Man sieht Kim Hye-sook die Jahre der schweren Arbeit nicht mehr an. Sie ist eine zierliche Dame um die fünfzig, trägt eine einfache helle Bluse und eine Stoffhose. Ihre gewellten Haare sind kurz geschnitten, die Hände gepflegt – nichts deutet mehr darauf hin, dass sie ein halbes Leben in einer Kohlemine gearbeitet hat.
"Es standen Waggons bereit, die zwei Tonnen Kohle gefasst haben. Ich musste den Wagen mit einer Schaufel mit Kohle beladen und dann etwa einen Kilometer weit zur Entladestelle schieben. Das Schlimmste war der erste Abschnitt, da ging es bergauf. Und dann noch einmal gegen Ende, wenn es bergab ging und man die Wagen wieder abfangen musste und entladen."
28 Jahre ihres Lebens hat Kim Hye-sook in einem nordkoreanischen Arbeitslager verbracht. An den Tag, an dem ihre Kindheit endete, erinnert sie sich genau. 13 Jahre alt war sie, lebte bei ihrer Großmutter. Ihre Eltern waren bereits fünf Jahre zuvor vom Geheimdienst abgeholt worden. Es waren Ferien und sie hatte gerade ihre Hausaufgaben gemacht, als ein Beamter in die Familie kam und forderte, das Mädchen ebenfalls ins Lager zu bringen. Eine Tante übernahm die schwierige Aufgabe, sie zu begleiten.
"Ich wusste nicht, wo es hingehen sollte. Ich hatte meine Schuluniform angezogen und meine Schulbücher mitgenommen und folgte einfach meiner Tante. Als wir in die Nähe des Lagers kamen und ich die Stacheldrähte sehen konnte, wurde mir mulmig. Meine Tante lieferte mich bei einem Wachmann ab. Der forderte sie auf, sofort nach Hause zurückzukehren. Mir wurde verboten, noch einmal mit ihr zu sprechen. Ich musste lange bei diesem Wachmann bleiben, es wurde dunkel, es wurde kalt. Da kam meine Mutter und brachte mich zu unserem Platz in den Baracken."
Eine Zeit lang durfte sie im Lager noch zur Schule gehen, dann wurde sie zur Arbeit eingeteilt. Die Männer waren dafür zuständig, die Kohle abzubauen, die Frauen mussten für den Transport sorgen. Als sie siebzehn war, erzählt sie, starb ihre Mutter, ihr Vater sei schon vor ihrer Ankunft von den Wachen abgeführt worden und nie wieder aufgetaucht. Auch ihre Großmutter und die beiden jüngeren Geschwister lebten mit ihr im Lager. Nach dem Tod der Mutter war Kim Hye-sook für ihre Versorgung zuständig, musste das Essen abholen und zubereiten. Warum sie im Lager war, wusste die Familie bis zum Schluss nicht.
"Als ich eingeliefert wurde, war ich ja noch so jung und traute mich nicht zu fragen. Später haben mir die Erwachsenen erzählt, man habe ihnen verboten, nach dem Grund für ihre Gefangenschaft zu fragen. Wer Fragen gestellt habe, sei sofort erschossen worden, erzählten sie. Da habe ich beschlossen, auch weiterhin meinen Mund zu halten."
Erst nachdem sie freigekommen war, erfuhr sie von einem Onkel, dass sie 28 Jahre lang dafür bestraft worden war, dass ihr Großvater sich nach Vietnam abgesetzt hatte. "Schuld durch Verbindung" nennt das die nordkoreanische Regierung - Sippenhaft. Wie viele Menschen heute noch in Nordkorea in Arbeitslagern sitzen, weiß niemand genau. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht von 200.000 aus. Ha Tae-keung von Open Radio for North Korea, einem Sender in Seoul, der in den Norden sendet, hat mehrfach mit nordkoreanischen Flüchtlingen gesprochen. Immer mehr Menschen würden wegen misslungener Fluchtversuche eingesperrt, sagt er.
"Ich verfüge natürlich nicht über statistische Daten, aber ich kann als Beispiel das Lager Chongari nennen. Dort sitzen etwa 3000 Menschen ein, denen keine schweren Verbrechen vorgeworfen werden. Früher war immer ein Anteil von 600 bis 700 von ihnen Republikflüchtlinge. Inzwischen sind es 2000."
Kim Hye-sook wurde im Jahr 2001 aus dem Lager entlassen. Ähnlich wie in diesem Jahr war der Geburtstag Kim Jong-Ils damals Anlass für das Regime, mehrere Tausend Gefangene freizulassen. Einen Großteil ihres Lebens hatte sie in Haft verbracht, es sei ihr schwergefallen, in die Gesellschaft zurückzufinden, sagt sie. Bald beschloss sie, das Land zu verlassen.
"In Nordkorea sind Schleuser tätig, die Menschenhandel betreiben. Ich hatte versucht, mich von ihnen nach China schmuggeln zu lassen – als menschliche Ware. Aber wir wurden von Grenzwächtern entdeckt, sie fassten uns und schickten und zurück. Ich hatte noch nie so eine Angst wie in diesem Augenblick. Ich dachte, nun würden sie mich erschießen."
Zum zweiten Mal landete sie in einem Arbeitslager, zwei Jahre diesmal. Kaum war sie wieder frei, wagte sie den nächsten Fluchtversuch. Sie bestach einen Grenzbeamten, diesmal gelang ihr die Flucht. Vor knapp drei Jahren kam sie in Südkorea an.
"Ich habe zunächst darüber geschwiegen, dass ich in einem Lager für politische Gefangene gesessen hatte. Ich hatte Angst, dass meine Geschwister, die ja noch in Nordkorea leben, neuen Repressalien ausgesetzt werden, wenn ich mich politisch äußere. Aber als ich in Südkorea angekommen bin, habe ich festgestellt, dass die Leute dort und auch in anderen westlichen Ländern nichts wissen über die Verhältnisse in Nordkorea. Und da habe ich mich entschlossen zu reden, um so dazu beizutragen, dass die Diktatur untergraben wird und irgendwann endet."
Ihre Geschichte hat Kim Hye-sook inzwischen viele Male erzählt, in Südkorea, wo sie seit ihrer Flucht leb, aber auch in andern Ländern, selbst vor dem kanadischen Parlament ist sie schon als Zeugin aufgetreten. Doch nicht nur in ihrer Seele hat die lange Lagerhaft Spuren hinterlassen. Letztes Jahr diagnostizierte ein Arzt bei ihr Lungenkrebs, ausgelöst vermutlich durch die jahrelange Belastung durch den Kohlenstaub im Lager.
"Es standen Waggons bereit, die zwei Tonnen Kohle gefasst haben. Ich musste den Wagen mit einer Schaufel mit Kohle beladen und dann etwa einen Kilometer weit zur Entladestelle schieben. Das Schlimmste war der erste Abschnitt, da ging es bergauf. Und dann noch einmal gegen Ende, wenn es bergab ging und man die Wagen wieder abfangen musste und entladen."
28 Jahre ihres Lebens hat Kim Hye-sook in einem nordkoreanischen Arbeitslager verbracht. An den Tag, an dem ihre Kindheit endete, erinnert sie sich genau. 13 Jahre alt war sie, lebte bei ihrer Großmutter. Ihre Eltern waren bereits fünf Jahre zuvor vom Geheimdienst abgeholt worden. Es waren Ferien und sie hatte gerade ihre Hausaufgaben gemacht, als ein Beamter in die Familie kam und forderte, das Mädchen ebenfalls ins Lager zu bringen. Eine Tante übernahm die schwierige Aufgabe, sie zu begleiten.
"Ich wusste nicht, wo es hingehen sollte. Ich hatte meine Schuluniform angezogen und meine Schulbücher mitgenommen und folgte einfach meiner Tante. Als wir in die Nähe des Lagers kamen und ich die Stacheldrähte sehen konnte, wurde mir mulmig. Meine Tante lieferte mich bei einem Wachmann ab. Der forderte sie auf, sofort nach Hause zurückzukehren. Mir wurde verboten, noch einmal mit ihr zu sprechen. Ich musste lange bei diesem Wachmann bleiben, es wurde dunkel, es wurde kalt. Da kam meine Mutter und brachte mich zu unserem Platz in den Baracken."
Eine Zeit lang durfte sie im Lager noch zur Schule gehen, dann wurde sie zur Arbeit eingeteilt. Die Männer waren dafür zuständig, die Kohle abzubauen, die Frauen mussten für den Transport sorgen. Als sie siebzehn war, erzählt sie, starb ihre Mutter, ihr Vater sei schon vor ihrer Ankunft von den Wachen abgeführt worden und nie wieder aufgetaucht. Auch ihre Großmutter und die beiden jüngeren Geschwister lebten mit ihr im Lager. Nach dem Tod der Mutter war Kim Hye-sook für ihre Versorgung zuständig, musste das Essen abholen und zubereiten. Warum sie im Lager war, wusste die Familie bis zum Schluss nicht.
"Als ich eingeliefert wurde, war ich ja noch so jung und traute mich nicht zu fragen. Später haben mir die Erwachsenen erzählt, man habe ihnen verboten, nach dem Grund für ihre Gefangenschaft zu fragen. Wer Fragen gestellt habe, sei sofort erschossen worden, erzählten sie. Da habe ich beschlossen, auch weiterhin meinen Mund zu halten."
Erst nachdem sie freigekommen war, erfuhr sie von einem Onkel, dass sie 28 Jahre lang dafür bestraft worden war, dass ihr Großvater sich nach Vietnam abgesetzt hatte. "Schuld durch Verbindung" nennt das die nordkoreanische Regierung - Sippenhaft. Wie viele Menschen heute noch in Nordkorea in Arbeitslagern sitzen, weiß niemand genau. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht von 200.000 aus. Ha Tae-keung von Open Radio for North Korea, einem Sender in Seoul, der in den Norden sendet, hat mehrfach mit nordkoreanischen Flüchtlingen gesprochen. Immer mehr Menschen würden wegen misslungener Fluchtversuche eingesperrt, sagt er.
"Ich verfüge natürlich nicht über statistische Daten, aber ich kann als Beispiel das Lager Chongari nennen. Dort sitzen etwa 3000 Menschen ein, denen keine schweren Verbrechen vorgeworfen werden. Früher war immer ein Anteil von 600 bis 700 von ihnen Republikflüchtlinge. Inzwischen sind es 2000."
Kim Hye-sook wurde im Jahr 2001 aus dem Lager entlassen. Ähnlich wie in diesem Jahr war der Geburtstag Kim Jong-Ils damals Anlass für das Regime, mehrere Tausend Gefangene freizulassen. Einen Großteil ihres Lebens hatte sie in Haft verbracht, es sei ihr schwergefallen, in die Gesellschaft zurückzufinden, sagt sie. Bald beschloss sie, das Land zu verlassen.
"In Nordkorea sind Schleuser tätig, die Menschenhandel betreiben. Ich hatte versucht, mich von ihnen nach China schmuggeln zu lassen – als menschliche Ware. Aber wir wurden von Grenzwächtern entdeckt, sie fassten uns und schickten und zurück. Ich hatte noch nie so eine Angst wie in diesem Augenblick. Ich dachte, nun würden sie mich erschießen."
Zum zweiten Mal landete sie in einem Arbeitslager, zwei Jahre diesmal. Kaum war sie wieder frei, wagte sie den nächsten Fluchtversuch. Sie bestach einen Grenzbeamten, diesmal gelang ihr die Flucht. Vor knapp drei Jahren kam sie in Südkorea an.
"Ich habe zunächst darüber geschwiegen, dass ich in einem Lager für politische Gefangene gesessen hatte. Ich hatte Angst, dass meine Geschwister, die ja noch in Nordkorea leben, neuen Repressalien ausgesetzt werden, wenn ich mich politisch äußere. Aber als ich in Südkorea angekommen bin, habe ich festgestellt, dass die Leute dort und auch in anderen westlichen Ländern nichts wissen über die Verhältnisse in Nordkorea. Und da habe ich mich entschlossen zu reden, um so dazu beizutragen, dass die Diktatur untergraben wird und irgendwann endet."
Ihre Geschichte hat Kim Hye-sook inzwischen viele Male erzählt, in Südkorea, wo sie seit ihrer Flucht leb, aber auch in andern Ländern, selbst vor dem kanadischen Parlament ist sie schon als Zeugin aufgetreten. Doch nicht nur in ihrer Seele hat die lange Lagerhaft Spuren hinterlassen. Letztes Jahr diagnostizierte ein Arzt bei ihr Lungenkrebs, ausgelöst vermutlich durch die jahrelange Belastung durch den Kohlenstaub im Lager.