Als Yeonmi Park vor zweieinhalb Jahren erstmals öffentlich auftrat, über ihre Heimat Nordkorea sprach und über ihre abenteuerliche Flucht, rührte sie ihre Zuhörer zu Tränen. Auch für sie selbst war es ein emotionsgeladener Moment. In einem rosafarbenen traditionellen koreanischen Kleid mit hoher Taille und bauschigem langem Rock stand die damals 21-Jährige beim One Young World Summit in Dublin auf der Bühne und erzählte schluchzend von Hunger und Entbehrungen, von Verfolgung und Tod.
"Nordkorea kann man sich nicht vorstellen. Ein Land mit einem einzigen Fernsehkanal und ohne Internet. Die Menschen dürfen nicht frei sprechen oder frei denken. [...] Und es ist das einzige Land der Welt, in dem Menschen dafür hingerichtet werden, dass sie unerlaubt internationale Telefonanrufe gemacht haben. Als ich neun war, habe ich die öffentliche Hinrichtung der Mutter einer Freundin erlebt. Ihr Verbrechen: Sie hatte sich einen Hollywood-Film angesehen."
Nordkoreanischer "Doppeldenk"
Seit diesem Auftritt in Irland ist Yeonmi Park international unterwegs – spricht über ihr Leben in Nordkorea, über Menschenrechte, und wirbt, ganz nebenbei, für ihre Autobiographie, die mittlerweile in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Was sie erzählt, ist erschütternd: Geboren 1993 in Hyesan im Norden Nordkoreas, direkt an der Grenze zu China, wuchs sie zunächst in relativ gesicherten Verhältnissen auf, bis ihr Vater wegen Schmuggels verhaftet wurde. Die Familie wurde daraufhin nicht nur verfolgt, sondern bekam auch die Hungersnot der 90er Jahre voll zu spüren. Eindrücklich erzählt Park von ihrem Kinder-Alltag, von Entbehrungen, den absurden Huldigungen an die sozialistische Kim-Dynastie, von der ständigen Überwachung. Und sie beschreibt das, was George Orwell in seinem Roman "1984" als "Doppeldenk" bezeichnete: die Fähigkeit gleichzeitig zwei völlig entgegengesetzte Vorstellungen in sich zu tragen und dies nicht als Widerspruch zu empfinden: Nordkoreanischer Doppeldenk geht so:
"Dass man am Morgen Parolen gegen den Kapitalismus skandieren und nachmittags durch den Markt laufen und aus Südkorea eingeschmuggelte Kosmetik kaufen kann. Oder dass man Nordkorea für ein sozialistisches Paradies hält, das beste Land mit den glücklichsten Menschen der Welt [...] und gleichzeitig Filme und Fernsehsendungen verschlingt, in denen ganz gewöhnliche Menschen im Land des Feindes in einem Wohlstand leben, den man sich selbst nicht einmal im Traum hätte vorstellen können."
Illegal in China
Als Yeonmi Park 2007 als 13-Jährige zusammen mit ihrer Mutter nach China flieht, ist es nicht der Durst nach Freiheit, der sie antreibt, sondern schlicht der Hunger. Zu Essen gibt es in China genug – weißen, geschälten Reis, unbekannte Früchte wie Erdbeeren. Doch Mutter und Tochter sind von skrupellosen Menschenhändlern über die Grenze gebracht worden und werden an chinesische Männer verkauft. Sexuelle Gewalt wird Teil ihres Alltags. Die Schilderungen aus China werfen Licht auf eine Welt, die – wie Nordkorea – kaum bekannt ist: Die Flüchtlinge leben in China illegal im Untergrund, immer mit der Angst entdeckt und nach Nordkorea zurückgeschickt zu werden. Yeonmi Parks Berichte lassen ahnen, wie diese Unterwelt funktioniert; sie erzählt, wie sie zum Opfer wird, aber auch zur Komplizin, die – um zu Überleben - ihrem "Besitzer" beim Verkauf anderer junger Nordkoreanerinnen hilft. Erst zwei Jahre später gelingt ihr und der Mutter die Flucht nach Südkorea. Dort dauert es lange, bis sich die beiden Frauen in der neuen Gesellschaft zurechtfinden:
"Ich hätte nie gedacht, dass Freiheit so [...] schwierig sein könnte. Bisher hatte ich immer geglaubt, frei zu sein bedeute, Jeans tragen zu können und alle Filme sehen zu dürfen, ohne Angst haben zu müssen verhaftet zu werden. Jetzt merkte ich, dass ich ununterbrochen denken musste, und das war anstrengend. Es gab Zeiten, in denen ich mich fragte, ob ich nicht – vom ständigen Hunger mal abgesehen - in Nordkorea besser dran gewesen wäre, wo mir alles Denken und alle Entscheidungen abgenommen wurden."
Zweifel bleiben
Yeonmi Park erzählt ihre Geschichte in einfacher Sprache und meist in einem sachlichen Ton – was sich wohltuend von ihren tränenreichen öffentlichen Auftritten unterscheidet. Man merkt den Einfluss ihrer amerikanischen Ko-Autorin Maryanne Vollers, einer Journalistin.
Und doch bleiben Zweifel – wie bei allen Schilderungen nordkoreanischer Überläufer. Niemand kann nachprüfen, was Yeonmi Park über die Zustände in ihrer Heimat sagt. Vieles deckt sich mit den Berichten anderer Überläufer, doch manche Details – etwa die Hinrichtung wegen eines Hollywood-Films - halten Experten für wenig glaubwürdig. Widersprüchliche Interviewäußerungen von Park nähren die Skepsis. Wie auch ihre Auftritte in einer südkoreanischen Unterhaltungsshow, mit denen sie zeitweise Geld verdiente.
Die Show ist bizarr: Hübsche junge Frauen aus Nordkorea plaudern in einem bunten Studio mit südkoreanischen Prominenten. Dazwischen gibt es Gesangs- und Tanzeinlagen. Yeonmi Park wurde für die Sendung – von den Produzenten wie sie sagt - zu einer Art nordkoreanischen "Paris Hilton" gestylt. Der Eindruck einer privilegierten Tochter aus Nordkoreas Elite passt wenig zu dem Bild, das sie in ihrem Buch von sich selbst und ihrer Familie zeichnet. Wenig überzeugend auch ihre Auftritte in den sozialen Medien. Auf ihrer offiziellen Facebook-Seite postet sie vor allem Bilder von sich selbst – bei Konzerten und Musicals. Unbefangene Einträge einer heute 23-Jährigen? Vielleicht. Aber irgendwie passt auch das nicht zu ihrem Selbstbild als nordkoreanische Menschenrechtsaktivistin. Das Problem: Letztlich geht es immer nur um sie, um ihre Geschichte. Die ist zwar ungewöhnlich – und trotz aller Zweifel an Details durchaus lesenswert. Aber darüber hinaus hat Yeonmi Park erstaunlich wenig zu sagen. Und das ist schade.
Yeonmi Park: "Meine Flucht aus Nordkorea"
Goldmann, 319 Seiten, 9,99 Euro.
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