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Nordkorea
"Man merkt, dass die Sanktionen greifen"

Berichte aus Nordkorea sind selten, das kommunistische Land schottet sich ab. Die Caritas aber unterhält dort Hilfsprojekte in der Gesundheitsfürsorge. Vor allem auf dem Land hätten die Menschen mit Mangelernährung zu kämpfen, sagte Oliver Müller, Leiter der Caritas International im Dlf. Die UN-Sanktionen verschärften die Lage.

Oliver Müller im Gespräch mit Christine Heuer |
    Der Leiter von Caritas International, Oliver Müller
    "Wir können dazu beitragen, dass Nordkorea aus dieser furchtbaren Isolation auch herauskommt", sagte der Leiter von Caritas International, Oliver Müller im Dlf. (dpa / picture alliance / Rainer Jensen)
    Christine Heuer:Nordkorea spielt mit dem Feuer. Zwei Atomtests, eine ganze Reihe Raketentests, die Drohung, bald auch Raketen mit einer Reichweite bis in die USA abfeuern zu können, all das bringt die US-Regierung mächtig auf. Es besorgt Nordkoreas Nachbarn China auch zutiefst und es hat erst an diesem Wochenende auch wieder die Vereinten Nationen auf den Plan gerufen. Einstimmig hat der Weltsicherheitsrat die Sanktionen gegen das Regime in Pjöngjang verschärft. Es wird also viel gesprochen über Nordkorea, aber aus Nordkorea hören wir so gut wie nichts, denn fast keiner kommt rein in das Land.
    Oliver Müller ist eine Ausnahme. Der Leiter von Caritas International war schon vor zwei Jahrzehnten in Nordkorea und jetzt gerade wieder. Er ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Müller.
    Oliver Müller: Guten Morgen, Frau Heuer.
    Heuer: Die Caritas unterhält in Nordkorea Hilfsprojekte in der Gesundheitsfürsorge und in der Altenhilfe. Wem konkret helfen Sie da, was sind das für Menschen?
    Müller: Wir haben unser Engagement vor zwei Jahrzehnten begonnen, als eine schwere Hungersnot im Land herrschte, wahrscheinlich, vielleicht sogar bis zu einer Million Menschen umgekommen ist. Und dieser sehr breite Fokus unserer Arbeit gilt eigentlich bis heute. Das heißt, wir konnten über fünf Millionen Kinder impfen, also wirklich ein sehr breites Spektrum. Jetzt geht es vor allem darum, an Tuberkulose erkrankten und Hepatitis erkrankten zu helfen. Wir bauen Gewächshäuser im Land, die an solche Einrichtungen, Sanatorien angeschlossen sind und eine bessere Ernährung bewerkstelligen. Denn diese Krankheiten, Tuberkulose und Hepatitis, haben ja vor allem auch damit zu tun, dass Menschen mangelernährt sind, und das ist nach wie vor ein ganz großes Problem im Land.
    "Für die Oberschicht gibt es jetzt Restaurants und ähnliche Dinge"
    Heuer: Sie haben erwähnt, dass Sie selber vor 19 Jahren zuletzt in Nordkorea waren, zu Zeiten dieser großen Hungersnot, die Sie angesprochen haben. Wie hat sich das Land seitdem verändert, was fällt Ihnen auf?
    Müller: Man nimmt schon Veränderungen wahr, aber hauptsächlich in den Städten. Pjöngjang hat sich doch sehr prosperierend entwickelt. Man sieht viele neue Gebäude, offensichtlich auch Geschäfte, und für die Oberschicht gibt es jetzt Restaurants und ähnliche Dinge. Auf dem Land wiederum habe ich wenig Unterschiede wahrgenommen. Die Menschen arbeiten dort mit einfachsten Mitteln. Oft werden die Felder mit bloßen Händen bestellt. Man sieht manchmal sehr, sehr alte Traktoren, zumeist aber eher einen Pflug, der von Ochsen gezogen wird. Auch die medizinischen Bedingungen sind auf dem Land ziemlich einfach.
    Was wir wahrnehmen ist, dass Grundnahrungsmittel weiterhin über Lebensmittelkarten verteilt werden. Das ist ein klarer Hinweis, dass der normale Kreislauf, der wirtschaftliche Kreislauf, der Verkauf nicht funktioniert, und das heißt, dass Nordkorea schon noch vor allem auf dem Land auch mit dem Thema Mangelernährung zu kämpfen hat.
    Heuer: Es ist eine Diktatur, die Freiheitsrechte systematisch und umfassend unterdrückt. Merken Sie das, wenn Sie im Land sind? Oder anders gefragt, Herr Müller: Woran merken Sie das?
    Müller: Es ist für Ausländer sehr schwer, die Stimmung in Nordkorea wirklich einzuschätzen. Auch wir, wenn wir unsere Projekte besuchen, können uns niemals ohne nordkoreanische Begleiter dort aufhalten. Andererseits können wir klar sagen, zu welchen Projektstandorten wir wollen, und das ist dann auch möglich. Es ist vielleicht so ein bisschen, wie wenn man es damit vergleicht, im Auge des Sturms zu sein. Es ist erst mal ruhig. So nimmt man die Situation im Land wahr. Die Regierung kontrolliert ja auch alle Lebensbereiche. Man kann als Ausländer praktisch auch keine internationalen Nachrichten wahrnehmen. Da geht es einem wie den Nordkoreanern selbst. Man kann nur wahrnehmen, was die Regierung dort verlautbart, und von daher ist es sehr schwer, in die Köpfe der Menschen zu schauen und zu verstehen, was sie wirklich denken. Insgesamt scheint die Situation ruhig und stabil zu sein. Was man merkt ist, dass die Sanktionen greifen. In der Zeit meines Aufenthalts hat sich das Benzin allein um 80 Prozent verteuert. Das wird – und das ist natürlich auch unsere Sorge als Hilfsorganisation – mittelfristig die soziale Situation, die Versorgungssituation schon beeinträchtigen.
    Heuer: Die Menschen, mit denen Sie dort zusammenkommen – jetzt sehen wir mal ab von den staatlichen Mitarbeitern, mit denen Sie dort kooperieren müssen; darüber sprechen wir gleich noch -, wie reagieren die Menschen auf Sie? Wie offen sind die?
    Müller: Das ist auch nicht einfach zu beschreiben, weil es ist gar nicht so einfach, mit "dem Normalkoreaner" oder Koreanerin zu kommunizieren. Da stehen oft schon sprachliche Probleme da. Ich merke eine leichte Offenheit. Man wird freundlich begrüßt. Aber wir machen ja keine Öffentlichkeitsarbeit dort. Unsere Arbeit wirkt über das, was wir tun. Das wird dankbar aufgenommen. Das ist durchaus sichtbar. Ob den Menschen klar wird, was unsere Motivation dahinter ist, das kann ich nicht eindeutig sagen.
    Heuer: Aber über Politik wird dann nicht gesprochen? Sie kriegen zum Beispiel nicht mit, was die Bürger in Nordkorea zum Beispiel von diesen Raketentests und der Eskalation denken?
    Müller: Es ist undenkbar, über Politik zu sprechen, und es erübrigt sich auch jede Frage danach von unserer Seite, weil wir wissen, dass natürlich jede Art von leisester Kritik an dem Programm oder auch von leisesten Fragen schon sanktioniert werden dürfte. Wir sehen unseren Auftrag als einen humanitären an. Deshalb können wir auch arbeiten seit vielen Jahren. Auf dieser Ebene ist ein doch leichtes Vertrauensverhältnis entstanden. Wir kommen nicht dorthin, um das System zu verändern, sondern wir sagen, wir haben diesen humanitären Auftrag wie in anderen Ländern der Welt auch. Da müssen wir neutral sein und unabhängig und das verschafft uns auch eine gewisse Glaubwürdigkeit.
    Müller: Können dazu beitragen, dass Nordkorea aus furchtbarer Isolation herauskommt
    Heuer: Wir, Herr Müller, Sie schon, aber wir im Westen, wir kennen die Nordkoreaner nicht. Die Nordkoreaner, die kennen uns nicht. Sind die neugierig auf den Rest der Welt?
    Müller: Ich glaube schon und wir haben auch festgestellt, dass es uns zum Beispiel möglich war, die Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums, mit dem wir auch zusammenarbeiten, einige davon nach Deutschland einzuladen und ihnen auch hier Gesundheitseinrichtungen zu zeigen. Wir haben sie in Caritas-Einrichtungen gebracht. Was das in den Köpfen bewirkt, ist schwer einzuschätzen, aber ich spüre schon, dass das natürlich Fragen auslöst. Mir hat ein hochrangiger Beamter gesagt, dass er bis vor einigen Jahren dachte, dass Nordkorea sicherlich das beste Gesundheitssystem der Welt habe. Das sehe er heute etwas anders. Ich glaube, wir können schon Fragen auch auslösen, und wir können dazu beitragen, dass Nordkorea aus dieser furchtbaren Isolation auch herauskommt, weil gerade im medizinischen Bereich sehen wir, dass das Land völlig isoliert ist. Es fehlt auch den Medizinern an Austausch, an Fachliteratur, und das müssen letztlich die normalen Menschen eigentlich ausbaden, weil ihnen fehlt es an einer adäquaten medizinischen Versorgung zum Beispiel.
    Heuer: Sie müssen, um helfen zu dürfen, mit dem nordkoreanischen Gesundheitsministerium kooperieren. Das ist die Bedingung. Welche Kompromisse gehen Sie dabei ein?
    Müller: Ja, die Konstruktion ist für uns als Caritas International schon sehr ungewöhnlich, weil wir zwar in 70 Ländern der Welt arbeiten, aber in keinem einzigen Land ansonsten direkt mit der Regierung kooperieren. Wir tun das normalerweise mit zivilgesellschaftlichen Organisationen. Aber wir müssen anerkennen, in Nordkorea gibt es keine Zivilgesellschaft in unserem Sinne, und so sind wir diesen Kompromiss eingegangen. Das heißt aber, dass wir trotzdem unsere Unabhängigkeit bewahren und, wie ich vorher schon sagte, zu jedem Projektstandort fahren können, ihn besuchen können, auch einen Mitarbeiter, der in der Region lebt, den besuchen wir wollen, und somit können wir garantieren, dass die Hilfe auch ankommt. Wir arbeiten – Sie haben es vorhin erwähnt – jetzt auch im Bereich der Altenhilfe. Nordkorea ist ein stark alterndes Land, ähnlich wie wir, mit einer geringen Geburtenrate. Das wird interessant sein zu sehen, was wir in solchen Altenzentren erreichen können bei der Zusammenarbeit. Ja, man muss Kompromisse eingehen, aber die wesentlichen Kriterien, die können wir doch sicherstellen, dass die Hilfe auch ankommt, und da habe ich eigentlich ein sehr, sehr gutes Gefühl.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.