Daniel Heinrich: Am Telefon ist jetzt Oliver Meier, Sicherheitsexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Abend, Herr Meier.
Oliver Meier: Schönen guten Tag.
Heinrich: Herr Meier, auch der UN-Sicherheitsrat befasst sich jetzt mit dem Fall. Diese Interkontinentalrakete, da hören wir, die hat eine Reichweite von ungefähr 13.000 Kilometern. Washington und Berlin, beide im Radius. Ist das eine neue Stufe der Eskalation?
Gesamte USA in Reichweite
Meier: Es ist eine konsequente Weiterentwicklung der nordkoreanischen Raketenfähigkeiten. Der Durchbruch ist Nordkorea eigentlich im Juli schon gelungen, als sie zweimal eine Rakete getestet haben, die theoretisch die USA erreichen kann, und damit war eigentlich aus nordkoreanischer Sicht das wichtigste Ziel erreicht, dass die USA auch bedroht werden können. Diese Rakete hätte theoretisch die Reichweite, nicht nur die Westküste der USA oder Alaska zu erreichen, sondern tatsächlich die gesamte USA zu bedrohen, und insofern ist das doch schon noch mal ein wichtiger Fortschritt.
Heinrich: Kim Jong-un hat schon 2014 gesagt, dieses Raketenprogramm soll bis Ende 2017, also Ende diesen Jahres, abgeschlossen sein. Hat man diesen Mann unterschätzt?
Meier: Nein, man hat ihn, glaube ich, nicht unterschätzt. Er hat viele seiner Ankündigungen tatsächlich auch umgesetzt. Das Interessante ist tatsächlich, dass die Erklärung der nordkoreanischen Regierung nach diesem Test etwas anders ist im Ton als die vorherigen, und zwar genau dieser Punkt, den Sie in der Frage gestellt haben, taucht dort zweimal auf: Nordkorea betont, man hätte die Entwicklung der Raketen nicht abgeschlossen, aber diese Rakete, diese neue Rakete, die hier getestet worden ist, würde die nordkoreanischen Anforderungen erfüllen und insofern wäre das Programm erfüllt. Das wird in verschiedenen Formulierungen wiederholt. Stellt sich die Frage, ob sich hier die Chance bietet, vielleicht auch eine Pause, ein Moratorium, mit Nordkorea zu vereinbaren, wenn das hier tatsächlich die nordkoreanische Position jetzt ist.
Hochbrisante Situation
Heinrich: Müssen wir, müssen sich die USA fürchten?
Meier: Ja, fürchten muss man sich auf jeden Fall. Die Situation ist tatsächlich hoch brisant. Und auch die rhetorische Eskalation ist ja da. Auch militärisch ist die Lage konfliktreich – nicht so sehr, weil vielleicht hier von einer der beiden Seiten bewusst ein Krieg angefangen wird, aber es besteht natürlich die reale Gefahr, dass hier eine militärische Krise, von der wir in der Vergangenheit ja einige hatten, außer Kontrolle gerät. Und dann ist das eine sehr instabile Situation in Bezug auf nukleare Abschreckung mit einer sehr großen mächtigen Nuklearmacht und einer sehr kleinen Nuklearmacht, die auch ganz wenig Erfahrung im Umgang mit diesen Waffen hat. Das ist eine Konstellation, wo wir auch historisch wissen, das ist sehr gefährlich.
Heinrich: Lassen Sie uns, Herr Meier, das doch noch mal ein bisschen weiter spinnen. Wie muss ich mir das vorstellen? Mal angenommen, Nordkorea schießt eine Rakete ab, wohin auch immer, die landet, zum Beispiel in den USA, in Los Angeles, in Washington, wie auch immer, dann würden doch die USA sofort zurückschlagen. Das wär’s mit Nordkorea. Das wissen die doch. Deswegen würden sie doch so was nie machen.
Gefahr der Eskalation besteht
Meier: Das stimmt. Deswegen ist diese Gefahr einer bewussten militärischen Eskalation wahrscheinlich gering. Davon gehen wir mal aus. Aber es besteht die Gefahr, dass ein militärischer Konflikt eskaliert, zum Beispiel, wenn die USA versuchen würden, den nächsten nordkoreanischen Raketentest abzufangen mit Raketenabwehrsystemen, oder sogar einen solchen Test zu verhindern, indem man eine solche Rakete, bevor sie getestet wird, am Boden zerstört. Dann würde Nordkorea vielleicht konventionell zurückschlagen. Das Ganze kann sehr schnell eskalieren und dann ist Nordkorea möglicherweise in einer Situation, weil es sehr wenige, vergleichsweise wenige Atomwaffen und Trägersysteme hat, sich zu überlegen, setze ich diese wenigen Raketen jetzt zur Abschreckung ein, oder einige wenige davon, oder verliere ich sie möglicherweise, angesichts der militärischen Übermacht der USA. Das ist diese Instabilität – "use them or lose them" , dies Dilemma – dass Nordkorea sehr schnell damit umgehen muss. Das ist die Instabilität, die dann droht in einem solchen Krisenfall.
Heinrich: Ist das ein realistischer Schachzug, dass die USA da einschreiten?
Meier: Es ist so, dass wir gerade vom amerikanischen Präsidenten, aber nicht nur von ihm, immer wieder hören, dass man diese Situation nicht tolerieren könne, dass man auch nicht bereit ist, sie hinzunehmen, dass Nordkorea die USA nuklear abschreckt. De facto ist das, glaube ich, schon so, dass diese Fähigkeiten jetzt da sind, zumindest die USA große Ungewissheit haben, ob Nordkorea jetzt tatsächlich über diese Fähigkeiten verfügt. Von daher ist das Dilemma auf amerikanischer Seite da. Wenn man dieses nicht akzeptieren will, wie man das mehrfach gesagt hat, ist die Frage, wie man hier das Rad zurückdrehen kann, und da ist zwangsläufig dann eine militärische Option mit auf dem Tisch. Diese Gefahr ist, glaube ich, tatsächlich da.
Nordkorea verweist auf Irak und Libyen
Heinrich: Spielen wir mal den Advocatus Diaboli: Können Sie Kim Jong-un eigentlich darin nachvollziehen, dass er dieses Raketenprogramm so weiterentwickelt?
Meier: Ja und nein. Die nordkoreanische Argumentation ist ja sehr stark, wenn man über diese Waffen verfügt, wird man nicht angegriffen. Und die Nordkoreaner verweisen explizit auch auf die Beispiele Irak und Libyen, wo hier Regime von den USA militärisch oder mit amerikanischer Billigung militärisch gestürzt wurden.
Heinrich: Das klingt ja erst mal eingängig.
Meier: Genau. Dieses Argument ist tatsächlich nachvollziehbar. Was Nordkorea dann nicht mitdenkt ist natürlich, dass eine solche Abschreckungsfähigkeit aus amerikanischer Sicht nicht akzeptabel ist, dass die Situation sehr instabil ist und dass das kein Zustand ist, der auf Dauer, glaube ich, zur Sicherheit beiträgt. Entweder, weil alle solche Krisen ungewollt eskalieren können, aber auch, weil solche Programme nachweislich auch nicht mehr politischen oder sicherheitspolitischen Einfluss generieren. Von daher kommt Nordkorea bestenfalls in eine Pattsituation, wo es mit einem dichten Netz von Sanktionen überzogen ist, ökonomisch sich nicht entwickeln kann und militärisch weiterhin bedroht wird. Das ist ja keine nachhaltige Sicherheitspolitik, die dort betrieben wird.
Heinrich: Neben den persönlichen Beleidigungen, die da zwischen Donald Trump und Kim Jong-un hin und herfliegen, haben Sie schon eine Sache jetzt erwähnt: diese Sanktionen. Donald Trump hat erwähnt, weitere Sanktionen gegen Nordkorea würden jetzt angestrebt. Er hat sich auch, so kann man bei Twitter nachlesen, mit dem chinesischen Präsidenten darüber abgestimmt. Ist das ein kluger Schachzug?
Sanktionen wirken vielfältig
Meier: Ja, Sanktionen sind wichtig. Das muss man klar sagen. Man muss aber auch realistischerweise sagen, dass es unwahrscheinlich ist, dass Nordkorea sein Atomprogramm auf der Grundlage von Sanktionen aufgeben wird. Das ist ja das deklarierte Ziel der USA, dass man hier so viel Druck ausübt, dass Nordkorea irgendwann sagt, das lohnt sich nicht mehr für uns, die Kosten-Nutzen-Rechnung geht nicht mehr auf und wir sind bereit, über unsere Atomwaffen zu verhandeln. Das sehe ich nicht, weil tatsächlich das Überleben des Regimes aus Sicht des Regimes sehr stark an dem Besitz dieser Waffen hängt. Im Umkehrschluss heißt das aber nicht, dass Sanktionen nutzlos sind, sondern sie können dazu beitragen, diese Programme zu verlangsamen. Das haben sie wahrscheinlich auch schon. Die können vor allen Dingen auch dazu beitragen, dass Nordkorea diese Nuklear- und Raketentechnologie nicht verkauft. Der Anreiz ist für Nordkorea wahrscheinlich relativ stark und sie tragen auch dazu bei, dass die internationale Gemeinschaft insgesamt geschlossen reagiert. Damit signalisiert sie natürlich auch anderen Staaten, die vielleicht ähnliche Überlegungen anstellen: Wenn ihr das machen wollt, ist das extrem teuer und führt dazu, dass ihr international dauerhaft isoliert werdet. Auch das ist nicht zu unterschätzen, diese Bedeutung. Aber das Ziel, was über allem schwebt, dass Nordkorea tatsächlich dazu gebracht wird, Atomwaffen aufzugeben, da bin ich recht skeptisch.
Heinrich: Oliver Meier, Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Danke für das Gespräch.
Meier: Sehr gerne.
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