchese Nicoló III. rechts und links der Sohn Borso d'Este. Und sie hatten Ferrara in eine Hauptstadt der Renaissance verwandelt."
    Ein Schatzkästlein dort ist das Stanzino delle Duchesse. Das goldleuchtende, mit seinen über 450 Jahren schon etwas windschiefe Salönchen ist ganz im Sinne der Wiedergeburt der Antike ausgestaltet. Aurora, die Göttin der Morgenröte grüßt von der Decke, Apollo greift zur Lyra, Bachus-Putti sammeln Weintrauben. Ein kleines Meisterwerk des ferrareser Michelangelo-Schülers Bastianino.
    Der Palazzo Municipale ist über die sogenannte Via Coperta mit dem Castello Estense verbunden. Die wuchtige Wasserburg lässt die Este-Familie über fast zwei Säkuli hinweg zu einer prächtigen Renaissance-Residenz umbauen. Küchen, Kerker und mit kostbaren Fresken ausgeschmückte Säle zeugen von Reichtum, Prunksucht und Grausamkeit.
    Nicoló III. lässt schon mal die eigene, angeblich mit dem Stiefsohn verbandelte zweite Ehefrau kurzerhand köpfen. Auch zu Gift greift man damals gern, vielleicht aus dem Raum des Hofapothekers. Sieht man nicht da im Giardino delle Duchesse die berühmteste, aber auch berüchtigtste Dama della Corte lustwandeln? Lucrezia Borgia, die vermeintliche Giftmischerin, Tochter des Macht besessenen Papstes Alexander VI.?
    Nach zwei vom Vater initiierten Ehen mit mortalem Ausgang für die Gatten wird sie in dritter Ehe nach Ferrara an den Sohn von Borso d'Este verheiratet:
    "Die zweite Frau von Herzog Alfonso I., Lucrezia Borgia, war eine schöne Frau mit blonden Haaren und sie war eine religiöse Frau und diese Frau wurde von der Bevölkerung von Ferrara sehr geliebt."
    Die Zugbrücke des Castello führt direkt in den schnurgeraden Corso Ercole I., das Herzstück der Addizione Erculea, der Renaissance-Erweiterung der Stadt. Ab 1492 lässt dieser Bruder von Borso d'Este, übersetzt bedeutet sein Name ja Herkules, mal so eben die Grundfläche der Stadt verdoppeln. Der Übergang vom kleinteiligen Gassengewirr des Mittelalters zum linearen Straßenraster des Rinascimento ist klar erkennbar. An einer Kreuzung des Corso liegt einer der berühmtesten Renaissancepaläste Italiens, der Palazzo dei Diamanti.
    "Diese Fassade ist von über 8.000 Marmorblöcken verkleidet worden. Diese Marmorblöcke, sie sind wie Diamantenspitzen, natürlich, es handelt sich nicht um Marmor, schade, sondern es handelt sich um Kalkstein. Und dieser Palast wurde für den Bruder des Herzogs Ercole I. errichtet."
    An der Porta degli Angeli wird der Corso zu einer Landstraße:
    "Jetzt kommen die Cafés. Bitte. Also, wo wir jetzt sitzen, war damals das antike Mantua, die römische Stadt Mantua und der Bogen da, das war ein Stadttor bis zum 11. Jahrhundert. Also da vorne, das ist die Cattedrale und hier war ein kleiner Platz vor der Cattedrale und dann, wo wir sitzen, waren die Häuser."
    Die Piazza Sordello mit ihrem Markttreiben ist das Herz von Mantua, meint Stadthistorikerin Sara Motta. Unter dem Pflaster die Römerstadt, um uns Romanik, Gotik und Renaissance. Anders als das romagnolische Ferrara, das mit seiner Addizione Erculea als erste ideale europäische Stadt gilt, ist das lombardische Mantua nördlich des Po in gewisser Weise das Evolutionsmodell einer Renaissancestadt und steht auch deswegen unter dem Schutz der UNESCO.
    Vom Mittelalter an, vier Jahrhunderte lang, beherrscht von der Familie Gonzaga. Als Isabella d'Este 1490 mit 16 Jahren von Ferrara nach Mantua verheiratet wird, beginnt mit der Kunst und Musik liebenden Gattin von Francesco Gonzaga eine Blütezeit des Hofes.
    "In Mantua gibt es so viele Schätze. Natürlich die Gebäude, wo die Gonzaga gewohnt haben, also Herzogspalast, ja Piazza Sordello, und Palazzo Te. Und natürlich dürfen wir auch die Kirchen nicht vergessen."
    Der Palazzo Te des Raffael-Schülers Giuliano Romano gilt an einer der Hauptwerke der italienischen Renaissance. Der Palazzo Ducale mit seinen 500 Räumen wird von den Gonzaga zu einem der grandiosesten Musenhöfe der Epoche ausgebaut, an dem Künstler wie Andrea Mantegna oder der berühmte Claudio Monteverdi wirken.
    Kommt man vom quirligen Mantua, erscheint einem das eine halbe Stunde entfernte Sabbioneta als absolutes Provinznest. Gelegen im flachen Irgendwo der Po-Ebene. An der Piazza d'Armi wartet Kunsthistoriker Stefano Mutti mit einer großen, alten Karte unter dem Arm.
    "Das ist also ein Idealplan vom 16. Jahrhundert. Und Sabbioneta gilt in der Architekturgeschichte als einzigartiges Beispiel einer verwirklichten Idealstadt. Hier hat man das ganze mittelalterliche Dorf niedergerissen und aus dem Nichts eine neue Stadt neu gegründet. Das wurde so von Vespasiano Gonzaga gemacht im 16. Jahrhundert."
    Geerbt hatte der Sabbioneta von seinem Großvater.
    "Die Figur des Vespasiano lässt viele Interpretationen zu. Er hatte dunkle Seiten, wenn man sein Leben betrachtet. Im Grunde genommen war er ein Krieger, der von der Kriegsbeute lebte."
    Der Assessore di Cultura des UNESCO-Welterbestädtchens, Francesco Osini, hat sich sein Leben lang mit dem Duca di Sabbioneta beschäftigt. Vorwiegend als Kriegsherr in spanischen und auch habsburgischen Diensten stehend, ist Gonzaga nur in großen Abständen in Sabbioneta. Trotzdem: Innerhalb von rund 30 Jahren lässt er eine komplette Stadt en miniature aus dem Boden des von ihm abgerissenen Dorfes stampfen. Ein Jahr vor seinem Tod 1591 wird noch sein von dem berühmten Palladio-Schüler Vinzenzo Scamozzi erbautes Teatro all'Antica fertig.
    Wunderbar erhalten der halbrunde Zuschauerraum, darüber die Säulenbalustrade mit Statuen antiker Götter, dahinter, gemalt, römische Kaiser, darunter sein Namensvetter Vespasian.
    "Ich weiß von einer einzigen Vorstellung, die hier aufgeführt wurde, eine Apotheose auf den Herrscher. Man denke sich, unter dem Applaus der Gäste erscheint er auf der Balustrade und setzt sich vor das Abbild des römischen Kaisers Vespasian. Dessen gemalter Arm mit der Krone in der Hand scheint über ihm zu schweben. Er, der Duca di Sabbioneta, Vespasiano Gonzaga, als einer der Ihren, ein moderner Imperator."
    Mehr Renaissance geht nicht!