Burkhard Müller-Ullrich: Man stellt sich ja das Reich des Bösen oft als unterirdisch vor, aber es gibt auch die Hölle auf Erden. Oder Mehrzahl: die Höllen. Eine befindet sich in Nordkorea, und einer der schlimmsten Orte dieser nordkoreanischen Hölle ist das Straflager Nummer 14. Ein Todeslager, aus dem es kein Entkommen gibt - außer in einem Fall, der jetzt in Form eines Buches und eines Films bekannt gemacht wird. Das Buch stammt von dem amerikanischen Journalisten Blaine Harden und liegt jetzt unter dem Titel "Flucht aus Lager 14" auch auf Deutsch vor; der Film, der die Geschichte desselben Flüchtlings rekonstruiert, stammt von dem deutschen Dokumentarfilmer Marc Wiese. Nun gibt es natürlich keine oder so gut wie keine authentischen Filmaufnahmen von diesen Lagern, Rüdiger Suchsland. Wie also kann man dann einen Dokumentarfilm machen? Was sind die Dokumente, die es da zu sehen gibt?
Rüdiger Suchsland: Wir haben in diesem Film einerseits den Menschen heute, der frei ist, der Vorträge hält über seine Geschichte, der in Südkorea lebt und sich da in dieses Leben nicht richtig einfindet. Wir haben zum anderen Gespräche mit Wärtern, die gleichfalls aus Nordkorea geflohen sind. Wir haben dann immer wieder Passagen, in denen eigentlich beschrieben wird, was die Leiden der Hauptfigur sind, in denen sie beschrieben werden, indem wir in das Gesicht dieses Shin Dong-hyuk blicken und in seinen Augen, in seinem Gesichtsausdruck eigentlich sehen können oder uns vorstellen können, was ihm passiert ist, und dann immer wieder Animationen, die uns auch eine bildliche Vorstellung verschaffen. Also eine Mischung aus verschiedenen Genres.
Müller-Ullrich: Dass die Lagerinsassen fliehen oder versuchen zu fliehen und dass es ganz selten und in diesem Fall einmal jemandem glückt, das leuchtet ein. Was ist mit den Wärtern? Warum fliehen die und was machen die jetzt und wo sind sie?
Suchsland: Ja, die nordkoreanischen Wärter, die man sieht, die leben jetzt in Südkorea. Es sind zwei, die ausführlicher interviewt werden, die auch ihre eigenen Verbrechen eingestehen, sich teilweise auch dafür schämen. Andererseits ist auch klar, dass diese Wärter wie vielleicht jeder, der in Nordkorea aufwächst, auf ihre Art Opfer sind. Die sind auch geflohen, weil sie die Zustände nicht ausgehalten haben, kann man vermuten. Man glaubt zu sehen, dass sie kalt über ihre Taten sprechen, wenn sie sie schildern, kälter als das Opfer. Auf der anderen Seite haben wir damit natürlich auch immer zu tun mit der verschiedenen Mentalität, und ich glaube, dass manches, was uns dann kalt vorkommt, nur eine bestimmte Form, ein bestimmter Ausdruck der Scham und der großen Zurückhaltung ist, mit denen Asiaten anders umgehen als wir.
Müller-Ullrich: Sie sagten, der Filmemacher Marc Wiese habe sowohl den Häftling als auch die Wärter getroffen. Wie trifft man die denn einfach so?
Suchsland: Also es ist so, dass über den Shin Dong-hyuk, den Hauptprotagonisten des Films, es einen Bericht in amerikanischen Zeitungen gab, und aus diesem Bericht ist dann auch ein Buch geworden von einem amerikanischen Journalisten, und darüber entstand, glaube ich, der erste Kontakt. Und dann ging es schon darum für den Filmemacher, wirklich ein bisschen so die Wand aus Zurückhaltung aufzubrechen. Er hat mit ihm wohl auch die Bedingungen abgesprochen. Das heißt, er wird in seiner Privatwohnung interviewt, es gibt immer wieder Momente des Innehaltens, Momente, in denen das Opfer sich so intensiv an seine Taten erinnert und er nicht weitersprechen kann. Und man spürt sofort, dass da nichts gespielt ist, dass da nichts zur Prosa erstarrt ist. Das ist auch ein Mensch, der schwer gezeichnet ist von dem, was er erlebt hat. Er ist gefoltert worden, hart gefoltert worden, seine Arme sind verstümmelt, seit er ein Kind war. Es ist eine langsame, zögernde Annäherung, ein sehr guter Film, der uns in einem gewissen Sinn natürlich auch einen Menschen vorführt, an den wir nicht herankommen. Dieser Mann hat zunächst mal nur ein Konzentrationslager kennengelernt und in gewisser Weise ist die ganze Welt für ihn ein Konzentrationslager. Er kommt da nicht heraus. Er sagt auch selbst: Das erste, was er tun würde, wenn Korea wiedervereinigt werden sollte, ist, zurück in dieses Lager zu kehren, wo er, so pervers es sich anhört, eine Form von glücklicher Jugend verbracht hat, bevor er überhaupt erkannt hat, wo er ist. Weil er ja nichts anderes kannte, konnte er es vorher nicht erkennen.
Müller-Ullrich: Ich komme noch mal zurück auf die Glaubwürdigkeit. Sie sagten ja jetzt selber mit einem gewissen Überzeugungston, das sei nicht gespielt, das sehe man. Aber im Grunde müssen wir glauben, was wir vorgeführt bekommen. Es ist die Erzählung von jemandem - ich meine, ich will hier nicht die Lager in Nordkorea damit infrage stellen, aber die Beweiskraft kann der Film nicht bieten.
Suchsland: Ja. Die Beweiskraft kann der Film nur insoweit bieten, als dass es ja eine Beweiskraft der Worte gibt, eine Beweiskraft auch des persönlichen Zeugnisses - und da ist dieser Dokumentarfilm in keiner anderen Position als jeder Dokumentarfilm -, und dass es Zeugenschaft auch gibt, Belege für manches, dass sich die Aussagen der drei Augenzeugen in diesem Film durchaus decken, dass wir auch keine Gründe haben, die Fakten zu bezweifeln. Aber es ist eigentlich ähnlich wie mit den Lagern anderer Diktaturen, die wir kennen. Es ist wohl, wenn Kino eine moralische Aufgabe hat, unter anderem die moralische Aufgabe des Kinos, auch dieser Erinnerung ein Gesicht, eine Gestalt, ein Bild zu geben.
Rüdiger Suchsland: Wir haben in diesem Film einerseits den Menschen heute, der frei ist, der Vorträge hält über seine Geschichte, der in Südkorea lebt und sich da in dieses Leben nicht richtig einfindet. Wir haben zum anderen Gespräche mit Wärtern, die gleichfalls aus Nordkorea geflohen sind. Wir haben dann immer wieder Passagen, in denen eigentlich beschrieben wird, was die Leiden der Hauptfigur sind, in denen sie beschrieben werden, indem wir in das Gesicht dieses Shin Dong-hyuk blicken und in seinen Augen, in seinem Gesichtsausdruck eigentlich sehen können oder uns vorstellen können, was ihm passiert ist, und dann immer wieder Animationen, die uns auch eine bildliche Vorstellung verschaffen. Also eine Mischung aus verschiedenen Genres.
Müller-Ullrich: Dass die Lagerinsassen fliehen oder versuchen zu fliehen und dass es ganz selten und in diesem Fall einmal jemandem glückt, das leuchtet ein. Was ist mit den Wärtern? Warum fliehen die und was machen die jetzt und wo sind sie?
Suchsland: Ja, die nordkoreanischen Wärter, die man sieht, die leben jetzt in Südkorea. Es sind zwei, die ausführlicher interviewt werden, die auch ihre eigenen Verbrechen eingestehen, sich teilweise auch dafür schämen. Andererseits ist auch klar, dass diese Wärter wie vielleicht jeder, der in Nordkorea aufwächst, auf ihre Art Opfer sind. Die sind auch geflohen, weil sie die Zustände nicht ausgehalten haben, kann man vermuten. Man glaubt zu sehen, dass sie kalt über ihre Taten sprechen, wenn sie sie schildern, kälter als das Opfer. Auf der anderen Seite haben wir damit natürlich auch immer zu tun mit der verschiedenen Mentalität, und ich glaube, dass manches, was uns dann kalt vorkommt, nur eine bestimmte Form, ein bestimmter Ausdruck der Scham und der großen Zurückhaltung ist, mit denen Asiaten anders umgehen als wir.
Müller-Ullrich: Sie sagten, der Filmemacher Marc Wiese habe sowohl den Häftling als auch die Wärter getroffen. Wie trifft man die denn einfach so?
Suchsland: Also es ist so, dass über den Shin Dong-hyuk, den Hauptprotagonisten des Films, es einen Bericht in amerikanischen Zeitungen gab, und aus diesem Bericht ist dann auch ein Buch geworden von einem amerikanischen Journalisten, und darüber entstand, glaube ich, der erste Kontakt. Und dann ging es schon darum für den Filmemacher, wirklich ein bisschen so die Wand aus Zurückhaltung aufzubrechen. Er hat mit ihm wohl auch die Bedingungen abgesprochen. Das heißt, er wird in seiner Privatwohnung interviewt, es gibt immer wieder Momente des Innehaltens, Momente, in denen das Opfer sich so intensiv an seine Taten erinnert und er nicht weitersprechen kann. Und man spürt sofort, dass da nichts gespielt ist, dass da nichts zur Prosa erstarrt ist. Das ist auch ein Mensch, der schwer gezeichnet ist von dem, was er erlebt hat. Er ist gefoltert worden, hart gefoltert worden, seine Arme sind verstümmelt, seit er ein Kind war. Es ist eine langsame, zögernde Annäherung, ein sehr guter Film, der uns in einem gewissen Sinn natürlich auch einen Menschen vorführt, an den wir nicht herankommen. Dieser Mann hat zunächst mal nur ein Konzentrationslager kennengelernt und in gewisser Weise ist die ganze Welt für ihn ein Konzentrationslager. Er kommt da nicht heraus. Er sagt auch selbst: Das erste, was er tun würde, wenn Korea wiedervereinigt werden sollte, ist, zurück in dieses Lager zu kehren, wo er, so pervers es sich anhört, eine Form von glücklicher Jugend verbracht hat, bevor er überhaupt erkannt hat, wo er ist. Weil er ja nichts anderes kannte, konnte er es vorher nicht erkennen.
Müller-Ullrich: Ich komme noch mal zurück auf die Glaubwürdigkeit. Sie sagten ja jetzt selber mit einem gewissen Überzeugungston, das sei nicht gespielt, das sehe man. Aber im Grunde müssen wir glauben, was wir vorgeführt bekommen. Es ist die Erzählung von jemandem - ich meine, ich will hier nicht die Lager in Nordkorea damit infrage stellen, aber die Beweiskraft kann der Film nicht bieten.
Suchsland: Ja. Die Beweiskraft kann der Film nur insoweit bieten, als dass es ja eine Beweiskraft der Worte gibt, eine Beweiskraft auch des persönlichen Zeugnisses - und da ist dieser Dokumentarfilm in keiner anderen Position als jeder Dokumentarfilm -, und dass es Zeugenschaft auch gibt, Belege für manches, dass sich die Aussagen der drei Augenzeugen in diesem Film durchaus decken, dass wir auch keine Gründe haben, die Fakten zu bezweifeln. Aber es ist eigentlich ähnlich wie mit den Lagern anderer Diktaturen, die wir kennen. Es ist wohl, wenn Kino eine moralische Aufgabe hat, unter anderem die moralische Aufgabe des Kinos, auch dieser Erinnerung ein Gesicht, eine Gestalt, ein Bild zu geben.