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Nordkaukasus unter Verdacht?

Zwei Bombendetonationen haben heute in Moskau mindestens 38 Todesopfer gefordert. Die russischen Behörden vermuten dahinter einen Terrorakt. Prof. Hans-Henning Schröder, Forschungsgruppenleiter Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik, warnt davor, allzu schnell von einem "islamistischen" Anschlag zu sprechen.

Hans-Henning Schröder im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Um 6.24 Uhr kam die erste Eilmeldung der Nachrichtenagentur Reuters. Inhalt: bei einer Explosion in der Moskauer U-Bahn habe es zahlreiche Tote gegeben. Zunächst war völlig unklar, ob es sich dabei um ein Unglück, oder einen Terroranschlag handelte. Als dann die Nachricht von einer zweiten Explosion kam, wurde klar: eine technische Ursache dürfte ausgeschlossen sein. Und so gehen die russischen Behörden tatsächlich von einem Terrorakt aus. Mindestens 38 Menschen sind dem Doppelanschlag zum Opfer gefallen. Die Zahl der Toten aber könnte noch steigen. Die Reaktion der russischen Führung fiel prompt aus. Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich am Rande ihres Türkei-Besuches erschüttert. Bundesaußenminister Guido Westerwelle nannte die Anschläge verabscheuungswürdig und durch nichts zu rechtfertigen. Er gehe zur Stunde davon aus, dass keine Deutschen unter den Opfern seien. Am Telefon begrüße ich Professor Hans-Henning Schröder, Forschungsgruppenleiter Russland der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Schröder.

    Hans-Henning Schröder: Guten Tag!

    Heckmann: Herr Schröder, wenn in Russland Anschläge geschehen, sind die Behörden schnell dabei, die Urheberschaft bei tschetschenischen Terroristen auszumachen. Zurecht auch in diesem Fall?

    Schröder: Das kann ich natürlich nicht sagen, aber die Attentate in den letzten Jahren sind entweder von russischen Rechtsextremisten, oder von Leuten mit nordkaukasischem Hintergrund verübt worden. Insofern ist es nicht unwahrscheinlich, zumal – und das sollte man vielleicht noch mal hervorheben – wir haben seit Jahren im Nordkaukasus, nicht nur in Tschetschenien, sondern auch in den anderen Regionen, die genannt worden sind, Dagestan, Inguschetien, eine Situation, die an einen Krieg grenzt: mit Anschlägen, Bomben, Attentaten jeden Tag. Das ist natürlich ein Nährboden für solche Anschläge, die jetzt auch nach Moskau getragen werden.

    Heckmann: Dass es sich bei den Tätern oder Täterinnen um Selbstmordattentäterinnen gehandelt haben soll, auch das spricht für einen islamistischen Hintergrund?

    Schröder: Ich würde das Wort "islamistisch" nicht so leichtfertig benutzen. Die Situation im Nordkaukasus ist eine Gemengelage verschiedener Motive. Darin kommen auch Islamisten vor, aber wir haben Separatisten, wir haben Clan-Kämpfe, wir haben auch Konflikte mit kriminellem Hintergrund. Das mischt sich sehr stark. Dass eine Gruppe jetzt glaubt, sie muss den Krieg aus dem Nordkaukasus nach Moskau tragen, ist denkbar. Ob das eine islamistische Gruppe ist, können wir im Moment nicht sagen.

    Heckmann: Herr Professor Schröder, es gab in letzter Zeit immer wieder Spekulationen, dass der Geheimdienst selbst hinter solchen Anschlägen stecken könnte. Wie ernst sind solche Gedankenspiele zu nehmen?

    Schröder: Es hat diese Überlegung gegeben bei den Anschlägen auf Wohnhäuser im Jahr 1999, die damals Anlass waren oder Auslöser für den russischen Einmarsch nach Tschetschenien. Bei jüngeren, letzten Attentaten ist eigentlich dieser Verdacht selten aufgekommen.

    Heckmann: Der Anschlag oder einer der beiden Anschläge jedenfalls hat in unmittelbarer Nähe zur Zentrale des Inlandsgeheimdienstes FSB stattgefunden. Was bezwecken die Terroristen?

    Schröder: Über deren Motive kann man natürlich im Moment nur spekulieren. Ich denke, dass zumindest der Anschlag in der Station Lubianka – das ist der Platz, an dem tatsächlich früher das Hauptquartier des KGB, jetzt ist es das Hauptquartier des FSB liegt. Das könnte einen symbolischen Wert haben. Park Kultury ist halt eine sehr stark frequentierte Metro-Station, aber Lubianka hat eine symbolische Bedeutung.

    Heckmann: Der Anschlag ist zugleich ein Zeichen für die Aktionsfähigkeit derartiger Kräfte. Ist es denn so, dass der Druck der Sicherheitsbehörden in der Vergangenheit abgenommen hatte?

    Schröder: Wie ich schon sagte, Sie müssen sich vorstellen, dass in vier oder fünf Republiken im Nordkaukasus Krieg geführt wird, auf niedrigem Niveau, aber es gibt jeden Tag Anschläge auf Polizeikräfte, es gehen Bomben hoch, die Sicherheitskräfte unternehmen Spezialoperationen und versuchen, das was sie Banden nennen zu jagen und zu vernichten. Sie haben jetzt im ausgehenden Winter dort auch relativ Erfolg gehabt. Das ist oft jahreszeitenabhängig, weil das ja zum Teil im Hochgebirge stattfindet. Aber offensichtlich sind diese Gruppen stark genug und verfügen über genug Sprengstoff, das Know-how, um so etwas auch nach Moskau reinzutragen.

    Heckmann: Der russische Präsident hat jetzt ja schon angekündigt, dass der Kampf gegen den Terror fortgesetzt wird, bis zum bitteren Ende sozusagen. Wird dieser Anschlag, dieser Doppelanschlag Anlass sein, im Kaukasus, in Tschetschenien das Militär wieder stärker in Aktion treten zu lassen?

    Schröder: Wir haben eigentlich seit zwei Jahren und jetzt verstärkt noch mal im letzten Jahr einen Strategiewechsel der Russen gehabt. Natürlich kämpfen sie weiter mit allen Mitteln, auch militärischen Mitteln gegen Terrorismus, aber sie versuchen jetzt, vor allen Dingen auch das Umfeld auszutrocknen, indem sie die sozial-ökonomische Situation, also den Lebensstandard der Leute verändern wollen. Man hat dazu einen besonderen Verwaltungsbezirk, den nordkaukasischen Föderalbezirk gegründet, hat an deren Spitze einen exzellenten Administrator gesetzt, einen Manager aus der Wirtschaft mit Verwaltungserfahrung, Chloponin, der genau das machen soll. Er soll nämlich sozusagen den Lebensstandard und die Lebenssituation verbessern in der Hoffnung, dass man damit Terrorismus auf die Dauer austrocknen kann. Das hat aber bisher noch keine Erfolge gezeitigt, ist vielleicht auch zu kurz.

    Heckmann: Und denken Sie, dass dieser Kurs weiter verfolgt wird, trotz der Doppelanschläge jetzt?

    Schröder: Das denke ich deshalb, weil Medwedew und Putin ganz rational sehen, man kann diesen Bürgerkrieg im Nordkaukasus nur beenden, indem man den Leuten sozusagen das, was sie motiviert, gegen die Russen zu kämpfen, nimmt, nämlich ihre Armut.

    Heckmann: Und die Fortsetzung einer solchen Strategie würde auch die Unterstützung der Bevölkerung finden?

    Schröder: Auf die Dauer wahrscheinlich ja, wobei das Grundproblem ist auch ein Kampf mit der eigenen Bürokratie, die ineffizient und korrupt ist.

    Heckmann: Doppelanschläge in Moskau, Spekulationen über die Urheberschaft und mögliche Folgen. Ein Gespräch war das mit Professor Hans-Henning Schröder von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Herr Schröder, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Schröder: Auf Wiederhören.