Dirk Müller: Donald Trump und Kim Jong-un, die USA mit Korea und nicht gegen Korea. "Wir haben eine tolle Beziehung", sagt der amerikanische Präsident. Unser Thema mit dem Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke. Guten Tag!
Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller.
Müller: Spreng das immer noch alle politischen Dimensionen?
Hacke: Ja, ich denke schon. Wir sind immer wieder überrascht, und was rauskommen wird bei diesem Gipfel, wissen wir nicht, denn Trump ist immer für eine Überraschung gut. Und es ist alles drin!
Müller: Ist das wichtig, was dabei herauskommt?
Hacke: Ja, das kommt darauf an, was man als Erfolg ansieht. Da sind ja die Meinungen auf beiden Seiten noch sehr, sehr unterschiedlich. Ich denke, das Schlüsselproblem ist natürlich die Denuklearisierung, wobei die Nordkoreaner ein ganz anderes Verständnis haben als die Amerikaner. Ich glaube kaum, dass Kim substanziell auf seine Atomwaffen verzichten wird. Das ist die Garantie seines Regimes zum Überleben, auch prestigemäßig in der Welt. Aber es kann sich trotzdem was bewegen, denn ich habe das Gefühl, als ob sich der Schwerpunkt der Beziehungen und auch der Gespräche verlagern wird zum Ökonomischen hin. Da ist natürlich die Frage, ob Kim sich durchsetzen kann – der möchte Atommacht bleiben und Modernisierungshilfen bekommen -, oder ob die amerikanische Seite sagt, nein, so geht’s nicht.
Fokus auf Verbesserung der Beziehungen?
Müller: Führt die Wirtschaft und vielleicht auch die wirtschaftliche Förderung, die Investition, wie auch immer, westlichen Kapitals, amerikanischen Kapitals dann möglicherweise dazu, dass dieses Verständnis der Denuklearisierung, wie Sie es gerade formuliert haben, dann neu gedacht und definiert wird in Pjöngjang?
Hacke: Die Frage ist, wie neu gedacht. Sie kann nach hinten geschoben werden. Das ist die Frage. Aber die Nuklearwaffen bleiben für Kim, glaube ich, unverzichtbar. Aber der Präsident hat ja schon angedeutet, gestern in einem Satz, dass er sagte, solange jetzt keine neuen Atomwaffentests und keine neuen Raketen von Nordkorea abgeschossen werden, bin ich eigentlich schon sehr zufrieden. Das ist eigentlich ein Signal. Ich will nicht sagen, dass er bereit ist, es auf die lange Bank zu schieben, aber es geht in diese Richtung. Frage natürlich, ob seine Entourage, ob Amerika, ob die Republikanische Partei, ob auch die Demokraten, ob Amerika hinter einer solchen Strategie steht. Das ist die große Frage.
Müller: Wie könnte das die Fachwelt definieren und wörtlich bezeichnen? Herr Hacke, an Sie die Frage. Passive Atomwaffen?
Hacke: Da können sie nicht viel drum herumreden. Sie können nur sagen, entweder hat Nordkorea den Nuklearstatus und behält ihn, oder nicht. Ich glaube, hier wird es substanziell keine Veränderung geben, höchstens, dass kosmetisch die Dinge, sagen wir mal, diplomatisch gesehen auf die längere Bank geschoben werden. Und dass das andere Thema, die Wirtschaftsbeziehung und natürlich auch die Frage eines möglichen Friedensvertrages, die Verbesserung der bilateralen Beziehungen zwischen Amerika und Nordkorea, das könnte in den Vordergrund rücken. Und ich würde nicht ausschließen, dass am Ende des Besuches auch eine Einladung von einer Seite an den anderen in die andere Hauptstadt, sei es nach Pjöngjang oder nach Washington steht. Bei Trump ist alles möglich.
"Kim versucht, sich als Reformer zu entwickeln"
Müller: Wenn wir bei dieser Interpretation oder Spekulation einmal bleiben, Herr Hacke, die Nordkoreaner bleiben bei ihren Atomwaffen und das wird irgendwie anders definiert, vielleicht auch mit einem Kontrollregime oder wie auch immer, sie bleiben dabei - und Donald Trump hat schon angedeutet, mehr oder weniger, das könnte er vielleicht gerade mittelfristig noch akzeptieren -, können das die Südkoreaner akzeptieren?
Hacke: Das ist wichtig, dass Sie die Frage stellen. Denn ich sage mal jetzt ein bisschen absurd, aber stellen Sie sich 1989 vor, eine nukleare DDR mit einem starken Putin im Rücken, und dem gegenüber stehen wir Bundesrepublikaner in den Wiedervereinigungsverhandlungen. Das ist natürlich ein bisschen absurd, was ich sage. Aber da wird Ihnen nur klar, wenn Sie das auf Korea übertragen, dass die Nordkoreaner als Nuklearmacht natürlich auch hier einen eminenten Vorteil behalten wollen in möglichen zukünftigen Wiedervereinigungsverhandlungen, denn da wird ja nicht geplaudert, sondern es geht um Stärke. Da will man auch ein bisschen Erpressungspotenzial dabei haben. Da ist eine Menge drin und das beunruhigt natürlich ganz enorm auch die Südkoreaner, und davon abgesehen natürlich auch den nächsten Spieler in der Region Japan.
Müller: Wie wichtig ist das persönliche Motiv von Kim Jong-un, die Macht zu erhalten, dort nicht in Frage gestellt zu werden, solange er Atomwaffen hat oder die Macht darüber hat?
Hacke: Absolut! Das ist seine Priorität. Aber darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen: Er versucht, sich als Reformer zu entwickeln. Das ist ganz klar. Seine Vorbilder sind Deng Xiaoping und nicht zuletzt Vietnam. Das wurde ja auch vorhin angedeutet. Vietnam hat einen enormen Sprung gemacht. Das ist kein Steinzeit-Kommunismus, wer da mal war. Und wenn Sie an den Strand von Da Nang gehen, das ist die Riviera des Fernen Ostens in 20 Jahren.
Was ihm vorschwebt für Nordkorea, ist natürlich ein Modell, wo neue extra Wirtschaftszonen vielleicht aufgebaut werden, wo jetzt weiter die Agrarwirtschaft ein bisschen liberalisiert wird. Das will er mit Hilfe von außen. Ihm geht es um Verringerung, Aufweichung der Sanktionen. Das ist für ihn ganz zentral und da muss er natürlich wieder in gewisser Weise auch liefern, und natürlich in der Atomfrage. Da dreht sich das Ganze wieder im Kreis. Der Schwanz beißt sich mit dem Hund, hätte ich beinahe gesagt.
Müller: Wenn wir in den vergangenen Jahren darüber geredet haben, über Nordkorea, haben wir immer gesagt, beziehungsweise haben Sie auch festgestellt, wie auch die Beobachter, die Fachwelt, die sich damit detaillierter auseinandersetzen, der entscheidende Faktor ist immer auf der internationalen Bühne China.
Hacke: Ja.
Müller: Wo ist jetzt Peking? Wo ist China?
Hacke: China ist eigentlich auch am Status quo interessiert. Und China hat natürlich auch gewisse Befürchtungen, dass nun durch diese kühne Diplomatie und dass vielleicht auch Kim und Trump sich einigen, gemeinsame wirtschaftliche Entwicklungen ins Auge zu fassen, dass in dieser Weise vielleicht China in den Hintergrund rücken könnte. Das ist nicht nur China; da ist ja auch noch Russland als Player dabei, übrigens ein treuer alter Gefährte des nordkoreanischen Regimes. Den Russen verdanken sie ja letztlich, dass sie Nuklearstatus bekommen haben. Es sind eine Menge dabei und es ist ein kühner Schritt. Es ist nicht nur negativ, falls Trump auf den Nuklearwaffen-Verzicht weiter pocht bei Nordkorea, sondern da sind auch eminent andere, fundamentale, geostrategische Entwicklungen möglich, wenn er sich dort auf bessere Beziehungen mit Kim einigen kann.
Andere Situation bei Pakistan und Indien
Müller: Reden wir noch einmal über die Atomwaffen zum Schluss unseres Interviews, Herr Hacke. Wir haben Sie etwas früher angerufen. Sie haben unseren Korrespondenten auch aus Indien respektive Pakistan gehört. Der Konflikt Pakistan-Indien, er ist wieder einmal ausgebrochen. Vielleicht sind das im Moment Waffen-Scharmützel, wie auch immer; wir können das noch nicht genau definieren. Seit Jahrzehnten geht das auch dort hin und her. Wenn Sie sagen, vielleicht bekommt Nordkorea diesen Atomwaffen-Status akzeptiert aus der Sicht Washingtons, für einige Jahre oder auch für immer. Bei Indien und Pakistan wurde das ja auch immer diskutiert, ist das im Grunde auch schon längst Realpolitik, dass die beiden über Atomwaffen verfügen -, die beiden jetzt gegeneinander, gibt es eine derart gefährliche Situation, dass das nicht Priorität haben müsste?
Hacke: Die Situationen sind natürlich schwer vergleichbar. Sie haben in Korea eine Situation, wo der nördliche Teil Nuklearmacht ist und in zukünftigen Wiedervereinigungsverhandlungen deshalb natürlich auch eine Politik und Diplomatie der Stärke sehr viel nachdrücklicher formulieren kann. Das ist auch die Angst der Südkoreaner.
Bei Pakistan und Indien haben Sie eine andere Situation. Sie haben einmal die Grenzkonflikte in Kashmir und dann haben Sie zweitens natürlich das Phänomen des Terrorismus. Islamistische Gruppen werden geduldet von Pakistan. Die schießen dann rüber nach Indien, haben wie gesagt vor ein paar Wochen gerade 40 Inder getötet. Darauf wollte oder musste Indien reagieren. Hier ist ein anderes Phänomen, was wir zunehmend sehen, militanter oder auch selbstgerechter Nationalismus, der um sich greift in Asien - ich will nicht sagen in Europa auch nicht in dieser Form -, aber das ist insgesamt der Trend. Das ist gefährlich, und jetzt kommt die gute Nachricht: So absurd sich das anhören mag, die Nuklearwaffe auf beiden Seiten, sowohl Pakistan als auch Indien, ist aus meiner Sicht Garant dafür, dass diese Auseinandersetzungen, dass die Scharmützel nicht in einen Krieg eskalieren werden. Denn jeder weiß, der andere hat auch Nuklearwaffen, und ich denke und hoffe, das wird dann bremsend wirken.
Müller: Atomare Abschreckung ist immer noch ein probates Mittel?
Hacke: Ja, regional. Wenn etwa gleichstarke Nuklearmächte aufeinandertreffen, dann kann das nukleare Gleichgewicht hier im regionalen Rahmen stabilisierend wirken. Ich will keine Atomwaffen schönreden, aber man muss ihre Ambivalenz in der Wirkung sehen. Sie sind nicht nur kriegstreibend, sondern sie können auch stabilisierend wirken. Und seitdem die beiden Länder Nuklearwaffen haben, sind die wirklichen Kriege, die sie gehabt haben seit Ende der 40er-Jahre – das waren, glaube ich, mindestens drei -, die sind seitdem nicht mehr eingetreten, und darauf setze ich jetzt auch.
Müller: Der Politikwissenschaftler und Konfliktforscher Professor Christian Hacke bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
Hacke: Ich danke Ihnen auch, Herr Müller!
Müller: Ihnen noch einen schönen Tag.
Hacke: Ja, Ihnen auch.
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