Dirk Müller: Am Telefon ist nun der CSU-Politiker Hartmut Koschyk, Vorsitzender der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe im Bundestag und viele Male bereits zu Besuch in Nordkorea gewesen. Guten Morgen!
Hartmut Koschyk: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Koschyk, heißt Politik gegen Nordkorea Ohnmacht?
Koschyk: Politik gegenüber Nordkorea heißt nicht Ohnmacht, aber es heißt, dass man klug vorgehen muss. Und Ihr Kollege, Herr Kößler, hat das, finde ich, gut auf den Punkt gebracht. Der Schlüssel liegt in einem engen amerikanisch-chinesischen Zusammenwirken. Das Schlimmste in der gegenwärtigen Situation wäre es, wenn es Nordkorea gelingt, Amerika und China wieder auseinanderzubringen. Und deshalb macht mich eigentlich die Aussage auch des amerikanischen Verteidigungsministers ein wenig hoffnungsvoll, weil er von Interessenidentität zwischen China und USA gerade im Hinblick auf die aktuelle Situation in Nordkorea gesprochen hat. Und das Wichtigste ist jetzt, dass die internationale Gemeinschaft fest zusammenbleibt, dass China mit Amerika gemeinsam überlegt, auch unter Einbeziehung der anderen Mächte, die hier wichtig sind – man kann Russland nicht ganz bei Seite schieben, Südkorea hat einen neuen Präsidenten, der jetzt wieder entschlossen in diese politische Situation eingreift, auch Japan ist ein wichtiger Faktor in diesem ganzen Konglomerat von Problemen in der Region. Deshalb muss Amerika und China dafür sorgen, dass die internationale Gemeinschaft geschlossen bleibt.
Müller: Das ist für Sie ganz klar, wir haben schon häufiger darüber gesprochen, ich möchte das aber jetzt noch einmal fragen, Thilo Kößler hat es ja auch angedeutet, das ist für Sie ganz klar: Peking ist der Schlüssel für Pjöngjang?
Koschyk: Peking ist nicht allein der Schlüssel für Pjöngjang, sondern ein Zusammenwirken zwischen Peking und Washington, denn das ist ja auch in dem Beitrag von Herrn Kößler wunderbar herausgearbeitet worden. Die militärische Option scheidet aus, aber weder Peking, noch Amerika können ein Interesse daran haben, dass es zur Implosion oder Explosion des Regimes kommt. Deshalb braucht es Druck, es braucht Entschlossenheit und Geschlossenheit, aber es braucht auch Besonnenheit, in der Situation das Richtige zu tun.
Müller: Der Druck, Herr Koschyk, ist seit vielen, vielen Jahren massiv. Es gibt massive Wirtschaftssanktionen. Es gibt im Grunde ja auch militärische Drohungen. Sie haben gesagt, das ist tabu, aber dennoch: Donald Trump hat sie ja mehr oder weniger direkt und indirekt ausgesprochen. Auch die Chinesen sagen ja immer, wir üben massiven Druck aus. Trotzdem hat das bislang noch nichts gebracht. Woran liegt das?
"Kontinuierlicher Druck zeigt mittelfristig Wirkung"
Koschyk: Ich persönlich glaube, dass dieser kontinuierliche Druck, dass die entschlossene Durchsetzung der Sanktionen mittelfristig Wirkung zeigen wird. Das haben wir ja in vergleichbaren Situationen in anderen Regionen dieser Welt erlebt. Druck, Sanktionen, aber auch Gesprächsbereitschaft hat im Hinblick auf die Iran-Krise zumindest den Iran dazu gebracht, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Und ich glaube, die momentane Schwierigkeit auf der koreanischen Halbinsel ist, ein Format zu finden, um Gespräche wieder in Gang zu setzen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass dies auch in schwierigen Situationen möglich ist, auch dass es zu direkten amerikanisch-nordkoreanischen Gesprächen kommen kann. Nur das ist so ein bisschen momentan wie ein Mikado-Spiel: Wer sich zuerst bewegt, droht vielleicht sein Gesicht zu verlieren. Aber irgendjemand muss sich bewegen, um aus dieser Sackgasse heraus wieder eine Gesprächsatmosphäre zu schaffen.
Müller: Das ist ja jetzt die große Frage, wer wird sich zuerst bewegen. Die Amerikaner werden ja offenbar weniger Probleme damit haben, um mögliche Lösungswege aufzuzeigen. Wenn der Druck erhöht worden ist – rhetorisch ist er das ja aus Washington in den vergangenen Monaten seit Donald Trump -, sind noch mehr Raketentests absolviert und gestartet worden. Bislang waren die Reaktionen von Kim Jong Un ja immer sehr, sehr restriktiv.
Koschyk: Na ja. Man muss natürlich sehen: Es muss einen wirklich echten Interessenausgleich zwischen Washington und Peking geben. Zum Beispiel hat Peking, das wissen wir, große Probleme damit, dass das Raketenabwehrsystem, das die USA jetzt in Südkorea stationiert haben, wirklich zwar ein reines Abwehrsystem ist, aber die Aufklärungskomponente natürlich weit nach China und Russland hineinreicht. Deshalb merkt man ja, dass die Themen, die zwischen Washington und Peking besprochen werden, nicht nur außenpolitischer und diplomatischer Natur sind, sondern dass auch militärische Aspekte mit besprochen werden. Und das zeigt, dass man doch zwischen den USA und der Volksrepublik China jetzt sehr konzentriert und auch sehr willensorientiert versucht, sich einander näherzukommen. Und das ist bei aller Sorge, wie dieser Konflikt sich weiter entwickeln kann, eigentlich das beruhigende Signal.
Müller: Herr Koschyk, es wird immer vom atomaren Drohpotenzial geredet. Damit agieren ja viele Staaten, inzwischen auch im Nahen Osten. Israel wird dies zugeschrieben. Wir haben auch häufiger schon über Pakistan und Indien gesprochen, atomfähige Staaten, und Nordkorea. Steht das für Sie außer Zweifel, dass Nordkorea über diese Kapazitäten, über diese Fähigkeiten verfügt?
"Wenn man Nordkorea gewähren lässt, wird Nordkorea sich als Nuklearmacht etablieren"
Koschyk: Nordkorea verfügt über nukleares Material. Wie weit die Trägertechnik entwickelt ist, um dieses Material auch zu einer echten Bedrohung zum Beispiel für die USA werden zu lassen, darüber streiten die Experten. Aber eins ist klar: Wenn man Nordkorea weiter gewähren lässt, wird Nordkorea sich als Nuklearmacht etablieren. Deshalb ist es ja so schwierig, eine Lösung zu finden, die Nordkorea bereit sein lässt, seine Nuklearoption aufzugeben, aber trotzdem dann zur Stabilität in der Region führt.
Müller: Auf jeden Fall schützt das immer noch vor militärischen Interventionen oder vor militärischen Szenarien, wenn man atomar fähig ist, zu agieren?
Koschyk: Das ist auch die Hauptargumentation der nordkoreanischen Seite. Wenn Sie mit nordkoreanischen Vertretern über dieses Thema diskutieren, dann sagen sie immer, unsere nukleare Option ist unsere Überlebensgarantie. Wir wollen damit niemanden bedrohen, sondern wir wollen uns nur verteidigen. Darüber kann man natürlich auch trefflich streiten, aber das ist die nordkoreanische Doktrin: Nur wenn wir Nuklearstaat sind, sind wir einer Aggression vonseiten der USA gewachsen. Und aus diesem Teufelskreis herauszukommen, das ist jetzt wirklich die Herausforderung für Diplomatie, aber auch Entschlossenheit der internationalen Gemeinschaft.
Müller: Gehen wir noch einmal auf Nordkorea selbst ein, auf das "Binnenleben". Amnesty International spricht von 200.000 Insassen in Straflagern, die auch vor dem Existenzminimum dort stehen, und tatsächlich mit einer Frage von Leben und Tod konfrontiert sind. Jetzt sagen die Amerikaner, wir können im Grunde gar nicht viel machen, jedenfalls viele Außenpolitiker, weil drei amerikanische Bürger sitzen auch immer noch in Haft, vermutlich auch noch in Straflagern. Das ist Geiselhaft. Das heißt, dieser Spielraum ist doch so gut wie null, da etwas zu bewegen.
Müller: Das ist ja gerade die Brutalität. Da offenbart sich ja gerade die Brutalität und die Menschenverachtung des Regimes, weil natürlich zeigt auch dieser tragische Fall des Studenten Warmbier, dass man Bürger eines Landes, mit dem man sich in einem Konflikt befindet, auch als Geisel nimmt. Die ganze Geschichte rund um diesen Schauprozess gegenüber Warmbier, das macht deutlich, dass das Regime immer wieder nicht davor zurückschreckt, auch Menschenleben dazu zu benutzen, um Erpressung auszuüben, um Druck auszuüben. Und da darf man sich keinen Illusionen hingeben. Wer in andere Länder Mörder schickt, um nahe Verwandte ermorden zu lassen, der macht auch vor dem Leben ausländischer Touristen, die das Land besuchen, nicht Halt.
"Natürlich ist alles schlimmer geworden"
Müller: Herr Koschyk, wir haben wirklich nur noch eine halbe Minute. Ich will Sie das trotzdem noch fragen. Wir haben ganz häufig schon mit Ihnen über Nordkorea gesprochen, erst recht, wenn Sie mal wieder aus dem Land zurückgekommen sind. Ich habe den Eindruck, in den vergangenen drei, vier, fünf Jahren ist alles noch schlimmer geworden. Ist das so?
Koschyk: Natürlich ist alles viel schlimmer geworden, weil das Regime sich natürlich auch irgendwo letztendlich doch in einer ausweglosen Situation befindet. Und das macht es natürlich so gefährlich und zunehmend unberechenbar.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der CSU-Politiker Hartmut Koschyk, Vorsitzender der deutsch-koreanischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Danke, dass Sie wieder für uns Zeit gefunden haben. Ihnen noch einen schönen Tag.
Koschyk: Danke auch, Herr Müller.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.