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Nordkoreakonflikt
"Nicht sagen: Die irren, die durchgeknallten Stalinisten"

Sanktionen gegen Nordkorea bewirken nur das Gegenteil vom gewünschten Effekt, sagte Nordkorea-Experte Werner Pfennig im Dlf. Wer dort etwas ändern wolle wie die USA, müsse sich dem Land und der Regierung öffnen. "Da ist jahrelang die falsche Politik von beiden Seiten verfolgt worden."

Werner Pfennig im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Kim Jong-un lachend im Kreis von uniformierten Männern.
    "Der Rest der Welt ist gegen uns": Die Sanktionen würden Nordkoreas Befürchtungen nur bestätigen, so Nordkorea-Experte Werner Pfennig (picture alliance / dpa / Rodong Sinmun)
    Mario Dobovisek: Kaum glaubt man, der Nordkoreakonflikt hätte sich gerade etwas abgekühlt, folgt die nächste Provokation, der martialische Tweet aus Washington oder der nächste Raketentest der Machthaber in Pjöngjang, so zuletzt geschehen in der Nacht zu Freitag. Wieder feuerte Nordkorea eine Rakete in Richtung Japan ab. Sie überflog den Norden des Landes, um dann im Pazifik zu versinken. Die Nerven in Japan, sie liegen blank. Sirenen heulten, Menschen suchten Schutz, die Regierung in Tokyo ist empört, übt Druck aus auf die internationalen Partner. In einer Dringlichkeitssitzung hat sich am Abend der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit der Lage in der Region befasst.
    Und am Telefon begrüße ich Werner Pfennig, langjähriger Korea-Experte der Freien Universität Berlin, inzwischen im Ruhestand. Guten Morgen, Herr Pfennig!
    Werner Pfennig: Guten Morgen!
    Nordkoreanische Bedrohungsängste
    Dobovisek: Kann die Geschlossenheit des Sicherheitsrates tatsächlich etwas bewirken, wie der Sicherheitsrat ja selber von sich behauptet?
    Pfennig: Natürlich kann sie was bewirken. Sie bewirkt das, was Nordkorea seit Jahren sagt und fürchtet, der Rest der Welt ist gegen uns, darum müssen wir uns schützen. Vieles haben wir nicht, wir sind ein armes Land, aber das, was zu unserem Schutz notwendig ist - Bomben und Raketen -, das bauen wir weiter, und gerade die letzte UN-Sitzung, die beweist ja, dass unser Land bedroht ist. So ist die Sicht aus Nordkorea.
    Werner Pfennig, Korea-Experte der Freien Universität Berlin
    Werner Pfennig, Korea-Experte der Freien Universität Berlin, inzwischen im Ruhestand (dpa/Bernd-Wannenmacher)
    Dobovisek: Das heißt, die Geschlossenheit, die von uns positiv gesehen wird, weil es lange genug gebraucht, damit man Geschlossenheit erreichte im UN-Sicherheitsrat - Stichwort Russland, Stichwort China -, die bewirkt im Prinzip das Gegenteil in Pjöngjang.
    Pfennig: Na ja, das ist eine verbale Geschlossenheit vor den Mikrofonen und Kameras der internationalen Medien. Die Umsetzung funktioniert ja nicht richtig. Boykott und Sanktionen bedeuten eigentlich immer, die Sache wird etwas schwieriger für die Wirtschaft, und die Preise gehen nach oben, aber diese zehn Jahre jetzt bisher Boykott, die haben ja nicht bewirkt, dass Nordkorea zusammengebrochen ist, sondern sie haben nur bewirkt, dass eine Stärkung des Regimes erfolgt. Ich halte gar nichts von dieser Art der Sanktion. Sie treffen sehr hart die dortige Bevölkerung. Dem Herrn Kim Jong-un geht es deshalb nicht schlechter. Nein, im Gegenteil: Diese Sanktionen bewirken eine Loyalität der Nordkoreanerinnen und Koreaner gegenüber ihrer Führung.
    "Das Regime überlebt aus mehreren Gründen"
    Dobovisek: Alle Sanktionen zusammengenommen oder blicken Sie da auf besondere Sanktionen, auf spezielle, auf Sanktionen, die Sie uns vielleicht noch näher beschreiben könnten.
    Pfennig: Die, die die Menschen treffen, zu den jetzt beschlossenen Sanktionsmaßnahmen gehört ja, dass weniger Treibstoff verkauft werden kann, also Kohlelieferungen Nordkoreas an die Volksrepublik China. Die hat am Anfang des Jahres kräftig eingekauft, damit sie schon die Sanktionsquote erfüllt hat, aber es sollen ja auch weniger Textilien geliefert werden, und das betrifft dann die Leute, die in koreanischen Fabriken Textilien herstellen. Außerdem - und das halte ich für besonders betrüblich - bewirken die Sanktionen, dass Koreanerinnen und Koreaner keine Stipendien ins Ausland erhalten, dass niemand mehr eingeladen wird, kein Ingenieurstudent der Nordkoreaner kann ins Ausland gehen, weil er dann angeblich, wenn er zurückkehrt, sofort am Bombenbasteln beteiligt ist. Das Regime dort überlebt aus mehreren Gründen: Weil China es unterstützt, weil es in der Lage ist, die eigene Bevölkerung und die Informationsflüsse zu kontrollieren. Wenn man dort in Nordkorea etwas ändern will, dann muss man sich öffnen, und nicht der Rest der Welt muss sagen: Jetzt isolieren wir euch, jetzt bedrohen wir euch mal ganz kräftig und geschlossen.
    Sanktionen machen es nur etwas komplizierter
    Dobovisek: Aber wenn wir uns das mal genauer angucken wollen: Es geht bei den Sanktionen - das haben Sie auch selber angesprochen - hauptsächlich im Geld, denn Nordkorea beschafft sich seine Mittel aus dem Ausland, etwa mit der angesprochenen Textilindustrie, mit den Exporten oder auch mit nordkoreanischen Gastarbeitern im Ausland. Wie kann der Druck gegen Nordkorea erhöht werden, wenn nicht per Geldhahn?
    Pfennig: Da ist der Versuch jetzt sehr verlockend, wirklich Nordkorea den Geldhahn abzudrehen. Keine Bank im Ausland soll Geschäfte mit Nordkorea tätigen. Nordkorea wird es verboten, also nordkoreanischen Firmen wird verboten, in der Volksrepublik China neue Konten zu eröffnen. Ich weiß nicht, ob sie die alten Konten beibehalten dürfen. Wie ich sagte, das erhöht die Preise, macht die Sache etwas komplizierter, aber es wird keine nordkoreanische Firma davon abhalten, mit gefüllten Geldkoffern nach China zu gehen, das Geld einem dortigen Partner zu geben, und der eröffnet unter seinem chinesischen Namen ein Konto bei einer Bank, und dann ist es halt der Geldfluss um ein, zwei Ecken mehr, aber damit wird vermutlich Nordkorea der Lebensfaden nicht abgeschnitten.
    "Es muss eine andere Politik betrieben werden"
    Dobovisek: Was wäre also aus Ihrer Sicht die dringende Alternative?
    Pfennig: Die Hauptkonfliktparteien sind die Vereinigten Staaten und Nordkorea. Nordkorea fühlt sich bedroht. Seit Jahren gibt es massive Militärmanöver mit den USA und südkoreanischen Truppen und …
    Dobovisek: Weil Südkorea sich ja bedroht fühlt von Nordkorea.
    Pfennig: Ja, die sind ganz dicht dran. Die Hauptstadt Seoul ist nur rund 50 Kilometer von der Grenze entfernt, aber aus nordkoreanischer Sicht ist die größte Weltmacht mit dem Gegner im Süden immer im Bunde, führt sehr bedrohliche Manöver mit Stoßrichtung Norden durch. Das sollte mal überdacht werden. Sie fragen mich ganz konkret, was ist zu tun. Die Politiker und Militärs, die sich jetzt furchtbar aufregen, die sollten sich mal die Zeit nehmen, aus der Sicht Nordkoreas sich zu fragen, warum fühlen die sich eigentlich so bedroht. Weil wir Militärmanöver durchführen, weil wir sie boykottieren und weil es keinen Friedensvertrag gibt. Die USA müssen ein glaubhaftes Verhandlungsangebot machen, sich mit Nordkorea an einen Tisch setzen und nicht sagen, wir werden das nie akzeptieren. Nordkorea ist Nuklearmacht genau wie Pakistan, und Pakistan ist ja nun wirklich kein stabileres Regime als Nordkorea. Nein, es ist eine traurige Tatsache: Da ist jahrelang die falsche Politik von beiden Seiten verfolgt worden. Beide müssen sich hinsetzen, und wir auch in Deutschland sollten immer, wenn wir Nordkorea sagen, nicht sagen: die irren, die durchgeknallten Stalinisten. Da leben über 24 Millionen Menschen, die sich auch bedroht fühlen, denen es wirklich nicht gut geht, und wenn wir wollen, dass sich dort etwas verändert, dann muss eine andere Politik betrieben werden.
    Deutschlands guter Ruf in Nord und Süd
    Dobovisek: Welche Rolle - Sie sprechen uns in Deutschland an - könnte denn Deutschland übernehmen? Hat ja schon eine Vermittlerrolle angeboten.
    Pfennig: Deutschland hat einen sehr guten Ruf in beiden Teilen Koreas aus unterschiedlichen Gründen. Das Problem mit Deutschland ist: Nordkorea hat sich natürlich genau angeschaut, wie das Ende der DDR verlaufen ist. Für Nordkorea bedeutet die Wiedervereinigung: einer gewinnt, einer verliert. Das ist eine tragisch-dramatische Lektion, die Nordkorea da gelernt hat. Dennoch: Deutschland hat hohes Ansehen, Deutschland hat ja auch lange über die politischen Stiftungen, die wir haben, über Geld für Welthungerhilfe und so, humanitäre Hilfe Nordkorea geleistet. Ob Deutschland allein sagen soll, wir bieten uns als Vermittler, Vermittlerin an oder ob Deutschland sagen sollte, wir werden zusammen mit der Europäischen Union hier etwas … Sie könnten Ideen entwickeln, sie könnten Gesprächskontakte herstellen. Das ist sicher eine Rolle, die Deutschland, die die EU spielen können, aber letztlich ist Nordkorea daran interessiert, mit den USA ins Gespräch zu kommen.
    Dobovisek: Das, Herr Pfennig, werden wir beobachten, beobachten müssen. Der Politikwissenschaftler und Koreaexperte Werner Pfennig bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Interview!
    Pfennig: Ja, gern geschehen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.